Es war ein Mittwoch im März als der Anruf kam. Petra Rollfing fuhr gerade von Kiel nach Hamburg, als die Berliner Zentrale sich bei ihr meldete. Die 28-Jährige müsse nach Hause kommen, alle Veranstaltungen seien bis auf weiteres abgesagt, wegen Corona und der angeordneten Kontaktbeschränkungen.
„Das war schon ein Schock“, erinnert sich Petra. Ein Schock, weil genau diese Vor-Ort-Veranstaltungen den Hauptteil ihrer Arbeit für die Digitale Nachbarschaft darstellen: „Ich bin Digitalreferentin, fahre mit unseren Mobil von Ort zu Ort und erkläre engagierten Menschen die Digitalisierung von Angesicht zu Angesicht“. Erstmal wussten sie und ihr Team von der Digitalen Nachbarschaft nicht, wie und ob sie überhaupt weitermachen könnten.
Die Digitale Nachbarschaft, kurz DiNa, hat es sich zur Aufgabe gemacht, kleine und größere Vereine auf ihrem Weg in die digitale Welt zu unterstützen, datensparsam und sicher. Es gibt rund 600.000 Vereine in Deutschland. Mehr als jeder zweite Deutsche ist in einem Verein organisiert, wie die Robert-Bosch-Stiftung in einer Studie von 2017 herausfand. In Vereinen werden manchmal Briefmarken gesammelt oder Kakteen und Kaninchen gezüchtet, in anderen der Wald erhalten oder Vögel gerettet, in wieder anderen Sport getrieben, Schulen unterstützt oder die Entwicklung von Kindern gefördert, eine Sprache gesprochen, Begegnung ermöglicht, ein Brauchtum erhalten und so vieles mehr. Vereine und ihre ehrenamtlich Engagierten sind das Rückgrat der Zivilgesellschaft in Deutschland und stemmen viele Angebote, die es sonst nicht geben würde.
Digitalisierung als Chance und nicht als Belastung
All diesen Vereinen hilft die Digitale Nachbarschaft bei Fragen rund um die Digitalisierung. Wie legt man ein Impressum an? Was hat es mit der Datenschutzerklärung auf sich? Wie könnte eine digitale Mitgliederverwaltung aussehen? Wie lässt sich der Auftritt eines Vereins in den sozialen Medien gut gestalten und gleichzeitig datensparsam nutzen? Könnte man eine Online-Fundraising-Aktion machen? Darf man Fotos vom Weihnachtsfest knipsen und an alle senden? Wie funktionieren Newsletter und wann sind sie sinnvoll?
„Wir zeigen, dass die Digitalisierung keine Belastung sein muss, sondern eine Chance sein kann“, sagt Henning Baden. Er war bis Ende November Projektleiter bei der Digitalen Nachbarschaft. Wichtig sei, dass die Menschen von den Angeboten nicht überfordert sind. „Wir wollen nicht, dass das Gefühl entsteht „Was soll ich denn noch alles machen“, sondern dass sie im Gegenteil die Digitalisierung als ein eigenes, neues Standbein ihrer Vereinsarbeit begreifen.“ Genau dafür vermitteln Petra und ihre Kolleg:innen das Wissen um Techniken, Tools und Organisationsabläufe und schulen die Vereinsmitglieder, die dann ihr neu gewonnenes Wissen wiederum an andere Mitglieder weitergeben können.
Manche hatten noch nie ein Tablet in der Hand
Die Bandbreite derer, die die Vor-Ort-Seminare in den DiNa-Treffs besuchen, ist sehr groß. „Da sind Menschen dabei, die noch nie ein Tablet in der Hand gehalten haben und bei denen man quasi von ganz vorne anfangen muss“, sagt Henning. Dann sind es viele kleine Vereine, die von dem Engagement einiger weniger leben, „in denen die Tochter der Vorsitzenden die Webseite betreibt oder ein Engagierter in mühevoller Kleinarbeit einen Bericht über die Weihnachtsfeier schreibt, den auf Facebook postet, den dann aber keiner liest“, sagt Henning.
Zu den einzelnen Themenbereichen stellt die Digitale Nachbarschaft Videos, Reader, Checklisten auf der Webseite bereit. Wichtiger sind aber die Schulungen vor Ort, „persönlich können wir mit Spaß und Elan direkt auf die Fragen und Problemstellung der Menschen eingehen“, sagt Petra. Dafür haben sie 50 Partner:innen in allen Regionen Deutschlands. Diese Partner:innen organisieren die Seminare, laden die Vereine von vor Ort dazu ein, kümmern sich um die Räume und das Setting. Petra und ihre Kolleg:innen kommen dazu und sind für die Inhalte verantwortlich. So war es bis zu diesem besagten Mittwoch im März 2020, als die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie in Kraft traten und das soziale Miteinander der aller meisten Vereine erstmal pausieren musste.
Digitale Nachmit-Talks
„Eine ganze Zivilgesellschaft war von jetzt auf gleich erstmal sprachlos“, sagt Henning. Auch die Mitarbeiter der Digitalen Nachbarschaft mussten sich erstmal sammeln, umdenken und neu aufstellen. Die Vereine wollten nicht mehr wissen, wie sie ein Impressum anlegen. Sie wollten erfahren, wie sie überhaupt mit ihren Mitliedern kommunizieren, wie sie in irgendeiner Form ihre Aktivitäten und den Austausch untereinander aufrechterhalten können – und sei es auf digitalen Wegen.
Als erstes hat die Digitale Nachbarschaft die sogenannten Nachmit-Talks eingeführt. Das sind Online-Gesprächsrunden zu den aktuell dringenden Themen: Wie kann man Online zusammenarbeiten, wie eine Videokonferenz oder ein Onlineseminare gestalten? Können Instant Messenger wie Whatsapp eine gute Kommunikationsplattform sein? Welche Tools gibt es in diesem Zusammenhang überhaupt und welche davon sind datensparsam und sicher verwendbar?
Es lebe die Videokonferenz
Für die Kommunikation untereinander empfiehlt Petra die Videokonferenz. Die Vereinsmitglieder würden sich sehen, könnten Gesichtsausdrücke und Gesten erkennen, insgesamt fühle man sich verbundener und gemeinschaftlicher. „Im Gegensatz zum Telefonat lassen sich so besser Missverständnisse und Konflikte vermeiden“, sagt Petra. Von der Vorstandssitzung bis zur Mitgliederbesprechung, all das kann Online stattfinden. Die Nachfrage war groß. An jedem dieser Nachmit-Talks haben 100 und mehr Leute aus ganz Deutschland teilgenommen.
Nach und nach begannen Petra und ihre Kolleg:innen auch ihr Standardprogramm in Onlineseminare zu überführen. Wieder gingen sie über ihre regionalen Partner, die die Vereine von vor Ort einluden, diesmal aber Online. Als Plattform diente ihnen hier „Edudip“, das auch von Volkshochschulen benutzt wird. „Wir mussten schauen, was für Interaktionsmöglichkeiten wir brauchen. Das Whiteboard zum Beispiel oder die Chatfunktionen“, sagt Henning. Es ging darum, das Seminar nicht als eine Art Lesung zu gestalten, sondern den Mitmachfaktor zu stärken. Das kann eine digitale Landkarte sein, auf die jeder einen virtuellen Stecknadelkopf setzt, um anzuzeigen aus welcher Ecke der Region man kommt. Oder kleine Abstimmungen, die man mit dem Echtzeit-Feedback-Tool „Mentimeter“, einbaut.
Wir lernen. Wir probieren aus.
Petra Rollfing (Bild: Andi Weiland)
Das was schiefgeht, gehört dazu.
Den technischen Support nicht unterschätzen
Die digitalen Seminare leiten sie zu dritt. Eine:r kümmert sich um den Inhalt, die zweite Person um den Chat und die dritte Person um den technischen Support per Telefon. Wenn die Teilnehmer:innen gar nicht erst reinkommen oder immer wieder rausfliegen, wenn der Rechner zu langsam, das Mikro aus oder man einfach nicht hinterherkommt, können sie beim Support anrufen. „Manche fühlen sich unsicher und haben Angst sich zu blamieren, weil diese Form der Kommunikation neu für sie ist“, sagt Petra.
Das gilt es, gut aufzufangen. Bei den Seminaren vor Ort war das einfacher in einem kurzen Gespräch zu klären. Digital ist es schwieriger, weil sie die Menschen nicht unmittelbar vor sich haben. „Überhaupt haben wir mit unseren Online-Formaten eher die erreicht, die sowieso schon fitter in digitalen Sachen sind. Die anderen kamen gar nicht erst dazu“, sagt Henning.
Das Wichtigste sei es aber, überhaupt erst einmal loszulegen und sich nicht davon abhalten zu lassen, dass Fehler passieren können. Bei ihrem ersten Nachmit-Talk imFrühjahr brach alles zusammen, weil sich so viele Leute angemeldet hatten, dass nichts mehr ging. Beim zweiten Treffen funktionierte der Ton nicht. „Dabei ist das alles nicht schlimm. Wir lernen. Wir probieren aus. Das was schiefgeht, gehört dazu“, sagt Petra.
Ihr Tipp für Onlineseminare: Wer zum ersten Mal eines anbietet, sollte das komplette Seminar einmal online als Simulation üben. Dann kennt man sich mit der Technik aus, weiß wie man Leute in extra Räume schickt, wie man Umfragen einblendet oder überhaupt jemanden das Wort erteilt. Auch sollte man sich 15 oder 20 Minuten früher mit den Teilnehmer:innen im digitalen Raum treffen, um zu überprüfen, ob die Technik bei jedem auch wirklich funktioniert.
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