Alle mit ins Boot holen

Digitale Tools sollen die externe und interne Kommunikation der Ärztlichen Gesellschaft zur Gesundheitsförderung zukunftsfähig machen. Aus dem Digitalisierungsprozess ist längst ein Gesamtvereinsprojekt geworden.

Eine Ärztin und eine Gruppe von Schüler:innen laufen.

Foto: ÄGGF e.V.

Alles begann „Auf Klo“ im Jahr 2017. Damals hat das feministische YouTube-Format bei der Ärztlichen Gesellschaft zur Gesundheitsförderung, kurz ÄGGF, angeklopft. „Sie suchten eine Frauenärztin, die für ihre YouTube-Community Fragen in einer Klokabine beantwortet“, sagt Dr. Runa Speer, Frauenärztin und Vorständin der ÄGGF. Sie machte mit und bekam viel Zuspruch. „Damals dachten wir: Wahnsinn, wie groß die Reichweite von so einem Format ist.“ Die Ärzt:innen, die in Schulen ehrenamtlich ärztliche Informationsstunden anbieten, um die gesundheitliche Chancengleichheit zu erhöhen, sahen in den Videos großes Potenzial – vor allem für ihre eigene Zielgruppe: den Schüler:innen ab der Pubertät.

Porträt Runa Speer, Vorständin beim ÄGGF.

Dr. Runa Speer ist Gynäkologin. Sie ist seit 2012 Mitglied der Ärztlichen Gesellschaft für Gesundheitsförderung e.V. (ÄGGF). Seit 2022 ist sie außerdem im Vorstand der ÄGGF. Im November 2023 hat sie D3 als Referentin bei „digital genial: Digitale Transformation gestalten“ unterstützt.

Foto: ÄGGF e.V.

Die Einladung zu „Auf Klo“ sei der Initialimpuls gewesen, sagt Runa, „von da an war es mein Herzensprojekt.“ Mit einer Spiegelreflexkamera und Fotobox produzierte sie zusammen mit Kolleg:innen erste Videos. „Die haben wir dann auf unserer Jahrestagung gezeigt“, sagt die 49-Jährige und lacht. „Sie kamen überhaupt nicht gut an, weil sie einfach viel zu unprofessionell waren.“ Schnell war klar, die Herausforderungen der Digitalisierung sind groß und für das Team der ÄGGF ohne Hilfe kaum zu bewältigen. Es fehlten nicht nur die finanziellen Mittel, sondern auch das Know-How, so die Ärztin. „Wir alle haben einen klinischen Hintergrund und interessieren uns für Prävention, aber mit der digitalen Welt kannten wir uns nicht aus.“

Im Raketentempo in die digitale Welt

Im Jahr 2021 sollte sich das Blatt wenden. „Ab da ging es dann im Raketentempo voran“, sagt Runa. Grund war eine Förderung der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt (DSEE), die sie für die Entwicklung einer Digitalisierungsstrategie nutzten. „Unter der Ägide einer Kommunikationsagentur haben wir einen Workshop durchgeführt“, erinnert sich die Ärztin, „der war ganz wichtig für uns, weil wir dort Eckdaten definieren konnten und gemeinsam geschaut haben, wie wir die Digitalisierung angehen können.“ Der erste Schritt war gemacht. Der Durchbruch kam aber erst mit einer weiteren Förderung der DSEE. „Mit dem Geld aus der zweiten Förderung konnten wir endlich gemeinsam mit der Kommunikationsagentur LessingTiede einen konkreten Fahrplan für die digitale Zukunft unseres Vereins entwickeln und angehen.“

Doch schnell wurde klar: Es kann nicht alles auf einmal digitalisiert werden. „Auf unsere analogen Aktivitäten, die uns seit 70 Jahren prägen, wollten wir auch keinesfalls verzichten. Es geht nichts über ein vertrauliches Gespräch im Klassenzimmer“, sagt Runa. „Digilog“ war der Begriff der Stunde, digital und analog sollten Seite an Seite stehen. Die Ziele waren klar definiert: Social Media Präsenz ausbauen, Reichweite generieren, Fundraising. Durch eine kleinere Projektförderung entstanden damals bereits drei deutlich professionellere Filme. „Das war ein wichtiges Learning für uns: Wenn man nicht will, dass etwas hausbacken aussieht, muss man sich ein Expertenteam mit ins Boot holen.“

Sexuelle Aufklärung mit einer Ärztin vom ÄGGF erklärt einer Gruppe von Mädchen.

Eine Gruppe von Schülerinnen bei einer Aufklärungsstunde mit einer Ärztin der ÄGGF.

Foto: ÄGGF. e.V.

Aufklärungsvideo geht viral

Auf dem YouTube-Kanal DOCtorial by ÄGGF, der seit einigen Monaten das YouTube Health Label innehat, sind mittlerweile 36 Videos online. In den Videos beantworten ÄGGF-Ärzt:innen aus ganz Deutschland Fragen von Jugendlichen. Das meistgeklickte Video zum Thema „Kann es sein, dass der Hoden leer geht?“ hat knapp 70.000 Aufrufe. Auch die Webseite www.doctorial.de ist mittlerweile online. Beide Plattformen sind wichtige Meilensteine, die der Verein in relativ kurzer Zeit erreicht hat. Auf dem Weg dorthin sei es wichtig gewesen, alle gut 100 Mitglieder des Vereins einzubeziehen, so Runa. „Wir haben bereits beim Aufbau unserer Markenstrategie eine Mitgliederumfrage gemacht.“ Dort wurde beispielsweise gefragt, ob die Mitglieder mit dem Namen des YouTube-Kanals zufrieden sind, welcher Sprachstil gut wäre, wer sich vor die Kamera stellen würde. „So wurde das Ganze zum Gesamtvereinsprojekt.“

Doch nicht nur nach außen hin ist die Digitalisierung des Vereins vorangeschritten, auch in der internen Kommunikation vereinfachen mittlerweile digitale Prozesse die Zusammenarbeit. Und das sei auch dringend nötig gewesen, so Runa. „Wir wollen wachsen und uns vergrößern. Aber da klafft diese Lücke zwischen der alten Art zu kommunizieren und den neuen Anforderungen.“ Excel-Adresstabellen für Rundmails scheinen plötzlich veraltet und unübersichtlich. „Dadurch, dass wir jetzt digital präsenter sind, werden wir sichtbarer und bekommen mehr Anfragen.“ CiviCRM, eine Open Source Software für Nonprofits, soll nun für Ordnung beim Kontaktmanagement sorgen.

Schritt für Schritt umstellen

Für die interne Kommunikation soll zukünftig MS Teams genutzt werden. „Die Tools von MS Teams eröffnen uns unglaublich viele Möglichkeiten, aber wir müssen jetzt erstmal lernen, sie zu nutzen“, sagt die Frauenärztin. Alte Kommunikationsstrukturen aufzugeben, falle vielen nicht leicht. „Statt die Chatfunktion von Teams nutzen wir oft noch E-Mails oder Signal.“ Der Umstellungsprozess habe gerade erst begonnen. „Momentan sprechen wir vor allem über Ordner- und Ablagesysteme, die unsere Arbeit in Zukunft erleichtern sollen.“ Doch auch hier gerät die Arbeit immer mal wieder ins Stocken. Die gesamte Struktur direkt in Teams zu überführen, klappe nicht. „Das müssen wir Schritt für Schritt und mit professioneller Anleitung machen, sonst verzetteln wir uns.“

Eine große Herausforderung seien jedoch die fehlenden finanziellen Mittel. „Wir haben jetzt diese tolle Webseite und bekommen viel gutes Feedback dafür, aber haben kein Geld, das fortzuführen.“ Sowohl den YouTube-Kanal als auch die Webseite könnten die Vereinsmitglieder zwar selbstständig befüllen, doch nicht alle Aufgaben lassen sich mit ehrenamtlichem Engagement erledigen. Die Inhalte professionell zu gestalten ist zeitaufwendig und für die Videos sind Kameraleute und Cutter unerlässlich. „Finanzmittel sind der Dreh- und Angelpunkt“, sagt Runa, „aber momentan sind keine Fördergelder in Sicht. Deshalb investieren wir jetzt mutig in eine Fundraiserin und setzen große Hoffnungen in diesen Schritt.“

Ohne das Analoge kein Digitales

Neben dem Digitalisierungsprozess laufe die normale Arbeit des Vereins weiter: In Schulen gehen, aufklären, Fragen beantworten. Diese Arbeit sei nach wie vor essenziell, so die Vorständin. „Ohne dieses Tradierte und der Erfahrung aus Jahrzehnten könnten wir unser Wissen nicht in die digitale Welt tragen.“ Aber die Elemente aus der analogen Welt für alle kompatibel in die Digitale zu überführen, „ohne dass sich Mitglieder überflüssig fühlen, ist die vielleicht größte Herausforderung“, sagt Runa. Deshalb sei es wichtig, immer wieder zu betonen: Ohne das Analoge geht das Digitale nicht.  

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