Ausgangslage und Vorbereitung
Im Herbst 2019, nachdem das Trendthema überall aufgeploppt war, setzten wir die Digitalisierung auf unsere Agenda. Was bedeutet Digitalisierung für die AWO Niederrhein? Dieser Frage wollten wir uns mithilfe externer Unterstützung annähern und organisierten einen eintägigen Workshop. Daran nahmen 17 Mitarbeiter:innen der AWO Niederrhein aus unterschiedlichen Abteilungen und Bereichen teil, von der sozialen Arbeit über die zentralen Dienste bis zur Verwaltung. Dass unter den Teilnehmer:innen digital affine wie auch kritische Mitarbeiter:innen sind, war uns wichtig. In dem Workshop mit Roman Rüdiger von talent::digital fragten wir: Warum müssen wir die AWO Niederrhein digitalisieren? Wo ist Digitalisierung notwendig? Welche Werkzeuge benötigen wir?
Es war ein anregender Tag. Von der Ausstattung der Kitas bis zur digitalen Personalakte wurden viele Themen angesprochen. Ein Aspekt zog sich jedoch durch den gesamten Tag: die Befähigung der Mitarbeiter:innen. Digitalisierung konnte für die AWO Niederrhein nicht nur Technik und Tools bedeuten, sondern auch Qualifizierung.
Wir waren noch dabei, die Hausaufgaben und Impulse zu sortieren, als einige Wochen nach dem Workshop die Pandemie alles veränderte. Die AWO Niederrhein stand vor enormen Herausforderungen: Geschlossene Kitas, Senior:innenzentren und Pflegeeinrichtungen, die keinen Besuch mehr empfangen durften, Bildungs- und Beratungsstellen, die ad hoc ihr Angebot digitalisieren mussten. Und auch in der Verwaltung hatten wir kaum Erfahrung mit Remote-Arbeit oder digitalen Besprechungen.
Die Expedition beginnt
Im Frühling 2020 stand die AWO Niederrhein zwar nicht mehr vor einem Erkenntnis-, so doch vor einem Umsetzungsdefizit. Die Pandemie hat auch bei uns viele Prozesse beschleunigt. Die AG Digitalisierung, die aus dem Workshop hervorgegangen war, beschäftigte sich mit der Frage, wie angesichts der Pandemie die Arbeit aufrechterhalten werden konnte. Ein bunter Haufen aus Mitarbeiter:innen unterschiedlichster Bereiche und Positionen erarbeitete eine Roadmap mit über zwanzig Maßnahmen, die dann in kleinen Gruppen weiterverfolgt wurden. In den unterschiedlichen Bereichen hat sich im letzten Jahr viel getan: Interne Abläufe wie etwa die Kommunikation oder Raumbuchung wurden digitalisiert, Angebote in die virtuelle Welt verlegt oder digitale Formate etwa zur sexuellen Aufklärung entwickelt.
Auch eine wichtige und weitreichende Organisationsentscheidung wurde getroffen: Als zentrales Tool für alle Mitarbeiter:innen entschied sich die AWO Niederrhein für Microsoft 365 Teams. Diese Entscheidung führte zu einer wichtigen Erkenntnis: Um MS Teams auszuschöpfen, bedarf es einer grundlegenden Vorstellung von Digitalisierung. Von den digitalen Möglichkeiten und auch davon, wie Arbeitsprozesse digitalisiert werden können. Es braucht ein digitales Mindset.
Sommer 2020 bis Frühling 2021: Von der Projektidee zum Modellprojekt – die Skalierung
Um ein digitales Mindset organisationsweit zu entwickeln, müssten wir aber wissen, über welche digitalen Kompetenzen die Mitarbeiter:innen verfügen und welche Qualifizierungsbedarfe es gibt. Aus dieser Überlegung heraus entwickelte die AWO Niederrhein eine Projektidee. Im Laufe eines Jahres wollten wir die digitalen Fähigkeiten von 230 Mitarbeiter:innen aus der Geschäftsstelle sowie dem näheren Umfeld mithilfe des DigComp messen und passgenaue Weiterbildungsangebote entwickeln. Der DigComp (Digital Competence Check) ist ein europäischer Referenzrahmen für digitale Kompetenzen und erstaunlicherweise noch recht unbekannt.
Für uns ist er ideal, denn er bietet Neutralität und Anonymität in der Beurteilung digitaler Kompetenzen und fragt nach Grundlegendem. Nicht nur danach, wie gut jemand bestimmte Tools oder eine bestimmte Software beherrscht, sondern: Wie sicher kann jemand Daten recherchieren, filtern, bewerten oder verwalten? Wie gut kennt sich jemand mit Copyrights und Lizenzen aus? Wie kompetent ist jemand im Umgang mit Geräten oder in der Lösung technischer Probleme? Im Zentrum unserer Digitalstrategie steht dieses allgemeine Verständnis. Denn wir denken, dass das digitale Mindset ausschlaggebend für eine nachhaltige Digitalisierung von Organisationen ist.
Zeitgleich veröffentlichte die Stiftung Wohlfahrtspflege NRW einen Förderaufruf, um die Träger der Freien Wohlfahrtspflege dabei zu unterstützen, die Chancen der Digitalisierung stärker zu nutzen und in ihre Arbeit zu integrieren. Wir reichten unsere Projektskizze ein. Die Resonanz war überraschend. Man fand die Idee so innovativ und einzigartig, dass man uns vorschlug, unser Projekt größer aufzuziehen und auch die Kreisverbände einzubeziehen. Eine Modellförderung wird einem nicht alle Tage angeboten. Die Skalierung war eine tolle Chance und eine Herausforderung. Unter Berücksichtigung der Vorgaben des Förderers haben wir das Projekt neu aufgesetzt. Das Modellprojekt wird zudem von einer Hochschule wissenschaftlich begleitet. Sie hat unter anderem die Aufgaben herauszufinden, ob unser Ansatz funktioniert und übertragbar auf andere zivilgesellschaftliche Organisationen ist.
Mit der Erhebung wollen wir die Mitarbeiter:innen da abholen, wo sie sind. Wir wollen dort Grundlagen legen, wo sie fehlen, und Schulungen vermeiden, wo das Wissen längst vorhanden ist oder nicht benötigt wird.
Das Vorhaben
Innerhalb von drei Jahren werden wir nun die digitalen Kenntnisse von 1000 Mitarbeiter:innen der AWO Bezirksverband Niederrhein sowie von vier Kreisverbänden ermitteln und gezielt fördern. Der DigComp umfasst die sechs Kompetenzfelder Informations- und Datenkompetenz, Kommunikation und Kooperation, Gestalten und Erzeugen digitaler Inhalte, Sicherheit, Problemlösung sowie Analyse und Reflexion. Alle Kompetenzfelder sind noch einmal in insgesamt 24 Bereiche unterteilt. In einer ersten Phase werden über ein Onlinespiel die digitalen Kompetenzen der Mitarbeiter:innen entsprechend dem DigComp-Rahmen ermittelt. Die Mitarbeiter:innen erstellen sich einen Avatar und durchlaufen mehrere Spielepisoden mit unterschiedlichen Themenschwerpunkten. Jede Spielepisode dauert 25 bis 30 Minuten und bietet den Spieler:innen zudem weiterführendes Lehrmaterial.
Am Ende jeder Spielepisode sehen die Mitarbeiter:innen, wie viele Punkte sie erreicht haben. Dem AWO Niederrhein werden die Spielergebnisse wiederum nur anonymisiert angezeigt. Da wir jedoch alle Spieler:innen unterschiedlichen Clustergruppen zuordnen können, wird es uns in der zweiten Phase möglich sein, die Kenntnisse entsprechend unterschiedlicher Bereiche und Positionen zu ermitteln. Bei der Auswertung ist maßgeblich, wer welches Wissen in welcher Tiefe braucht. In manchen Bereichen reicht es aus, wenn die Mitarbeiter:innen ein beispielsweise Grundverständnis vom Datenschutz haben und beurteilen können, welche Daten eine App abfragt und ob und in welchem Umfang sie diese für die Arbeit mit Klient:innen nutzen können. In anderen Bereichen oder Positionen ist jedoch mehr Wissen gefragt.
In Bezug auf die Erstellung digitalen Contents sollte ein:e Mitarbeiter:in im Bildungswerk oder in der Öffentlichkeitsarbeit beispielsweise Meister:in sein. In anderen Abteilungen muss dieses Können jedoch nicht so ausgeprägt sein, da reicht es, eine grundsätzliche Vorstellung zu haben, was die Kolleg:innen eigentlich machen. Hier, bei der Auswertung, wird es dann passgenau, denn auf Grundlage der Daten werden wir die geeigneten Weiterbildungsmaßnahmen für die unterschiedlichen Gruppen entwickeln. Denkbar sind viele Formate: Video-Tutorials, Beiträge zum Nachlesen, Workshops, Schulungen. Mit der Erhebung wollen wir die Mitarbeiter:innen da abholen, wo sie sind. Wir wollen dort Grundlagen legen, wo sie fehlen, und Schulungen vermeiden, wo das Wissen längst vorhanden ist oder nicht benötigt wird.
Sommer 2021 und Ausblick: Die Modellprojekt-Expedition beginnt
Mit der Projektvorbereitung sind wir in den letzten Zügen. Im Juli wird das Modellprojekt offiziell starten. Die erste Spielepisode soll im September 2021 freigeschaltet werden. Darauf sind wir sehr gespannt. Wir hoffen, dass wir über den Gamification-Ansatz gleich zu Beginn möglichst viele Mitarbeiter:innen für die Ermittlung ihrer Kompetenzen gewinnen können. Alle drei bis vier Wochen wird dann eine neue Spielepisode hinzukommen.
Wie es dann weitergehen wird, wissen wir bisher nur ungefähr. Wir haben das Projekt in großen Phasen und bewusst agil angelegt. Im Frühling 2022 soll die erste Phase abgeschlossen werden. Gemeinsam mit der Hochschule werden wir dann die Daten auswerten. Danach werden wir geeignete Weiterbildungsformate für die unterschiedlichen Level entwickeln und spätestens im Herbst 2022 die ersten Qualifizierungen anbieten.
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Vielen Dank für diesen superspannenden Einblick in euer Projekt und Vorhaben. Kannst du sagen, mit welcher Hochschule ihr zusammenarbeitet?
Liebe Gesine, wir haben mal nachgefragt und melden uns hoffentlich bald mit der Antwort zurück.
Die Hochschule wird mit dem Projektstart im Juli im Rahmen einer Ausschreibung ermittelt werden. Für Details darfst Du dich gern direkt an Michael Rosellen wenden.
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