Auf Netflix gibt es zur Zeit etwas zu sehen, das ich als Kind geliebt habe: die Zeichentrickserie “Es war einmal … das Leben”. In den 1980er Jahren haben französische Cartoonisten das menschliche Innenleben in nette Geschichten verpackt. Dass man Essen, das auf den Boden gefallen ist, lieber nicht mehr in den Mund steckt, ist für mich durch diese Sendung eng mit einem Bild verbunden: dem fiesen rotnasigen Bakterium, das auf den Keks krabbelt, sobald er auf dem Gehweg liegt.
Positive Nebeneffekte meiner Wiederentdeckung:
- Corona-Hygieneregeln lassen sich meinem sechsjährigen Sohn plötzlich ganz einfach vermitteln.
- Für den Blick auf zivilgesellschaftliche Arbeit gibt mir diese kleine Zeitreise in meine TV-Vergangenheit griffige Bilder mit. “Es war einmal das Leben” vermittelt komplexe Zusammenhänge auf einfache Weise, ohne das Wesentliche zu löschen: Alles hängt zusammen. Wer in der Krise unkoordiniert und nur für sich handelt, erzeugt schmerzhafte Nebeneffekte. Damit sich in Systemen etwas bewegt, müssen viele Teile ineinander greifen.
Es war einmal … die Zivilgesellschaft
Wie eine Lupe haben uns die Wochen der Kontakteinschränkungen vieles nah vor Augen geführt: innere Mechanismen unserer Organisationen wurden sichtbarer, Zusammenhänge und Interdependenzen unterschiedlicher Themen und Akteure deutlicher als sonst.
Kollaboration war wichtig – zwischen Programmträger:innen, Fördernden und Teilnehmenden, genauso wie in neu entstehenden Allianzen. Dabei hatten es trainierte Teams und Netzwerke mit transparenten Rollen und starkem Zielkompass einfacher, den externen Schock zu verarbeiten und schnell auf die entstehenden Bedarfe zu reagieren.
Auf der Suche nach eurer Energie
Wir waren in den vergangenen Wochen ganz viel “draußen” – in der virtuellen Welt: in Community-Meetups und Videokonferenz-Runden, in Digital-Konferenzen (Danke an alle Teilnehmenden am Digital Social Summit!), neu entstehenden Facebook- und Slack-Gruppen und beim Recherchieren und Mitlesen der vielen vielen Aktivitäten im Netz.
Dabei haben wir die Fühler nach exemplarischen Aktivitätsfeldern ausgestreckt, in denen ein solches Miteinander gerade entsteht. Wir haben nach Themen gesucht, die durch die sicht- und spürbar gewordenen Bedarfe angeschubst wurden – bei denen sich neue Ideen und neue Offenheit geformt haben. Das Ergebnis: Wir sind fündig geworden. In drei unterschiedlichen Bereichen, an drei unterschiedlichen Ansatzpunkten. In den nächsten Wochen stellen wir euch je ein Aktivitätsfeld vor.
#1 Eine virtuelle Konferenzlandschaft fürs soziale Wirken
Analoge Workshop- und Veranstaltungsformate gehen leicht von der Hand. Das haben viele zigmal selbst gemacht und hundertmal als Teilnehmende erlebt. Wieviel Vorlauf braucht, was kostet, wie geht ein Runder Tisch, ein Parlamentarisches Frühstück, ein Konferenztag? Das ist im Kopf, im Gefühl, oder zumindest in einer Checkliste auf dem Rechner gespeichert.
Falls nicht: Viele Tipps für analoge Events zum Wissenstransfer findet ihr im Erfahrungstransfer auf unserer Seite.
Doch dann zwang uns Corona zum Wechsel ins Digitale – plötzlicher als man Zoooom sagen kann. Es ist eine der kollektiven Erfahrungen sozialer Organisationen der letzten Monate: Das Sichten digitaler Meeting-Werkzeuge. Die Frage, „Hast Du schonmal ne Online-Session moderiert?” und die Entscheidung: „Sagen wir ab oder verlegen wirs ins Netz?” Mit kleineren und mittlere Runden wurde schnell und leicht experimentiert, und viele berichten von einem Aha-Moment: Das geht ja, und gar nicht mal schlecht!
Die König:in-Klasse aber bleibt ein dicker Brocken: Lässt sich eine Konferenz ins Digitale transportieren? So richtig – mit allem Drum und Dran? Einen Vortrag ins Netz zu senden scheint keine große Herausforderung – bis plötzlich 3.000 Menschen zusehen und der Stream in die Knie geht. Macht das Zuhause-WLAN der Panelist:innen über die ganze Diskussion hinweg mit? Wie kombinieren wir frontale und interaktive Programmbestandteile?
Und was ist mit dem zauberhaften Dazwischen? Das Netzwerken in der Kaffeepause, die weitergesponnene Diskussion mit der Inputgeber:in am Fuß der Bühne, nach dem Vortrag. Kann online eine Dramaturgie entstehen, die die Teilnehmenden durch den Tag führt? Kann ein Online-Event dieses Bienenstock-Brummen haben, das euch am Abend glücklich, voll und müde wieder ausspuckt? Kann es zum Festival werden, ein kollektives Gefühl erzeugen, und damit Gemeinschaft spürbar machen?
Wie können Digital-Konferenzen in die Breite getragen werden?
Die Ersten haben sich an mutige Piloten gemacht: Die re:publica im digitalen Exil,, der Collective Action Summit von Ashoka Changemaker Xchange, Catapult Cloud, das Skoll World Forum, das Wirtuelle Festival von leadership hoch 3 oder der Digital Social Summit geben Futter für Erfahrungsaustausch und gemeinsames Lernen – und jede Woche kommen neue Beispiele hinzu.
Es geht um Formate und Ideen, aber nicht nur. Wie analoge Veranstaltungen brauchen auch digitale Konferenzen fitte Menschen, die besondere Kompetenzen mitbringen, um die Durchführung zu unterstützen. Umso besser, dass sich eine Community aus Online Facilitators aufmacht, von- und miteinander zu lernen.
Und natürlich geht es auch um Technik. Denn die besten Inhalte und Diskussionen scheitern im Digitalen, wenn die technische Ausstattung fehlt oder die Verbindungsqualität ruckelt. Je größer der Rahmen, desto höher die Hürde. Hier braucht es verlässliche Lösungen, die in der Breite zugänglich sind, und Orte wie den freien Sender ALEX Berlin oder das bUm in Kreuzberg, die die Türen aufmachen, um ihre Ausstattung und ihr Glasfaserkabel der Zivilgesellschaft zugänglich machen. Und das nicht nur in Berlin, sondern in der ganzen Republik.
Lasst uns gemeinsam an innovativen Lösungen arbeiten
Man kann ihm gerade beim Wachsen zusehen, diesem Puzzle aus unterschiedlichen Angeboten und der Kompetenz, sie zu verbinden. Wir finden, es ist ein guter Moment, um Abstimmung anzuregen, Ressourcen sichtbarer zu machen, beim Teilen von Erfahrung zu unterstützen und Lücken aktiv anzugehen. Darum wollen wir in den nächsten Monaten dieses entstehende Netzwerk aus Erfahrungen, Kompetenzen und Infrastruktur voranbringen.
Wir wollen euch Know-How, Checklisten und Kontakte bereitstellen, damit das Organisieren digitaler Konferenzen so leicht von der Hand geht wie die gewohnten analogen Schwestern. Immer mit dem Ziel, dass der digitale Weg im Durchführen und Teilnehmen für möglichst viele zugänglich sein soll. Und all das mit dem Anspruch, keinen digitalen Abklatsch der ‘echten’ Veranstaltungen zu schaffen, sondern eine neue Form des Zusammenkommens, mit seiner eigenen Qualität. Eine neue Art Bienenstock, auf den wir Lust haben – auch dann, wenn es nicht mehr sein muss.
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