Wenn das Neue in die Welt kommt, tut es das meist schüchtern. Es schleicht sich an, steckt seine Nase hierhin und dorthin und verschwindet auch mal wieder. Ob, wann und wie es Fuss fasst, Wurzeln schlägt und wächst, ist oft nicht greifbar. Immer hängt es nicht nur am “Neuen” an sich, sondern auch daran, wie das soziale Umfeld reagiert. Nicht zuletzt braucht jede Innovation Fürsprecher:innen, die es voran- und in die Breite tragen.
Ein Wandel ist spürbar
Gerade tut sich was hinsichtlich der Art, wie wir über Software nachdenken. Mehr und mehr stellen wir nicht mehr nur die Frage “Funktioniert es gut?”. Wir begreifen, dass Software uns einen Rahmen baut, der nicht per se neutral ist. Nicht nur wir machen etwas auf Facebook – Facebook macht auch was mit uns. Je nach Gestaltung ist Software Ermöglicherin und Begrenzerin. Sie lädt ein oder schließt aus. Sie schützt durch ihre Funktionen – doch die Frage ist: wessen Interessen?
Was noch vor drei Jahren maximal den Chaos Computer Club bewegt hat, bereichert neuerdings das Feierabendprogramm: Netflix produziert die empfehlenswerte Dokumentation “The Social Dilemma”. Darin stellen führende Denker:innen und Softwarepioniere der Silicon Valley Giganten das System in Frage, das sie selbst mit gebaut haben. Bund und Kommunen gehen bei der Digitalisierung von Verwaltungsdienstleistungen neue Wege, setzen bei der IT-Entwicklung die Nutzer:innen ins Zentrum und Zusammenarbeit als Modus. Und immer mehr zivilgesellschaftliche Organisationen fragen sich, wie sie ihre IT nicht nur zum Laufen bringen, sondern als gute Struktur aufsetzen, die ihren Werten entspricht.
Den Ton setzen
Etwas ist in Bewegung geraten, die Innovation blinzelt ums Eck. Der Soziologe Everett M. Rogers hat mit “Diffusion of Innovations” einen Klassiker der Innovationsforschung geschrieben. Wenn man ihm folgt, dann durchlaufen soziale Systeme mehrere Stufen bis eine Neuerung tatsächlich in der Breite angekommen ist. Bescheid zu wissen, dass ein neuer Ansatz, eine neue Lösung verfügbar ist – das ist nur der erste Schritt. Man würde meinen, darauf folgt die Entscheidung, ob man’s denn nun nutzen will oder lieber beim Alten bleibt.
So einfach ist es aber nicht: Dazwischen liegt ein etwas unordentlicher Abschnitt. In dem fließt alles ineinander, von den persönlichen Vorlieben über verfügbare Ressourcen, Informationen und Kompetenzen bis zur Gretchenfrage, wie man sich mit Veränderung generell fühlt. Persuasion nennt Rogers diesen Zustand, in dem die Gesellschaft und wir in ihr nach einer neuen Einstellung und dem richtigen Weg suchen. Wer in dieser Phase Entscheidungen trifft, hat es nicht leicht. Enorm viel ist gleichzeitig zu sortieren, Vorbilder und Orientierungspunkte sind Mangelware. Es ist die Phase der Pioniere und Early Adopters, die den Ton setzen für alles, was danach kommt.
Es ist noch unübersichtlich, aber sie kommt: die gute Software
Man kann die aktuelle Gemengelage rund um Software, und was sie sein soll, so lesen. Da ist der Status Quo der vielen Tech-Produkte. Ihre Angebotspalette ist so reich, dass Überblick schwer fällt, und dabei hochentwickelt mit Blick auf Leistungsfähigkeit und Design. Daneben wird ein wachsendes Unbehagen und der Wunsch nach neuen Qualitäten greifbar. Datenzurückhaltung, Transparenz, Barrierefreiheit, ein gutes Verhältnis zwischen Kosten und Nutzen: neue Ansprüche an Software brechen sich Bahn, denen die bisherige Angebotslandschaft oft nicht entsprechen kann.
Und viele neue Produkte strecken sich, oft noch klein, manchmal wackelig, aber potentialreich. Sie denken Software neu, von den Bedürfnissen und Nutzer:innen her, und mit Blick auf den langfristigen gesellschaftlichen Nutzen. So wie das Stadtnavi in Herrenberg, Pretix als Lösung für digitale Eintrittskarten oder die kommunale Beteiligungsplattform Consul. Wir können beobachten, wie ein Markt für eine neue Generation von guter Software entsteht. Software, die in den demokratischen Werten von Teilhabe und Inklusion, in den Rechten und im Wohlergehen von jedem Bürger und jeder Bürgerin verankert ist.
Jetzt ist der soziale Sektor gefragt – und wir legen vor
Welch tolle Chance für die Zivilgesellschaft, in diesem Innovationsschritt Pionier zu sein. Denn zusammen mit der öffentlichen Hand brauchen soziale Organisationen eine neue digitale Produktpalette. Wir übernehmen Fürsorge für Gruppen, die sich uns anvertrauen. Geschieht das im digitalen Kontext, tragen wir eine besondere Verantwortung, auch hier tragfähige Schutzräume zu ermöglichen. Unsere Arbeit fußt in Werten wie Offenheit und Inklusion. Da muss es schmerzen, wenn unsere digitalen Angebote dem nicht gewachsen sind.
Der Wille ist deutlich, die Stimmen werden lauter – nur: Schaffen wir das? Mit begrenzten Ressourcen und oft ohne fachliches IT-Knowhow an Bord? Wir stehen am Anfang des Innovationswegs. Im Wortsinn bedeutet Persuasion Überzeugung. Für die braucht es vor allem ein Bild von der Zukunft, die wir uns wünschen.
Damit der Nebel sich lichtet und die Perspektiven klarer werden, haben wir uns hingesetzt. Wir haben Dilemmata gewälzt, Konzepte gebastelt und nach guten Beispielen gesucht. Es war nicht schwer, welche zu finden. Das Ergebnis könnt ihr in unserem D3-Papier zur guten Software nachlesen. Darin argumentieren wir, dass gute Softwarequalität umso wichtiger wird, je gesellschaftsbezogener ihr Einsatz passiert. Wir formulieren sechs Prinzipien, die beim Erkennen und Gestalten guter Software helfen und schlagen Wege vor, wo wir sie finden und wie wir sie stärken können. Drei Beispiele sollen das Thema greifbarer machen.
Jetzt lesen
D3-Papier: Gute Software für soziale Teilhabe
D3 wünscht gute Lektüre!
Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung-Nicht kommerziell 4.0 International Lizenz.