Innovation anregen: Das „Wie“ vor dem „Was“

Jennifer Geiser ist beim Deutschen Roten Kreuz e.V. Projektkoordinatorin im Kompetenzzentrum „Wandel.Wohlfahrt.Digitalisierung“. Mit D3 hat Jennifer über den Netzwerkgedanken und den Kulturwandel von Organisationen gesprochen. Und darüber, wie es Non-Profits gelingen kann, Innovation, Veränderungsbereitschaft und Neues anzuregen.

Jennifer Geiser vom DRK steht bei einem Innovation-Workshop vor einem Flipchart und schreibt "DRK-Digital" als Überschrift darauf.

Wie sieht ein gelingender Kulturwandel in Organisationen aus? 

Jennifer Geiser: Hierarchien werden weniger wichtig. Kommunikation ist über Grenzen hinweg  leichter möglich und es wird mehr auf Augenhöhe zusammengearbeitet. Fehler sind erlaubt und es gibt Möglichkeiten, sich über sie auszutauschen und voneinander zu lernen. Zudem finde ich eine Organisationskultur gelungen, in der es ein Bewusstsein für strukturierte und strategische Herangehensweisen gibt. Gleichzeitig ist es aber auch möglich, einfach mal etwas auszuprobieren. Außerdem werden Angebote und Projekte mehr auf die Nutzer:innen ausgerichtet. 

Jennifer Geiser lächelt in die Kamera, sie trägt ein Tuch im Haar und einen schwarzen Rollkragenpullover

Jennifer Geiser ist Projektkoordinatorin im Kompetenzzentrum „Wandel.Wohlfahrt.Digitalisierung“ am Standort Berlin. Sie befasst sich neben der Beratung und Begleitung von Projekten insbesondere mit dem Digitalisierungs-Baukasten und der methodischen Gestaltung von Workshops, unter anderem mit Design Thinking. Jennifer hat Soziologie und Betriebswirtschaft in Potsdam und Krakau studiert und eine Ausbildung zur Design Thinking-Coachin am Hasso-Plattner-Institut absolviert.

Was steht dem im Weg? Was sind die größten Innovationshemmer in Organisationen? 

Für viele beim DRK erschweren die Strukturen Veränderung. Das hat eine Umfrage im Verband bestätigt. Der föderale Aufbau des DRK hat seine Geschichte und seine  Berechtigung, gleichzeitig erschwert er Veränderungen in der Breite. Beispielsweise sind die Kommunikationswege herausfordernd: Informationen fließen vom Bundesverband an die Landesverbände, die diese wiederum an ihre Kreisverbände weitergeben. Auf diesem Weg  kommen nicht immer alle Informationen dort an, wo sie gebraucht würden – oder nicht immer rechtzeitig.

Wir hatten letztens ein Treffen mit der Wasserwacht, die zum ehrenamtlichen Teil des  DRK gehört. Unsere Gesprächspartner:innen waren begeistert von dem, was das Kompetenzzentrum Digitalisierung leistet, es traf ihren Bedarf. Leider hatten sie von uns und unserem Angebot noch nie gehört. Deshalb sind die Netzwerke für das DRK auch so wichtig, sie ermöglichen den Austausch jenseits der formellen Wege. 

Hinzu kommen die teilweise sehr unterschiedliche Ausgangsbedingungen in den vielen Kreisverbänden. Beispielsweise unterscheiden sich die technischen Voraussetzungen, die Ressourcen und Kompetenzen. Viele Kapazitäten werden vom Tagesgeschäft gebunden. Es ist beeindruckend, was die Kreisverbände besonders in der Pandemie in kürzester Zeit auf die Beine stellen. Dass das Thema Organisationsentwicklung da oft hintenansteht, kann ich verstehen. Teilweise fehlt jedoch auch das Verständnis dafür, wie wichtig es ist, über das Alltagsgeschäft hinaus strategisch darüber nachzudenken, wie die Digitalisierung die Arbeit des DRK verändert. Noch versteht nicht jede:r, dass das keine abgehobene Idee ist, sondern es um ganz handfeste Dinge geht. Etwa um die Fragen, wie wir in Zukunft gut (zusammen-)arbeiten oder wie das DRK für möglichst viele als Dienstleisterin relevant bleibt. 

Wie begegnet das DRK diesen Hemmnissen und welche Rolle spielen dabei die Innovationsnetzwerke? 

Das Kompetenzzentrum Digitalisierung ist mit seinen Satelliten an unterschiedlichen Stellen in der Verbandsstruktur dezentral aufgestellt. Dadurch wirkt unser siebenköpfiges Team auch bis in die Kreisverbände hinein. Am Anfang hatten wir noch einen stärkeren Beratungsfokus. Dann haben wir übergeordnete Leitfäden und Handbücher geschrieben, um mehr Menschen zu erreichen. Bald wurde klar, wie wichtig das Thema Austausch im DRK ist. Das erste Innovationsnetzwerk, das Netzwerk Digitale Wohlfahrt, haben wir formell initiiert. Ziel ist es, Mitarbeiter:innen der Landesverbände miteinander zu vernetzen und einen regelmäßigen  Austausch zu strategischen Digitalisierungsfragen zu ermöglichen. 

Die Session „Vom Tanker zum Speedboat – Innovationsnetzwerke im DRK“ beim Digital Social Summit 2021 zum Nachschauen

Das zweite Netzwerk, die Social Innovation Community [sic], ist eher graswurzelmäßig entstanden.  Am Anfang ging es uns darum, ein paar Menschen aus dem DRK-Dunstkreis unseres Teams zusammenzubringen, die die gleichen Themen hatten, aber damit allein vor Ort waren. Daraus hat sich dann die [sic] entwickelt, die hierarchieübergreifend für alle im DRK offen und im ersten Jahr auf 130 Mitglieder gewachsen ist. 

Wie haltet ihr die Social Innovation Community lebendig? 

Zum einen sind wir über MS Teams verbunden. Zum anderen gibt es unterschiedliche Formate, die den Austausch fördern. Einmal im Monat findet unser Lunch Sharing statt. Das gemeinsame Mittagessen wird von einem Input zu einem Thema oder Projekt begleitet. Damit bekommen die innovativen Initiativen im Verband eine Plattform, sie werden bekannter und können aufgegriffen und skaliert werden. Zusätzlich treffen wir uns zwei bis dreimal im Jahr zum BarCamp, bei dem Themen aufgegriffen werden, die die Community gerade beschäftigen. Daraus sind einige spannende Projekte entstanden, die von den Gruppen selbstorganisiert umgesetzt werden.

Zum Beispiel gibt es ein Team, dass sich mit der Frage beschäftigt, wie Daten im DRK gezielter genutzt werden können. Oder ein Projekt, das mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz der Abwanderung von Ehrenamtlichen entgegenwirken will. Unser Orga-Team hilft der Community bei Fragen oder Problemen. Wir geben Tipps oder vermitteln Skills und Methoden. 

Muss jede:r zum Innovator werden, damit der Kulturwandel in Organisationen gelingt? Ist  das für manche nicht auch eine ziemliche Überforderung? 

(Lacht). Ich glaube nicht, dass jede:r total kreativ und innovativ um die Ecke kommen muss. Das ist unrealistisch und wäre in der Tat eine Überforderung. Nicht nur als  Anspruch an die Menschen, sondern auch für die Organisationen. Neben den Nach-vorne-Treiber:innen braucht es auch diejenigen, die dafür sorgen, dass sich das Neue festigen kann.  Stattdessen braucht es Offenheit und eine Kultur, in der das Neue gedeihen kann. Es reicht, wenn es ein paar Leute gibt, die Lust haben, Veränderungen anzustoßen. Und wenn die anderen bereit sind, mitzumachen oder zumindest die Veränderungen zuzulassen. 

Innovator:innen können allerdings nicht voraussetzen, dass alle für alles offen sind. Bedenken gehören zu Veränderungsprozessen dazu, aber über die kann man sich ja verständigen. Ich habe auch beobachtet, wie viel das Erleben ausmachen kann. Unsere [sic] erscheint manchen von Außen gesehen abstrakt. Oft reicht schon ein BarCamp und sie merken, wie viel ihnen die Community bringt. Dafür werben sie dann in ihrem Umfeld. Ich glaube, es ist ganz wichtig, neue Ansätze und Projekte nicht nur zu erklären, sondern spürbar zu machen, was gemeint ist.

Wie kann man Innovation und einen Kulturwandel anregen? Hast du ein paar Tipps? 

Als Innovationstreiber:in brauchst du auf jeden Fall Verbündete. Es hilft, erst einmal zu schauen, wen man leicht vom eigenen Vorhaben überzeugen kann. Und dann kann man gemeinsam die härteren Nüsse knacken. Inputs können aus meiner Erfahrung Neugier und Offenheit erzeugen. Wenn man aus erster Hand hört, dass andere das auch geschafft haben. Und man kann erst einmal mit kleineren Projekten starten und beim Machen lernen. 

Anführungszeichen

Es geht am Anfang also mehr darum, durch die Art, wie man in einem Team oder einer Organisation an die Dinge herangeht, etwas zu verändern, als durch das Was, das große Vorhaben.

Ich denke, um Veränderungen anzustoßen, ist es wichtiger, Dinge grundsätzlich anders zu machen, als gleich die große Digitalstrategie umzusetzen. Man kann zum Beispiel Meetings mit Check-In-Fragen eröffnen: Wie geht es dir heute? Oder: Was ist dein Lieblingseis? Schon das kann das Miteinander verändern. Oder man kann sich auch, was bisher selten praktiziert wird, regelmäßig wertschätzend Feedback geben. In unserem Team machen wir das einmal im Quartal: Was mochte ich an deiner Arbeit? Wo sehe ich Potenzial? Was nehme ich mit?

Wenn Feedback methodisch unterstützt wird und die Kommunikationsregeln klar sind, bringt das sehr viel. Man bekommt ein besseres Gefühl für die andere Person und lernt einiges über sich selbst. Um Austausch zu fördern, kann ich auch rotierende Matchings im Team empfehlen. Der Zufall entscheidet, mit wem man sich diese Woche zum 30-minütigen Plausch trifft. Ich finde das immer sehr bereichernd. Es geht am Anfang also mehr darum, durch die Art, wie man in einem Team oder einer  Organisation an die Dinge herangeht, etwas zu verändern, als durch das Was, das große Vorhaben. 

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