Wer in der Politik mitmischen will, braucht vor allem eins: Wissen und Zugang zu Informationen. Nur so könnten demokratische Kontrollfunktionen ausgeübt oder Prozesse mitgestaltet werden, findet Katharina, die für die Open Knowledge Foundation arbeitet. Die Projekte der Open Knowledge Foundation setzen auf offenes Wissen, das für alle frei zugänglich ist – und auf offene Technologien, zum Beispiel in Form von Open Source-Software aus der Gesellschaft für die Gesellschaft.
Die Open Knowledge Foundation geht davon aus, dass Technologie kein Selbstzweck ist, sondern ein Instrument, mit dem Menschen ihre Bürger:innen- und Freiheitsrechte besser wahrnehmen können. So soll die Zivilgesellschaft ihren Job besser machen können: Regierungen überprüfen und Vorschläge für Zukunftsgestaltung liefern. Unter dem Stichwort Public Interest Tech möchte die Open Knowledge Foundation eine mündige, digitale Zivilgesellschaft bei ihren Aufgaben unterstützen.
Digital-soziale Innovationen fördern
Katharina arbeitet innerhalb der Organisation im Prototype Fund. Das Förderprogramm wurde aus einem Widerspruch heraus geboren: „Wir haben in Deutschland schon seit Jahrzehnten einen großen Sektor von Entwickler:innen, die ein ziemlich starkes soziales Bewusstsein haben“, so Meyer. „Der ist durch die regulären Fördertöpfe zuvor aber einfach nicht wahrgenommen oder adressiert worden.“ So sei der Wunsch entstanden, Digitalisierung zu fördern, die auch gesellschaftlichen Nutzen haben soll. Vor fünf Jahren wurde dann das Förderprogramm in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Wissenschaft und Bildung aus der Taufe gehoben. Es unterstützt die Entwicklung von offenen Technologien auf Anwendungs- und Infrastrukturebene.
Mit dem Prototype Fund werden gezielt freie Teams und Einzelentwickler:innen aus der Zivilgesellschaft dabei unterstützt, Anwendungen zu entwickeln, die einen gesellschaftlichen Nutzen haben. Vorgaben gibt es nur wenige. Am Gemeinwohl müssen die Ideen orientiert sein und am Ende der 6-monatigen Förderphase soll neues Wissen für Forschungs- oder Entwicklungsprozesse generiert worden sein. Außerdem müssen offene Lizenzen für die Software genutzt werden – der Quellcode also offen liegen – sodass im Prinzip jede Person die Technologie testen, nutzen und weiterentwickeln kann.
„Innovation braucht nicht das im Verborgenen Tüfteln in Garagen im Silicon Valley, wie das Klischee von Computer-Pionieren es oft gerne beschreibt“, findet Katharina. Die Historikerin hat Wissenschafts- und Technikgeschichte in Karlsruhe studiert und ist davon überzeugt, dass bei näherer Betrachtung mit dem Mythos um Genies und einsame Tüftler:innen aufgeräumt werden muss. „Wer das Narrativ ein bisschen hinterfragt, kommt schnell darauf, dass immer Zufälle, Vorerfindungen und vor allem Netzwerke wichtig waren, um vermeintlich neue Technologien zu entwickeln.“ Auch staatliche Gelder stecken in großen Innovationen — durch Anschubfinanzierungen oder indem im Entstehungsprozess wissenschaftliche Erkenntnisse genutzt werden, die staatlich finanziert wurden.
Erfindungsreichtum und Offenheit
Um das zu erkennen, brauche es einen entscheidenden Umdenkprozess, sagt Katharina. „Das Internet ist für viele Menschen als Marketingprodukt sichtbar geworden.“ Technologien dienten aber nicht nur der Wertschöpfung, sondern müssten als Teil der Infrastruktur und Daseinsvorsorge wahrgenommen werden. „Realistisch betrachtet, hat das Internet mittlerweile die gleiche Funktion wie Brücken und Straßen. Wir müssen sicherstellen, dass der Zugang und die Teilhabe daran für alle gewährleistet wird.“ Neben technologischem Erfindungsreichtum brauche es vor allem Offenheit. Denn so könnten neue Technologien aktiv politisch und sozial durch viele gestaltet werden, damit sie nachhaltig und innovativ sein können. Technologie verliere dadurch auch ihr Drohpotential und die angebliche Pfadabhängigkeit, die man ihr zuschreibt, meint die Netz-Wissenschaftlerin.
Dann kann man sehen: Technologie ist ein Werkzeug, keine Lösung.
Wie das offene Entwickeln zum Beispiel aussehen kann, erklärt sie an Projekten, die sie mit dem Prototype Fund unterstützen und die ihr besonders gefallen. „Drip“ ist eines davon. Die App verfolgt den weiblichen Zyklus. Keine neue Idee – Perioden-Apps gibt es am Markt bereits zahlreiche. Drip setzt aber auf Offenheit und vor allem auf Datenschutz, indem sie Daten nur lokal auf dem jeweiligen Smartphone speichert, auf dem sie installiert ist. Ein weiteres Projekt, das der Fund unterstützt, ist das „Syrian Archive“. Das Archiv sammelt Handyvideos aus Syrien, die Menschenrechtsverletzungen während des Kriegs zeigen. Inzwischen wurden auch maschinelle Lernverfahren entwickelt, mit denen das Material ausgewertet wird. Das ist sonst eine extrem belastende Arbeit, die von Freiwilligen und Forscher:innen geleistet wird.
Die Macht persönlicher Daten
Als Technikhistorikerin interessieren Katharina vor allem Entwicklungen und Umbrüche innerhalb der jüngsten Technologie-Geschichte. Mit Blick auf die großen Technologie-Konzerne beschreibt sie ein interessantes Phänomen. „Es gab durchaus auch vor 20 Jahren schon eine Gemeinwohlorientierung in der Entwickler:innenszene, insbesondere im Free Software-Movement. Die ist aber auf einen Kapitalismus getroffen, der nach neuen Wertschöpfungsquellen suchte.“ Durch wenig kontrollierte Lizenzierungen und bereitwillige Datenspenden von Nutzer:innen konnten die Internet-Riesen entstehen, die heute auch seitens der Politik für ihre Monopolstellung und ihre Macht im Daten-Kapitalismus angegriffen werden. „Wir sind gerade an einem kritischen Punkt, an dem wir Pfadabhängigkeiten mit großen Unternehmen aushandeln und gleichzeitig Investitionen in Open Source-Projekte stecken müssen.“ Dafür dürften Staaten aber die Auseinandersetzung mit den großen Konzernen nicht scheuen, so Katharina. Konkret hieße das, sie zu regulieren und zu besteuern, wie es in anderen Wirtschaftszweigen ganz natürlich sei.
Katharina Meyer ist fasziniert von Technik und Gegenkultur. Es ist ihr wichtig, nicht nur in „Silos“ zu arbeiten, wie sie es ausdrückt, sondern auch Netzwerke zu spinnen. Auch deshalb begleitet sie eine Gruppe von Künstler:innen, die eine Datenspende in Form eines gesamten Google-Suchverlaufs einer Person erhielt. Daraus spielt eine Performer:in das Leben der Person nach. Das Projekt macht darauf aufmerksam, wie viel Wissen eine werbebasierte Industrie über Einzelpersonen ansammelt und wozu diese Information potentiell genutzt werden kann, wenn es keine politische Regulation gibt, die das verhindert.
„Ich glaube, solche Übersetzungen können dabei helfen, einem breiten Publikum verständlicher zu machen, was für Macht in unseren persönlichen Daten steckt.“ Dennoch sei Datenschutz kein Gegensatz zu Innovation, findet die 34-Jährige. Ihre Hoffnung ist, dass durch den Prototype Fund und die damit verbundene Nähe zu Ministerien die Arbeit in Verwaltungen in Zukunft auch für Menschen aus der digitalen Zivilgesellschaft attraktiv werden könnte. Damit sich auch in staatlichen Stellen bald die Erkenntnis durchsetzt, die Katharina längst verinnerlicht hat: „Dass freie Software gegenüber proprietärer Software eigentlich schon gewonnen hat.“
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