Neues vom Lande: Die smarten Senioren in Elsoff

Ein Pager mit der Aufschrift "Cognitive Village - vernetztes Dorf"

Digitale Lösungen steigern die Lebensqualität in Städten und Gemeinden. Dies zeigen hierzulande bereits einige Beispiele. Die Blogserie #digitaleOrte der Bertelsmann Stiftung stellt einige digitale Projekte auf kommunaler Ebene vor. Was sind die Vorteile dieser digitalen Lösungen? Welche Auswirkungen haben sie auf die Kommune? Wie nehmen die Bürgerinnen und Bürger die Projekte an? Wir gehen diesen Fragen in vier Kommunen nach. 

Walter Vinken hat das Internet von zu Hause mitgebracht. Der 76-Jährige steht im Untergeschoss des Gemeindehauses im südwestfälischen Elsoff und installiert gerade den Router. Wenn in wenigen Minuten die Seniorinnen und Senioren ihre Gymnastikstunde beginnen, muss die Leitung stehen. Den Router hat die Gruppe von der Universität Siegen geliehen. Die Hochschule testet in Elsoff, wie digitale Technologien besonders der älteren Generation helfen können.

Im Projekt „Cognitive Village“ hat die Universität Siegen seit Ende 2015 viele, kleine Alltagsanwendungen auf den Weg gebracht, die das Leben älterer und kranker Menschen auf dem Land erleichtern. „In Elsoff gab es zunächst eine große Skepsis, was die Digitalisierung angeht“, sagt Projektmitarbeiterin Dana Kurz. „Mit Internet, Smartphones und Tablets wollte kaum jemand etwas zu tun haben.“

Senioren häufig offline

Das 700 Einwohner zählende Dorf Elsoff ist damit kein Einzelfall. Deutschlandweit ist die ältere Generation zu großen Teilen online abgehängt. Sie hadern mit der Technik, fragen nach dem konkreten Nutzen. Laut neuestem D21-Digital-Index nutzt nicht einmal jede zweite der Personen über 70 Jahren das Internet. Und jene, die das Internet nutzen, beschränken sich darauf, Emails zu verschicken oder über den Browser zu surfen, um z.B. online einzukaufen. Für die anderen Möglichkeiten der digitalen Kommunikation interessieren sie sich wenig.

In Elsoff ist das inzwischen anders. Schritt für Schritt haben sich Kurz, ihre Forschungskolleginnen und -kollegen und die Generation 65+ von Elsoff angenähert. Dazu wurden lokale Akteure wie Ortsvorsteher, Pfarrer, der Arzt und die Gemeindeschwester eingespannt, um „Türöffner-Projekte“ in Gang zu bringen. „Wir haben die Generation über das Gesundheitsthema eingefangen“, berichtet Kurz. „Dadurch gelang uns die Digitalisierung durch die Hintertür.“

Walter Vinken macht Turnübungen vor dem Monitor.
Walter Vinken macht Turnübungen vor dem Monitor. Foto: Fabian Wahl

Ein Resultat ist die Senioren-Turngruppe, für die Walter Vinken im Untergeschoss des Gemeindehauses die Internetverbindung einrichtet. Im Turnraum ist der Monitor nun mit dem Internet verbunden. Auf dem Bildschirm spulen Übungen ab, welche die Senioren nachahmen. Per Kamera werden die Bewegungen in Echtzeit gemessen, analysiert und rückgemeldet. Aufgeregt probieren die Seniorinnen und Senioren es nacheinander aus. Dabei machen viele diese Übungen schon lange zu Hause. Auch dort wurde die Technik eingerichtet.

Intelligenter Turnboden

Im Boden des Turnraums wurden Sensoren verlegt, die eine Bewegungsanalyse möglich machen. Der intelligente Boden misst die Schrittfolge und leitet daraus motorische Disbalancen ab. Durch gezielte Übungen trainieren die Senioren, einige sind über 80 Jahre alt, dann die Sturzprophylaxe. „Zum Start vor zwei Jahren konnte man sehen, dass wir noch sehr wacklig waren“, erinnert sich Vinken. „Heute erkennt man eine viel bessere Schrittfolge.“

Als Vinkens Turnpartnerin Rosalinde Pfeil aufschlägt, heißt es „Uhrenvergleich“. „Du bist doch sicherlich schon zweimal rum“, scherzt Vinken anerkennend. „Zweimal rum“ bedeutet, dass der Schrittzähler am Armgelenk von Seniorin Pfeil das Tagesziel von 7.000 Schritten längst erreicht hat. Und so ist es auch.

Walter Vinken ist so etwas wie ein digitaler Vorreiter in Elsoff. Er trackt wie seine Turnfreunde seine Schritte, kommuniziert per Telegram und trifft sich alle zwei Wochen zum Computer-Kurs. Technisch ist der 76-Jährige heute besser ausgestattet als manch ein 30-Jähriger.

Gottesdienst auf der Couch

In Elsoff ist nicht nur der Turnraum im Gemeindehaus vernetzt. Auch die benachbarte Kirche geht den Weg ins digitale Zeitalter. Wer den Gottesdienst von Pfarrer Joachim G. Cierpka verfolgen möchte und den Weg zu beschwerlich findet, kann die Predigt auch zuhause sehen – im Livestream. „Die Predigten sind sehr aktuell und lokal bezogen“, sagt Cierpka, der bis zum Sommer eine Gemeinde in Berlin geleitet hat. Der Bedarf an dem Livestream steigt, zumal die Kirchenbindung gerade auf dem Land hoch ist. Das war in Berlin weniger der Fall.

Pfarrer Cierpka bedient die Kamera in der Evangelischen Kirche von Elsoff.
Pfarrer Cierpka bedient die Kamera in der Evangelischen Kirche von Elsoff. Foto: Fabian Wahl

Am liebsten hätte Cierpka zwei Kameras, damit der Zuschauer auch die Gemeinde auf den Bänken sehen kann. Außerdem sollte der Gottesdienst auch im Anschluss mehrere Tage abrufbar sein. „Bei vielen kommt sonntags zwischen 11 und 12 Uhr der Pflegedienst“, weiß Cierpka.

Wäre da nicht die mangelhafte Internetverbindung in Elsoff. Die Kamera des Livestreams ist behelfsmäßig mit dem Smartphone gekoppelt. Die Verbindung reißt ständig ab. Dann sind nur noch Standbilder zu sehen – oder eben gar nichts. „Das muss besser werden“, weiß auch Cierpka. Im Gemeindehaus wird der Pfarrer angesprochen, wann die Übertragung verlässlich funktioniert. Ein Versprechen kann er nicht geben. Das Glasfaserkabel liegt am Ortseingang. Mitte dieses Jahres soll das Dorf angeschlossen werden. Bis dahin hat Cierpka gegen den Gottesdienst im Fernsehen oft das Nachsehen.

Elsoff ist ein abgeschiedenes Dorf in einer ohnehin abgeschiedenen Region, dem Kreis Siegen-Wittgenstein an der Grenze zu Hessen. Bis zur nächsten Kleinstadt Bad Berleburg, zu der Elsoff als eingemeindetes Dorf zählt, sind es 14 Kilometer, bis zur nächsten Autobahn etwa 56. Busse fahren hier nur selten. Der Wegweiser Kommune prognostiziert für Bad Berleburg einen relativen Anstieg der 65-79-jährigen bis 2030 um rund 33 Prozent und der über 80-jährigen um über 16 Prozent. Der demografische Wandel ist auch hier Realität. Und dann hat vor acht Jahren auch noch der letzte Dorfladen in der Gegend dichtgemacht.

Neuer Dorfladen mit Einkaufsassistenz

Im Jahr 2016 wurde in Elsoff ein neuer Dorfladen mit dem Namen „Insen Laare“ (Unser Laden) eröffnet. Er wird von einem Ortsverein getragen. 15 Leute engagieren sich hier ehrenamtlich. Die geplante Eröffnung fiel mit dem Projekt „Cognitive Village“ zusammen, sodass die Universität Siegen auch dort digitale Anwendungen implementieren wollte.

Dazu zählt etwa die Möglichkeit, per Tablet für die daheimgebliebene Freundin oder Freund einzukaufen. Die Kunden können eine Skype-Verbindung aufbauen, das Tablet in den Einkaufswagen stellen und die Freundin fragen, was sie gerne mitgebracht haben möchte. „Es ist mehr als eine digitale Einkaufsliste“, sagt der Kriminalbeamte Thomas Haberzettl, der im Dorfladen aktiv mitarbeitet. Per Video-Anruf könnten die Daheimgebliebenen wählen, welche Banane oder welche Tomate sie genau haben möchten. In Zukunft kann sich Haberzettl auch eine smarte Brille vorstellen.

Vom Dorfladen in die Arztpraxis: Aufruf per Pager

Eine vielleicht noch größere Errungenschaft für die Dorfbewohner ist die Vernetzung mit der benachbarten Arztpraxis. Patienten können die Wartezeit im Dorfladen bei einem Kaffee oder Gebäck überbrücken. Wenn sie an der Reihe sind, vibriert und leuchtet ein Pager. „Außerdem möchten andere Patienten, die nicht gerade Husten oder andere akute Infekte haben, vielleicht nicht unbedingt beim Arzt im Wartezimmer sitzen“, sagt Haberzettls Mitstreiter Rüdiger Knebel. Ursprünglich hatte man in Elsoff auch mit der Telemedizin geliebäugelt. Doch diesen Plan musste man wegen der schlechten Internetverbindung aufgeben.

Ein Pager liegt auf einem Tisch. Darauf abgebildet das Logo und Schriftzug von "Cognitive Village - Vernetztes Dorf".
Wenn der Pager ertönt, können die Patientinnen und Patienten in die Praxis kommen. Foto: Fabian Wahl

Im November vergangenen Jahres wurde das Projekt „Cognitive Village“ nach drei Jahren offiziell abgeschlossen. Die Senioren von Elsoff, Pfarrer Cierpka, Thomas Haberzettl und Rüdiger Knebel aus dem Dorfladen tragen die Ideen und den Geist weiter. „Für das Projekt wurden wir zusammengewürfelt. Jetzt wollen wir uns nicht mehr trennen“, sagt Senior Walter Vinken über seine Gruppe.

Sicher ist aber auch, dass die Zukunft der digitalen Projekte in Elsoff am ehrenamtlichen Engagement, dem technischen Support von außen und einer schnelleren Internetleitung hängt. Eine Fortsetzung des Förderprojektes wurde bereits beantragt. Die Entscheidung darüber steht noch aus.

Zum Autor: Fabian Wahl ist Berater für Online-Kommunikation und schreibt unter anderem für den Blog blog-smartcountry.de.

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