Es gibt tolle digitale Tools zur Nutzung in Online-Lernveranstaltungen. Ich arbeite unter anderem liebend gerne mit Flinga zum Brainstorming, mit Mentimeter für interaktive Stimmungsbilder oder mit dem Conceptboard zur inhaltlichen Erarbeitung von Themen. Mindestens ebenso gerne mag ich aber Videokonferenzen ganz ohne ‘SchnickSchnack’, die allein durch Gesprächstechniken und Moderationsmethoden abwechslungsreich und spannend werden.
Warum können Videokonferenzen ohne SchnickSchnack eine gute Idee sein?
Für Videokonferenzen ohne SchnickSchnack sprechen aus meiner Sicht vor allem die folgenden drei Gründe:
- Niederschwelligkeit: Für manche Zielgruppen ist es sehr herausfordernd, mehrere Tabs und Tools gleichzeitig zu berücksichtigen. Für eine niederschwellige Beteiligung kann es dann hilfreich sein, wenn es tatsächlich ‘nur’ das Videokonferenztool ist, das man im Blick behalten muss.
- Abwechslung: So toll und spannend viele Tools sind, so sehr können sie auf Dauer auch ermüden. Wenn ich z.B. drei Webinare hintereinander besuche und jedes Mal zum Einstieg nach einem Stimmungsbild via Mentimeter gefragt werde, dann finde ich das nicht mehr sonderlich spannend. Genauso wie es also gilt, immer mal wieder neue Ideen für einen kreativen Tool-Einsatz zu entwickeln, so kann Abwechslung gerade auch dadurch ermöglicht werden, dass ich als lehrende Person ganz bewusst mal gar kein externes, technisches Tool einsetze.
- Kommunikationskompetenz: Videokonferenzen ohne SchnickSchnack entwickeln sehr stark kommunikative Kompetenzen wie z.B. sich gegenseitig zuhören oder auf das Gesagte einer anderen Person Bezug zu nehmen.
Welche Methoden gibt es für Videokonferenzen ohne SchnickSchnack?
Im Folgenden möchte ich 5 Methoden vorstellen, die sich für Videokonferenzen eignen, die Kennenlernen, einen Einstieg in ein Thema und ersten Austausch dazu ermöglichen. Im Gesamten ergibt sich daraus ein Workshop, den ich in dieser Form zur Vorbereitung der Gestaltung von Bildungsmaterialien für Erwachsenenbildner:innen durchgeführt habe. Aber natürlich kann man auch nur einzelne Methoden davon auswählen und alle Methoden auch beliebig für den eigenen Kontext passend, umgestalten.
1. Vorstellung mit Vernetzungspotential
Für Vorstellungsrunden ohne die Nutzung externer Tools gibt es viele gute Ideen. Ich mag unter anderem:
- Jede Person holt einen Gegenstand, zeigt ihn in die Kamera und sagt, warum er ihr wichtig ist.
- Jede Person stellt sich mit drei Schlagworten vor, die sie selbst besonders gut charakterisieren.
- Jede Person sagt etwas, was sie charakterisiert. Die anderen signalisieren mit Handzeichen, ob das auf sie auch zutrifft oder nicht.
Bei all diesen Ideen sollte zunächst das Prinzip der ‘virtuellen Redestab-Weitergabe’ eingeführt werden. Das bedeutet: Nachdem eine Person fertig gesprochen hat, ruft nicht die Moderation die nächste Person auf, sondern die Person, die gesprochen hat. Dann übernimmt diese Person, die wiederum die nächste Person auswählt…
Neu ausgedacht habe ich mir die ‘Vorstellungsrunde mit Vernetzungspotential’, die nach dem gleichen Muster wie die drei obigen Beispiele funktioniert. Aber anstatt nur über sich selbst zu reden, sind die Teilnehmenden aufgefordert, eine Verbindung zu der Person zu benennen, an die sie den Redestab weitergeben.
Ich bin Maria von der Organisation Engagement Global und ich gebe den Redestab weiter an Julia, die heute wie ich vor einem Bücherregal sitzt.
Je nachdem, ob sich die TN schon kennen oder nicht, verändert die Vorstellungsrunde den Charakter. Wenn schon Verbindungen bestehen, wird oft über gemeinsame Erlebnisse oder gemeinsame berufliche Hintergründe berichtet. Wenn nicht, wählt man die äußeren Merkmale, die für einen in der Videokonferenz sichtbar sind. In jedem Fall beschäftigt man sich von Beginn an mit den Mitlernenden und beobachtet alle genau. Das mag ich an dieser Methode.
2. Inhaltlicher Einstieg mit Thesenauswahl
Zum inhaltlichen Einstieg in ein Thema kann man als moderierende Person vorab Thesen oder Aussagen zum Thema formulieren, die einem selbst wichtig sind. Die Sätze sollten möglichst kurz und prägnant formuliert, in der Ich-Form geschrieben und durchnummeriert sein. Bewährt hat sich eine ungefähre Anzahl von 10 Sätzen. In meinem Workshop habe ich zum Thema ‘Gestaltung von Selbstlernmodulen’ z.B. vorab die folgenden 10 Sätze formuliert:
- Ich möchte, dass Lernende dank Selbstlernmodulen zeitlich flexibel lernen können.
- Ich finde es toll, dass Selbstlernmodule längerfristig und nachhaltig verwendet werden können.
- Ich finde Videokonferenzen für Input für alle Beteiligten nicht zufriedenstellend und orientiere deshalb auf ‘flipped’ Input mit Selbstlernmodulen.
- Ich mag es, wie vielfältig man Selbstlernmodule erstellen kann.
- Ich finde es wichtig, Selbstlernmodule personalisiert zu gestalten.
- Ich finde es gut, dass mit Selbstlernmodulen Lernen im eigenen Tempo ermöglicht wird.
- Ich sehe es als Herausforderung an, dass Selbstorganisation von Lernenden gestärkt wird, damit Selbstlernmodule produktiv genutzt werden können.
- Ich mache mir Sorgen, dass einzelne Lernende überfordert sind, mit Selbstlernmodulen zu lernen.
- Ich wünsche mir auch bei Selbstlernmodulen die Möglichkeit zu Interaktion.
- Ich finde es toll, wenn Selbstlernmodule offen geteilt werden, damit andere darauf aufbauen können.
In der Videokonferenz werden die nummerierten Sätze dann von der moderierenden Person in den Chat gepostet – und die Teilnehmenden erhalten die Aufgabe, sich ganz schnell für einen Satz zu entscheiden, der für sie selbst bei dem Thema am relevantesten und wichtigsten erscheint. Wenn sie sich entschieden haben, posten sie die Nummer des gewählten Satzes in den Chat. Anschließend folgt eine Reflexionsrunde mit einer kurzen Begründung: Jede Person erläutert, warum sie sich für den gewählten Satz entschieden hat. Der Chat mit den geposteten Nummern kann hierbei gleich als ‘Redeliste’ genutzt werden.
Diese Methode finde ich sehr lohnend, weil Teilnehmende erstens eigene Vorerfahrungen aktivieren und einen eigenen Bezug zum Thema herstellen. Durch die 10 Thesen erhalten sie zugleich sehr niederschwellig ersten Input, was z.B. für diejenigen wichtig ist, die sich ganz neu in einem Thema orientieren wollen. Und durch die Erläuterungen der anderen Teilnehmenden erhalten sie zugleich viele weitere Perspektiven auf das Thema.
3. Plus/Minus-BreakOut-Diskussion
Um in ein Thema noch etwas vertiefter einzusteigen (oder auch um es abschließend zu reflektieren) bietet sich eine ‘Plus/Minus BreakOut Diskussion’ an. Die Teilnehmende werden in 3er- bzw. maximal 4er Gruppen in BreakOut-Räume für ca. 10 Minuten eingeteilt. Ihre Aufgabe ist es, sich auf zwei Schlagworte / kurze Aussagen zum behandelten Thema zu verständigen:
- zum größten Potential/ größten Vorteil, welchen sie sehen.
- zum größten Risiko/ zur größten Gefahr, welche sie sehen.
Am Ende der BreakOut-Räume nennt je eine Person aus der Gruppe, die gefundenen Schlagworte und begründet kurz, warum sich die Gruppe dafür entschieden hat. Ein Tipp: Ich gehe hier übrigens so vor, dass ich mir während der BreakOut-Räume, in denen ich als moderierende Person ja im Plenum verbleibe, eine Person von der Namensliste aus jedem BreakOut Raum aufschreibe – und die dann direkt drannehme, anstatt zu fragen „Wer will berichten?“)
Ich mag die Methode, weil es einen sehr intensiven Austausch unter den Teilnehmenden ermöglicht – und die ‘Knackpunkte’ eines Themas in den Blick kommen.
4. Hand-Abstimmung
Nicht mit Abstimmungstools abzustimmen, sondern über die Kamera, geht unter anderem mit der Post-It Methode. Die moderierende Person sagt einen Satz, z.B. „Ich bin aktuell im Homeoffice mit schulpflichtigen Kindern“. Auf wen das nicht zutrifft, der/die verdeckt die Kamera. Dann folgt der nächste Satz.
Wenn man diese Methode nicht zur Vorstellung und zum Kennenlernen, sondern zur Rückmeldung für einen selbst als lehrende Person verwenden will (Was wäre hilfreich noch vertiefter zu behandeln? Zu welchen Themen wäre es empfehlenswert, dass ich Selbstlernmaterialien kuratiere? Wen sollte ich zu einem bestimmten Thema nochmals gezielt ansprechen und Unterstützung anbieten …?), bzw. für ein Stimmungsbild in der Gruppe, dann kann man anstelle der Post-Its-Abdeckung auch mit der Hand als Abstimmungstool arbeiten. Jede Person zeigt in Reaktion auf den gesagten Satz eine bestimmte Anzahl von Fingern: 1 bedeutet dabei ‘trifft auf mich nicht zu’, 5 bedeutet ‘trifft auf mich voll zu’.
Diese Methode hat den großen Vorteil, dass sie superschnell ist, Spaß macht und zugleich Auflockerung bringt. Als lehrende Person habe ich so in kürzester Zeit ein Stimmungsbild über mögliche nächste Schritte in einem Lernangebot.
5. Strukturierte Frage-/Thesen-Sammlung in der Gruppe
In vielen Webinaren werden zum Abschluss oder auch während des Lernangebots kollaborativ Fragen gesammelt und priorisiert. Dazu wird meist ein Sammel-Tool mit Bewertungsfunktion (z.B. Mentimeter, Slido, Flinga) verwendet. Das Prinzip des Fragesammelns ist hier meist ähnlich wie beim Brainstorming: Teilnehmende schreiben erst mal alles rein, was sie beschäftigt. Durch die kollaborativen Priorisierungen ergibt sich dann eine Struktur. Die Idee ist es dann, dass die lehrende Person die höchst bewerteten Fragen aufgreift und dazu Antworten gibt.
Wenn man ein Lernangebot stärker als kollaborativen Lernprozess fasst, bei dem nicht eine Person die Antworten hat, sondern bei dem es wichtig ist, Fragen (oder auch Thesen) als Gruppe zu formulieren, um daran dann gemeinsam weiter arbeiten zu können, dann kann es auch sinnvoll sein, die Sammlung anders und strukturierter zu gestalten.
Ich gehe gerne wie folgt vor:
- Jede Person schreibt für sich so viele Fragen, wie ihr einfallen, auf einen Zettel (ca. 3 Minuten).
- Jede Person priorisiert für sich die aufgeschriebenen Fragen, indem sie sie z.B. mit Nummern versieht (ca. 1 Minute).
- Jede Person darf die für sie wichtigste Frage (= die, die ganz oben auf der eigenen Liste steht) nennen. Die anderen können als Stimmungsbild mit Handzeichen signalisieren, ob sie die Frage auch relevant finden.
- Wenn eine Frage bereits dran war, streicht man sie auf der eigenen Liste durch.
- Wenn man dran ist und alle eigenen Fragen schon durchgestrichen sind, kann man als ‘Joker’ seine Frage-Gelegenheit an jemanden anderes aus der Gruppe weitergeben.
Zum Abschluss der Runde postet jede Person, die Frage, die sie eingebracht hat, in den Chat. Entstanden ist eine Sammlung von Fragen, die sich die jeweilige Gruppe gemeinsam vornehmen will und in der alle – auch mit evtl. spezielleren Fragen, aber in jeden Fall mit dem, was am meisten unter den Nägeln brennt – berücksichtigt sind.
Was sind Voraussetzungen für die vorgestellten Methoden?
Ich habe oben schon kurz dargestellt, dass diese Methoden von mir in interaktiv angelegten Einstiegswebinaren zu einem Thema verwendet werden. Damit sie erfolgreich funktionieren, braucht es vor allem die folgenden drei Rahmenbedingungen:
- Es sollten möglichst nicht mehr als 15 Personen teilnehmen (= alle Kamerabilder sollten bei allen auf einen Bildschirm passen)
- Teilnehmende Personen sollten im Vorfeld informiert werden, dass es sich um eine interaktive Veranstaltung handelt, bei der aktive Beteiligung gefordert ist.
- Zur aktiven Teilnahme sollte bei allen die Kamera freigeschalten sein. Auch das sollte im Vorfeld transparent gemacht werden.
Dieser Artikel wurde von Nele Hirsch im Blog des eBildungslabor am 5. März 2021 erstveröffentlicht. Das Angebot des eBildungslabor richtet sich an alle, die zeitgemäße Bildung realisieren möchten. Zielgruppe sind sowohl Bildungsinstitutionen als auch Organisationen der Zivilgesellschaft. Wer mehr erfahren möchte, kann sich hier umschauen.
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