Sabine Depew: Die Digitalisierung der Wohlfahrt

Große, geschichtsträchtige Verbände wie die Caritas gelten Unwissenden oft nicht als Treiber der Digitalisierung. Zu Unrecht: Sabine Depew sorgt seit Jahren für die digitale Transformation – und ist damit nicht allein.

Foto von Sabine Depew. (Caritas)

Mit Klischees hat Sabine eher kein Problem. Nicht, weil sie an ihnen festhalten würde, sondern weil sie sie in aller Regel gut widerlegen kann. Sabine ist Reformerin aus Leidenschaft – und immer auf der Suche nach neuen Wegen und Methoden. Ihre Spielwiese dafür ist seit vielen Jahren die Caritas. Der Wohlfahrtsverband der katholischen Kirche ist – Achtung, Klischee! – nicht unbedingt die Institution, die außenstehenden Betrachtern als erstes in den Kopf kommt, wenn es um Reformen geht. Doch Sabine beweist, dass sich auch ein so situierter und bisweilen schwerfälliger Verband gestalten und verändern lässt.

Ihre Leidenschaft ist die Digitalisierung – und Sabine ist geradezu empört, wenn sie darauf angesprochen wird, dass der katholische Wohlfahrtsverband dafür nicht das präsenteste Beispiel sei. Die Caritas habe schon „vor vielen Jahren“ die Bedeutung des Themas erkannt: Große Teile der Beratung – sei es für obdachlose, verschuldete, suizidgefährdete oder geflüchtete Menschen – würden schon lange online stattfinden; zunächst per Email, nun zunehmend per Chat oder Videocall. Im Grunde sei es „erstaunlich, dass das nicht viel breiter angekommen ist“, sagt Depew, aber die Geschichte von der Schwerfälligkeit der Wohlfahrtspflege sei ein viel gepflegtes Klischee, das nur mit viel Einsatz widerlegt werden könne. „Dabei war das Motto des Caritas-Verbands schon 2017 ,Sozial braucht digital.’“

Wer die Bereitschaft zum Engagement der „neuen Freiwilligen“ nutzen wolle, der komme „an digitalen Plattformen, modernen Events und griffigen Hashtags einfach nicht vorbei“.

Keine Angst vor dem Neuen

Doch die gebürtige Rheinländerin lässt sich davon nicht abschrecken. Seit fast 30 Jahren arbeitet die studierte Erziehungswissenschaftlerin für den Verband, zunächst in Köln, dann in Essen und seit dem vergangenen Jahr in Schleswig-Holstein. Überall hat sie darum gekämpft, die Organisation weiterzuentwickeln und zu modernisieren. Das sei unabdingbar, für die Mitarbeitenden genauso wie für die Menschen, denen ihr Einsatz gelte. Sabine hält es für eine Verpflichtung der Sozialunternehmen, dafür zu sorgen, dass ihre Klientel nicht weiter abgehängt wird, dass auch Menschen in schwierigen Lebenslagen Teilhabe ermöglicht wird.

Digitale Möglichkeiten und Methoden haben Depew nie Angst gemacht. Bis heute erinnert sie sich an den Moment, in dem sie vor zehn Jahren ihr erstes iPad zu Weihnachten geschenkt bekam: Klobig und schwer sei es gewesen und habe ihr bisweilen einen Tennisarm beschert – aber eben auch den Zugang zu einer faszinierenden Welt, die ihr bis dahin verborgen gewesen sei. Man spürt die Begeisterung von Sabine für die Möglichkeiten des Digitalen bis heute: Noch immer findet sie die Idee von Facebook und Co., Menschen unkompliziert miteinander zu verbinden, „genial“ – auch wenn sie sich zum Jahreswechsel von der Plattform verabschiedet hat, weil sie ihr zu überladen und unsortiert geworden ist.

Die digitale Zusammenarbeiten mit anderen Menschen habe ihre Arbeit immer zum Guten verändert. Die Hierarchien seien flacher geworden, die Kommunikation persönlicher und unkomplizierter. Dass das nicht für alle eine willkommene Veränderung ist, weiß Sabine. Nicht wenige ihrer Kolleg:innen würden in der Digitalisierung immer noch eine Bedrohung für den eigenen, lange etablierten Arbeitsstil sehen. Zu Recht: „Die schnelle Abstimmung über Videokonferenzen, die 2020 an so vielen Stellen möglich geworden ist, hat ja auch gezeigt, dass es die langwierigen Verhandlungen komplizierter Gremien nicht braucht: Das ist für viele schon eine echte Revolution.“

Unsicherheit als Chance

Für sie selber habe sich die Art des Arbeitens in der Pandemie gar nicht so sehr verändert, nur die Zahl der Videocalls und Direktschalten habe erheblich zugenommen; das sei anstrengend gewesen. Doch Sabine klingt einmal mehr sehr ziemlich vergnügt, wenn sie über diese Wochen spricht: Man merkt deutlich, dass sie in der Tatsache, dass niemand genau gewusst habe, was der richtige Weg sei, auch eine echte Bereicherung sieht. Im Frühjahr, als es bei der Caritas vor allem darum gegangen sei, Beschäftigte, Bewohner:innen und Einrichtungen gut durch die Krise zu bringen, sei es wieder viel mehr als früher darum gegangen, Fragen zu stellen, zuzuhören und neue Weg zu finden – all das sei auch eine große Chance gewesen.

Textgrafik: Drei Fragen an Sabine Depew mit Antworten.  Was ist deine aktuelle Lieblingsapp?
Meistertask, eine App für Projektmanagement.  Auf welche Begleiterscheinung der DIgitalisierug könntest du am ehesten verzichten?
Was ich schwierig finde, ist die Verrohung. Man müsste doch nachdenken, was man da formuliert! Was online an Aggressionen und Drohungen geäußert wird, finde ich furchtbar.  Angenommen, du bist für einen Tag Digitalministerin. Was ist deine erste Amtshandlung?
Ein gut ausgestattetes Förderprogramm für die Wohlfahrtspflege zur Digitalisierung der Sozialwirtschaft.

Neustart im Norden

Verändert hat sich Sabines Leben in den vergangenen Jahren nicht nur durch Corona: Sie hat auch ganz persönlich einen Neustart gewagt und hat Essen verlassen, um die Caritas in Schleswig-Holstein zu leiten. Von einem Leben im Norden Deutschlands hätten sie und ihr Mann schon lange geträumt, erzählt Sabine, und die Chance gern genutzt. Dass die Herausforderungen am neuen Platz groß sind, ist einmal mehr willkommen: In Schleswig-Holstein gebe es nur wenige Katholik:innen und die Caritas sei dort ein vergleichsweise „kleiner Player“. Zwar habe ihr Verband Häuser ein einigen Städten, in der Fläche aber sei das Angebot quasi nicht vorhanden.

Sabine will das ändern; einmal mehr mit den Mitteln der digitalen Transformation. Sie plant den Aufbau einer mobilen digitalen Beratung, die Hilfesuchende mit einem Bus aufsucht und dann über Chats und Videokonferenzen in Kontakt bleibt. Gleichzeitig will sie das Programm YoungCaritas vorantreiben, mit dem die Caritas gezielt junge Menschen anspricht, die sich engagieren möchten. Denn auch das Klischee der älteren Hausfrau, die sich ehrenamtlich engagiert, wenn die Kinder aus dem Haus sind, sei längst überholt. „Wir sprechen aber zu oft die Menschen noch so an, als würde es noch existieren.“ Wer die Bereitschaft zum Engagement der „neuen Freiwilligen“ nutzen wolle, der komme „an digitalen Plattformen, modernen Events und griffigen Hashtags einfach nicht vorbei“.

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