Better together: Wieso uns Zusammenarbeit schwer fällt und sich trotzdem lohnt

Eigentlich müsste die Zivilgesellschaft vor Kooperation brummen, bei so vielen gemeinsamen Zielen und so breit geteilten Werten. Und doch haben wir alle erfahren, dass es nicht leicht ist, das Miteinander, im Alltag aus Zeit- und Finanzierungsdruck. Mit der API fassen wir uns jetzt an die eigene Nase: Mehr Abstimmung, mehr Gemeinsam-Wirken würde den vielen Qualifizierungsangeboten für die Zivilgesellschaft in der Digitalisierung gut tun. Zeit, dem #mansolltemal Taten folgen zu lassen und uns an einen (virtuellen) Tisch zu setzen.

Streetart. Zwei farbige Hände umfassen sich.

„Dass ich so ein Herdentier bin”, seufzt meine 75-jährige Nachbarin sehr erleichtert und halb überrascht – und mehr zu sich selbst als zu mir. Die Corona-Kontaktbeschränkungen waren gerade etwas gelockert, ihr zuvor angst-starrer Freundeskreis hatte sich entspannt und auch die sechs Enkelinnen kamen wieder zu Besuch. Die Stille der vergangenen Wochen: Für Menschen, die alleine leben, war sie vor allem auch emotionale Belastung.

Wir wollen zusammenwirken: Der Mensch als homo cooperativus

Wir Menschen sind soziale Wesen. Von Geburt an wird unser gesamtes Erleben und Verhalten von sozialen Beziehungen beeinflusst. Der egoistische, eigennutzmaximierende homo oeconomicus, der Mitmenschen und Natur nur als Objekt und Arbeitsressource behandelt, hat mit unseren tatsächlichen Bedürfnissen und Handlungen wenig zu tun.

Langsam aber sicher kommt das auch in den Lehrbüchern an. Sozialpsycholog:innen und Verhaltenökonom:innen sei Dank. Dort wird die neoliberale Lieblingsschimäre zunehmend abgelöst vom homo cooperativus. Der ist auch an seinem Nutzen interessiert, dazu aber empathiefähig. Er verhält sich in Beziehung zu seinen Mitmenschen und seiner Umwelt und lernt von- und miteinander. Und – leider, leider – handelt er schrecklich oft schrecklich irrational.

Anders ist es auch gar nicht zu erklären, wieso wir Eigennutzen-maximierende Herdentiere uns mit dem Zusammenarbeiten so schwer tun. Die Vorteile von kooperativem und kollaborativem Verhalten über den engen eigenen Kreis – ob Familie, Stadt oder Organisation – hinaus liegen auf der Hand: Mehr Kraft als im Einzelkämpfertum, geteilte Ressourcen, umfassendere Kompetenzen, breitere Informationsbasis. Der ideale Nährboden für Schlagkraft und Synergieeffekte.

Vernetzung und das gemeinsame Arbeiten an gesellschaftlichen Innovationen. Ein zivilgesellschaftliches Erfolgsmodell: Nicht nur auf D3-Meetups (hier im bUm).
(Foto: Leander von Thien)

Gerade in der Zivilgesellschaft müsste es vor wildem Miteinander nur so brodeln: Viele Akteure teilen gemeinsame Ziele, wie die Bekämpfung von Hunger und Armut, oder die Förderung von Demokratie, Bildung oder guter Nachbarschaft. Noch mehr von uns bauen auf geteilten Werten, wie Solidarität, Empathie, gegenseitigem Respekt und das Recht aller auf Teilhabe. Der Drang zueinander ist groß: Wir suchen uns auf Konferenzen und bei Meetups. Viele sind gut vernetzt, sprechen offen und vertrauensvoll, beraten sich gegenseitig und packen zusammen an, wenn es die Gelegenheit verlangt.

Besser ist nicht immer leicht: Wieso das Miteinander oft nur schwer gelingt

Und doch kann wohl jede:r, die eine Weile im Sozialen aktiv war, von zahlreichen Beispielen berichten, wo das gemeinsame Wirken nicht geklappt hat. Wo es im Scheitern des Miteinander auch mal schmerzhaft wurde. Über das Persönliche, Schnelle, Ad-hoc-Gebundene hinaus fällt der Zivilgesellschaft #collectiveimpact schwer. Schwerer als gedacht.

Die Gründe sind vielfältig: Als Kinder haben wir – spätestens ab der Schulzeit – viel mehr Zeit mit Wettbewerb als mit Zusammenarbeit verbracht. Kein Wunder, dass uns die Übung fehlt. Kooperation, das Sich-Einlassen auf die anderen, stresst. Die anderen sind vor allem anderen erstmal anders. Das ist anstrengend.

Foto: Tim Mossholder / Unsplash.

Anstrengendes zu bewältigen braucht Ressourcen. Wir müssen Zeit mitbringen, und manchmal auch ein bisschen Geld, um das Miteinander zu begründen und zu erhalten. Die persönlich Beteiligten brauchen Kraft, um die Konflikte zu bearbeiten und zu lösen, die immer entstehen, wenn unterschiedliche Interessen und Kulturen über eine gemeinsame Wegstrecke miteinander auskommen sollen. Und dazu brauchen sie zum einen die Entscheidungshoheit, zum anderen die Bereitschaft, in den Kompromiss zu gehen.

All das ist herausfordernd, umso mehr in einem Arbeitsfeld, das von großer Identifikation mit dem eigenen Tun auf der einen Seite, knappen Mitteln und projektbezogen engen Handlungsspielräumen auf der anderen Seite geprägt ist. Oft genug kommt Konkurrenz zwischen denen hinzu, die sich doch eigentlich hinter den gleichen gesellschaftlichen Zielen versammeln. Denn die eigene Sichtbarkeit, Fördermittel und Spenden sollen Arbeitsplatz und Organisation auch in zwei Jahren noch sichern.

Über die Jahrtausende hat sich der homo cooperativus eine Menge Strukturen und Institutionen einfallen lassen, um diese und andere Kooperationshürden zu überwinden und Kollektive auch über einen einzelnen Streit und zeitweise Durchhänger hinaus zu stabilisieren: Die Commons, Gilden, die Hanse, Gewerkschaften, Kooperativen, Verbände, Genossenschaften, Joint Ventures, Netzwerke und Communities – von ganz lose bis zu ganz strikt ist alles dabei. 

Immer stützen diese Organisationen die Netzwerke unter ihren Mitgliedern, erzeugen Verlässlichkeit durch geteilte Prozesse, Werte und Ziele und schaffen so das, was eine Menschenherde vor allem braucht, um zusammenzubleiben: gegenseitiges Vertrauen. Denn allen psychologischen und praktischen Hemmnissen zum Trotz ist kein Gras gewachsen gegen den menschlichen Impuls, sich zusammenzutun, und seine Kreativität, es zu bewerkstelligen.

Aus der Krise lernen: Wirkung und Inhalte bündeln

Die Corona-Krise war an vielen Stellen ein beeindruckender Ad-hoc-Moment der Kooperation. 28.000 Menschen kommen für den #WirVsVirus-Hackathon zusammen. Die politisch zu wenig gehörten Familien Deutschlands organisieren sich in digitalen Netzwerken wie #ElterninderKrise. Und auch wenn der Weg zur Corona-App holprig war, hat eine umfassende gesellschaftliche Debatte die Gestaltung eines Stücks öffentlicher (IT)Infrastruktur das erste Mal bestimmt.

Für bestehende Organisationen und Programme war der Schritt ins Miteinander dagegen schwerer. Sie steckten selbst im Schleudergang der Krise und waren damit beschäftigt, Orientierung und Handlungsfähigkeit zu bewahren. Da blieben nur wenig Ressourcen übrig, und kaum Kraft. 

Das gilt auch für die breite Landschaft der Akteure, die sich in den letzten Jahren aufgemacht hat, der Zivilgesellschaft in Sachen Digitalisierung Wind in die Segel zu pusten. Die betterplace academy, die Akademien der Wohlfahrt, Stifter-helfen.de, die Digitale Nachbarschaft und die Akademie für Ehrenamtlichkeit seien nur exemplarisch genannt: D3 – so geht digital befindet sich in einer reichen, kompetenten, quirligen Gesellschaft aus Bildungsanbietern und Redaktionen, die Kompetenzen, Diskurse, Tipps und Tricks an der Schnittstelle von sozial und digital vermitteln. 

In den Monaten der Kontaktbeschränkungen war der Bedarf an Orientierung und aktuellen Inhalten riesig. Und wir alle haben gerudert und gewirbelt, was das Zeug hält. Wir waren und sind Ansprechpartner und Sorgentelefon, wir versuchen, nach vorne zu denken und Unterstützung da zu geben, wo sie gebraucht wird. Noch nie waren die Besuchszahlen und das Nutzer:innenfeedback so aktiv. Da ist es leicht zu übersehen, dass fast alle gefühlt sechzig mal die beinah identische Übersicht über Videokonferenz-Tools für Non-Profits erstellt haben.

Wie wäre es wohl gewesen, hätten wir einen gut geübten, krisenfesten Modus zum Austausch und zur Abstimmung untereinander gehabt? Hätten wir noch besser wirken, unsere Kräfte für den Sektor gezielter einsetzen können? Wie ist es außerhalb der Krise, im neuen Normal? Profitiert genau das nicht auch davon, wenn diejenigen mit gemeinsamen Werten und gemeinsamen Zielen auch mehr gemeinsame Sache machen?

Wir wollen sie daher in den nächsten Monaten zusammenholen, unsere eigene Landschaft der Qualifizierer fürs Digitale in der Zivilgesellschaft. Wir wollen uns (virtuell) an einen Tisch setzen und den geteilten Werten und gemeinsamen Wirkungszielen mehr Kraft geben als der Konkurrenz. Das Miteinander hat viele Potentiale: Ähnliche Communities lassen sich gemeinschaftlich besser bestärken. Nutzer:innen könnte ein gemeinsamer Wegweiser bessere Orientierung in der dichten Angebotslandschaft geben.
Die API kann für die Startphase mit Ressourcen und Kraft unterstützen. Umso besser, dass uns die Menschheitsgeschichte einige Jahrtausende Erfahrungslernen fürs gemeinschaftliche Wirken mitgibt.

Wir probieren das jetzt mal und erzählen dann wie es läuft, mit dem #collectiveimpact und dem gegenseitigen Vertrauen.

Creative Commons License

Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung-Nicht kommerziell 4.0 International Lizenz.

Zum Weiterlesen

Die Corona-Krise baut der Zivilgesellschaft die Bühne für einen Neustart – und D3 macht sich auf, sie gemeinsam mit anderen gut zu nutzen. Mit Unterstützung von Carolin, die für die nächsten fünf Monate unsere Lead API ist. Neben der Vernetzung von Qualifizierungsanbietern an der Schnittstelle von sozial und digital, konzentriert sich die API-Arbeit auf zwei weitere Aktivitätsfelder: Das Erschaffen einer digitalen Konferenzlandschaft für die Zivilgesellschaft und die Stärkung der Bedingungen für Public Interest Software.

Was sich dahinter genau verbirgt? Einfach weiterlesen.

Ein Gedanke zu “Better together: Wieso uns Zusammenarbeit schwer fällt und sich trotzdem lohnt

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Mehr Beiträge aus dem Magazin

D3 – so geht digital ist ein Projekt der     gefördert durch  Logo DSEE