Man kennt ihn: Diesen einen Kommentar im Netz, der einen in die Weißglut treibt. Der die Stimmung in den Kommentarspalten kippt, den Glauben an ein gesellschaftliches Miteinander auf die Probe stellt – und Sprachlosigkeit auslöst. Stumm nehmen wir ihn hin, diesen Kommentar, scrollen weiter, aus den Augen, aus dem Sinn, und sind uns dabei der Konsequenzen unserer fehlenden Reaktion nicht bewusst. Denn ein Hasskommentar kommt selten allein, bleibt aber viel zu oft lange unwidersprochen.
Doch was verstehen wir überhaupt unter Hate Speech? Und, viel wichtiger: Wie sollten soziale Organisationen im besten Fall auf den Hass im Netz reagieren?
In unserer Reihe „So geht Social Media“ zeigen Expert:innen und soziale Organisationen mit toller Social Media-Arbeit, wie auch ihr die sozialen Netzwerke wirkungsbringend bespielen könnt – und was es dabei zu beachten gilt. An dieser Stelle gibt Sina Laubenstein von den Neuen Deutschen Medienmacher:innen Handlungsempfehlungen zum richtigen Umgang mit Hate Speech. Die anderen Serien-Artikel findet ihr hier.
Hate Speech – was steckt dahinter?
Der Begriff Hate Speech ist spätestens seit 2016 aus dem politischen und gesellschaftlichen Diskurs nicht mehr wegzudenken, wenn auch das Phänomen Hate Speech insgesamt nicht neu, geschweige denn ein Internetphänomen ist. Unter Hate Speech verstehen wir „sprachliche Handlungen gegen Einzelpersonen und/oder Gruppen mit dem Ziel der Abwertung oder Bedrohung aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer benachteiligten Gruppe in der Gesellschaft“ (Definition des No Hate Speech Movements Deutschland). Gemeint ist also gewaltvolle Sprache, die anderen Menschen ihre Würde, Gleichwertigkeit und Rechte abspricht. Formen von Hate Speech umfassen Sexismus, (antimuslimischen) Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus, Ableismus, Klassismus, Homo- und Transphobie.
Indes finden sich Hass und Hetze nicht nur in den Kommentarspalten großer Medienseiten oder auf den Profilen von Personen öffentlichen Interesses, sondern immer häufiger auch unter Beiträgen von Organisationen und Initiativen, insbesondere dann, wenn diese sich für Menschenrechte und Vielfalt einsetzen. Eine Studie der Hertie School of Governance bestätigte 2019, dass Hasskommentare für NGOs und den öffentlichen Sektor ein zunehmendes Problem werden: Nicht nur wird eine generelle Zunahme von Hassrede beobachtet, gleichzeitig wurde auch festgestellt, dass Hass und Hetze vor allem bei Organisationen auftreten, die sich mit gesellschaftlichen und politischen Themen befassen.
Grundsätzlich dürfte es nicht überraschen, dass sich analoge Diskriminierungsstrukturen im digitalen Raum fortsetzen. Hingegen ist es überraschend, dass Zivilcourage häufig am eigenen Bildschirmrand scheitert – dabei braucht es genau hier Solidarität mit Betroffenen. Und der Umgang mit Hass und Hetze kann und will gelernt sein.
Preparation is key
Schon beim Aufsetzen der Social Media Accounts, spätestens aber nach Lesen eben diesen Beitrags sollten verschiedene Dinge abgestimmt werden. Darunter vor allem die Antwort auf die Frage: Wie wollen wir mit Kritik und Hasskommentaren umgehen? Das ist nicht nur für die Moderation der Kommentarspalten, sondern vor allem für den Selbstschutz des Teams wichtig. Deshalb ist es dringend und zwingend notwendig, schon vorab eine Netiquette, also eine digitale Hausordnung, aufzustellen – und diese auch konsequent umzusetzen.
Es ist zudem sinnvoll, sich schon im Vorfeld einen Ablaufplan zu überlegen:
- Welche Schritte leiten wir ein, wenn Hass und Hetze in den Kommentarspalten toben, überhandnehmen, im Mail-Postfach und per Telefon ankommen?
- Wer muss informiert werden, wer kann helfen – und vor allem:
- Wie können wir uns und das Team schützen?
Es ist klar, dass, wenn es hart auf hart kommt, so ein Ablaufplan sicherlich auch umgeworfen wird. Nichtsdestotrotz ist es hilfreich, schon vorab Anhaltspunkte zu setzen und zu zeigen: Wir sind vorbereitet, wir machen uns Gedanken – und, vor allem: Wir nehmen das Problem ernst.
Es kann es auch sinnvoll sein, sich schon vorab zu überlegen, welche Hasskommentare und kritischen Argumente immer wieder in den Kommentarspalten auftauchen, diese aufzuschreiben und einen Umgang damit zu finden. Das kann man beispielsweise im Team besprechen oder zur Diskussion stellen, dazu kann man relevante Artikel, Studien und Quellen sammeln und eine Art Argumentationsleitfaden entwickeln und so langfristig das Community Management unterstützen.
Und zu guter Letzt: Netiquette, Ablaufplan und Argumentationsleitfaden sollten regelmäßig auf den Prüfstein gestellt und aktualisiert werden.
Mittendrin statt nur dabei:
10 Handlungsempfehlungen zum Umgang mit Hass im Netz
Spoiler-Alert – Das könnte nun eventuell eine Enttäuschung sein, denn: Es gibt weder eine goldene Lösung noch goldene Regeln zum Umgang mit Hass im Netz. Vielmehr braucht es eine Kombination aus Strategien und bewährten Handlungsempfehlungen – und selbst dann ist jede Situation anders, sind Menschen und Kontexte unterschiedlich. Folgende Schritte haben sich bislang jedoch in der Praxis bewährt.
#1 Die schweigende Mehrheit adressieren
Hater:innen werden sich in Kommentarspalten selten von ihrer Meinung abbringen lassen. Umso wichtiger ist es deshalb, die Menschen zu erreichen, die mitlesen.
#2 Mit Betroffenen solidarisieren
Das kann man ganz öffentlich oder in einer privaten Nachricht tun
#3 Die eigene Community belohnen
Bei der Moderation von Kommentarspalten tendieren Community Manager:innen häufig dazu, zuerst auf die krassesten Kommentare zu reagieren. Besser ist es, wenn man sich den sachlichen Kommentaren widmet und so die eigene Community belohnt und auch aufbaut. So regulieren sich Kommentarspalten später häufig fast von selbst.
#4 Nachfragen
Die einfachste und bewährteste Strategie im Umgang mit Hass im Netz: Nachfragen. Entweder, um Missverständnisse aufzuklären oder Hater:innen aus der Reserve zu locken, die dann munter weiter hetzen und hassen …
#5 Melden, Sperren und Blockieren
… und deshalb in der eigenen Kommentarspalte nichts verloren haben, deshalb unbedingt melden, sperren und blockieren. Man muss Hass im Netz nicht hinnehmen und stehen lassen – genau deshalb gibt es die Lösch- und auch Sperrfunktionen in den sozialen Netzwerken.
#6 Gegenrede und Haltung zeigen
Dabei aber auf den Tonfall achten. Gegenrede muss und wird nicht immer perfekt sein, manchmal fehlen Zeit und Muße, deshalb ein Pro-Tipp für den Notfall: „Wir sehen das anders“ – Gegenrede leichtgemacht. Übrigens: Häufig zeigt man schon dadurch Haltung, dass man die eigene Netiquette umsetzt.
#7 Hilfe holen und Netzwerke aktivieren
Man muss Hass und Hetze, auch in den eigenen Kommentarspalten, nicht alleine die Stirn bieten. Es gibt Initiativen, wie beispielsweise #ichbinhier und LoveStorm, die die Gegenrede unterstützen können. Und sollten Hass und Hetze dennoch überhandnehmen, ist es vollkommen in Ordnung Kommentarspalten zu schließen oder gar Beiträge zu löschen, solange dies offen kommuniziert wird.
#8 Keine endlosen Diskussionen führen
Wer auch nach dem fünften Argument kein Interesse an einem ernsthaften Austausch zeigt, wird das auch nicht nach dem fünfhundertsten Argument tun. Deshalb: Einen Schlussstrich setzen, sich aus der Diskussion verabschieden und nicht provozieren lassen (!).
#9 Schutz und Wohlbefinden des eigenen Teams
Weil es nicht oft genug gesagt werden kann: Der Schutz und das Wohlbefinden des eigenen Teams sollte oberste Priorität haben. Hass im Netz ist belastend, auch, wenn man nicht direkt betroffen ist. Umso wichtiger ist es, sich im Team auszutauschen, über die Erfahrungen zu sprechen und gemeinsame Wege zum Umgang von Hass und Hetze zu finden.
#10 Durchatmen
Und erst dann schreiben.
Und täglich grüßt das Murmeltier
Hate Speech gehört, früher oder später, leider zum digitalen Alltag vieler Organisationen und Initiativen, die sich für Menschenrechte und Vielfalt einsetzen und entsprechende Inhalte teilen. Doch das sollte weder Angst machen noch das Engagement mindern, im Gegenteil: Der Hass sollte motivieren und mobilisieren.
Das ist natürlich einfacher gesagt als getan, denn Hass und Hetze stumpfen ab, machen Angst und stellen Sinn und Zweck einer Online-Präsenz häufig in Frage. Umso wichtiger ist es deshalb, sich zu vernetzen, auszutauschen und weiterzubilden. Und Angebote, genauso wie Hilfestellungen und konkrete Tipps zum Umgang mit Hass im Netz, gibt es genügend. Unter anderem auf dem Helpdesk der Neuen deutschen Medienmacher:innen. Der Helpdesk, der in dieser Form europaweit einzigartig ist, bietet nicht nur umfassende Informationen zu Gegenrede-Strategien, sondern auch eine Übersicht über relevante Initiativen und Organisationen, die gegen Hass im Netz eintreten.
Eine davon, das NETTZ, veranstaltet diese Woche ihr analog-digital-hybrides Community Event. Anmelden könnt ihr euch noch bis zum 30. September!
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Danke fuer den tollen Blog Beitrag!🙂