Keine Frage: Digital dazugelernt haben wir wohl alle im Corona-Jahr. In unserer Artikelserie zu (digitalen) Pandemie-Spuren blickt Imke Bredehöft von der KOMBÜSE – Kommunikationsbüro für Social Entrepreneurship in die Praxis zivilgesellschaftlicher Organisationen während der Krise, fragt nach, wie sich ihre Wirkung auch digital entfalten ließ – und welche digitalen Ansätze (auch über die Pandemie hinaus) gekommen sind um zu bleiben.
Imke Bredehöft: Der von dir betreute Stiftungsfonds Mitmachkinder hat letztes Jahr kurzfristig ein neues Programm ausgerufen: Die Corona-Lernpaten. Worum ging es?
Martina Kreimann: Als Ersatz für unseren eigentlich regelmäßig stattfindenden „Deutschsommer“, der sich vor allem an Drittklässler vor dem wegweisenden vierten Grundschuljahr richtet, haben wir die Corona-Lernpaten ins Leben gerufen. Von März 2020 bis Januar 2021 lief das Projekt. 28 Studierende haben 30 Kinder beim Lernen unterstützt, um die verpassten Lerninhalte vor allem in Deutsch, aber auch in Mathe aufzuholen. Sie haben gemeinsam gelesen, Grammatik geübt und Rechenschritte gelernt. Die teilnehmenden Schülerinnen und Schüler wurden von Lehrkräften der Grundschulen in Münster vorgeschlagen. Zu ihnen pflegen wir eine sehr enge Verbindung. Die Studierenden standen zudem während der gesamten Zeit im engen Kontakt mit den Lehrkräften, um ganz individuell auf die Lerndefizite der Kindern einzugehen.
Wie fand das gemeinsame Lernen statt?
Während des Lockdowns haben sich die Lernpaten – übrigens waren es fast nur Lernpatinnen, nur ein junger Mann war dabei – und die teilnehmenden Kinder vor allem per Videocall getroffen. Die Studierenden haben sich aber auch andere Methoden einfallen lassen und den Kindern beispielweise Lernzettel vorbeigebracht oder, wenn es das Pandemiegeschehen zugelassen hat, auch einmal einen Ausflug in die Bücherei organisiert. Durch diese Mischung haben die Kinder ihre Pat:innen auch persönlich zu Gesicht und haptisch etwas in die Hand bekommen. Beides zusammen – digital und analog – hat bei diesem Programm sehr gut funktioniert.
Martina Kreimann arbeitet in der Geschäftsstelle der Kommunalen Stiftungen Münster. Sie ist hier für die Öffentlichkeitsarbeit und Stiftungszweckerfüllung der sechs Stiftungen, zwei Treuhandstiftungen und sechs Stiftungsfonds verantwortlich, die von der Stadt Münster treuhänderisch verwaltet. Zu einer ihrer Neuentdeckungen während der Pandemie gehörte die „Padlet“- App, mit der sie die Zusammenarbeit mit den Lehrkräften viel besser vorbereiten konnte als in den letzten Jahren.
Wie war das bei den anderen Programmen?
Wir bieten sowohl für ältere Menschen als auch für Kinder und Jugendliche Stiftungsprogramme an, die auf 1:1-Patenschaften basieren. Und egal ob es um Kinder oder um ältere Menschen geht, sie alle leben vom gemeinsamen Tun: Ausflüge, gemeinsam Kochen, Fahrrad fahren, Spazierengehen. Davon war im Lockdown nichts möglich. Das war eine schwierige Situation. Aber vor allem unsere jüngeren Patinnen und Paten hatten eine große Bereitschaft, sich auf das Digitale einzulassen und sie haben kreative Lösungen gefunden, um die Patenschaften auch weiter lebendig zu halten.
Wie sahen die kreativen Lösungen aus?
Unsere Mitmachpat:innen, die sich um außerschulische Aktivitäten für Kinder aus benachteiligten Familien kümmern, haben z.B. ein Kresse-Projekt gestartet. Die Kinder haben Kresse-Samen per Post geschickt bekommen und ihren Paten dann über WhatsApp oder Signal Fotos von der wachsenden Kresse gesendet. Und natürlich gab es auch regelmäßige Videocalls, damit der Kontakt bestehen bleibt.
Gab es bei den digitalen Angeboten irgendwelche Fallstricke, an die ihr überhaupt nicht gedacht habt?
Die technische Ausstattung der teilnehmenden Schülerinnen und Schüler war natürlich ein solcher Fallstrick. Dank einer Spende der Sparkasse und der überschaubaren Anzahl von Patenschaften konnten wir aber im Corona-Lernpat:innenprogramm die Familien, bei denen es nötig war, mit Laptops ausstatten. Insgesamt kann man aber sagen, dass das letzte Jahr eine einzige Lernkurve war. Um weitere Fallstricke zu vermeiden, mussten wir schlicht und ergreifend alle immer dazulernen.
Zum Beispiel braucht es für die digitale Vermittlung von Themen andere Herangehensweisen als im Analogen. Durch den Austausch mit den Lehrkräften und schlicht durch Learning by Doing haben wir uns da stetig verbessert. Mit Erfolg. Am Ende war es wirklich faszinierend, wie viel die Kinder aus diesem Angebot für sich mitnehmen konnten.
Gibt es etwas, das ihr jetzt aus der Not heraus entwickelt habt, dass auch nach der Pandemie bleiben wird?
Ich würde unsere Patenprogramme nie ohne Not ins Digitale verlagern. Patenprogramme leben von den persönlichen Treffen. Bei den Arbeitsabläufen sieht das anders aus. Wir machen ja auch Schulungen und Workshops für Mitmachpaten. Die haben wir dieses Jahr digital gemacht und ich denke, die sind in diesem Format tatsächlich niedrigschwelliger durchzuführen als eine Präsenzveranstaltung. Die Paten sollen sich auf jeden Fall auch persönlich austauschen können, aber in manchen Fällen reicht vielleicht auch eine Videokonferenz. Die technische Versiertheit dafür haben wir jetzt alle und gehen lockerer mit diesen Möglichkeiten um.
Ich denke, durch digitale Ergänzungen lassen sich gut neue kleine Akzente setzen.
Gilt das auch für eure interne Arbeitsorganisation?
Auf jeden Fall. Ich habe zum Beispiel gerade fünf Förderanträge auf dem Tisch liegen, die ich gerne kurzfristig mit den Mitgliedern aus unseren Fachgremien besprechen würde, ohne gleich eine offizielle Sitzung einberufen zu müssen. Da kann ich jetzt auch mal auf die Schnelle zu einer Videokonferenz einladen. Nach diesem Corona-Jahr sind das jetzt alle gewohnt, alle haben ihre Kamera auf dem Bildschirm, haben keine Scheu mehr davor. Aber der Einsatz von digitalen Tools sollte immer in Maßen und passend zur Sache passieren.
Eine andere Stiftung unter eurem Dach, die Stiftung Magdalenenhospital, kümmert sich um ältere Menschen. Wie hat hier der digitale Kontakt funktioniert?
Gerade bei den Älteren waren wir erst skeptisch. Aber auch hier haben wir mit einer digitalen Ergänzung unseres klassischen Angebots gute Erfahrungen gemacht. Unser Projekt „Von Mensch zu Mensch“ funktioniert normalerweise auch über persönliche 1:1-Beziehungen. Es richtet sich an ältere Menschen, die noch selbstständig in ihren Wohnungen leben, denen aber der Austausch fehlt, wenn Kinder oder Enkel weit weg wohnen. Der Lockdown hat in diesem Programm einen noch stärkeren Einschnitt bedeutet als bei den Kindern. Vor allem, weil bei den älteren Menschen schlicht das Know-How fehlte, mit Tablets oder Smartphones umzugehen.
Und ein neues Projekt hat sich dieses Problems angenommen?
Genau. Bei den älteren Menschen geht es weniger um die technische Ausstattung, als um die Ausstattung mit Wissen und Kompetenzen. Ehrenamtliche Digital-Paten – überwiegend Studierende – führen nun die älteren Menschen an die digitalen Möglichkeiten heran. Dabei haben wir die Digital-Paten an unser bereits bestehendes Programm „Von Mensch zu Mensch“ angedockt. Jetzt, wo die Kontaktbeschränkungen wieder gelockert werden, nimmt dieses neue Projekt noch mal mehr Fahrt auf. Denn digital jemandem beibringen, wie er ein Tablet oder ein Smartphone bedient, ist nicht so einfach.
Jetzt bieten wir „Digital-Spaziergänge“ an. Die sind nicht digital, sondern finden ganz in echt statt, aber es geht bei dem Spaziergang um Apps und andere praktische Themen rund um digitale Kommunikation im Alltag. Eine Digital-Patin hat zum Beispiel einer 91-jährigen Dame ermöglicht, mit ihren Enkelkindern zu skypen. Auch unabhängig von Corona hat das also einen positiven, bereichernden Effekt. Deshalb werden wir das auch nach Corona weiterlaufen lassen, um einfach den alten Menschen eine neue Welt zu eröffnen.
Check-Box:
(Ehrenamtliche) Digital-Pat:innen
Digitalpatinnen und -paten sind digital-affine Ehrenamtliche, die ältere Menschen an die digitale Welt heranführen. Die Projektorganisation in sechs Schritten:
1. Patinnen und Paten finden, die sich mit digitalen Inhalten auskennen: Beispielsweise Studierende über Social Media ansprechen oder über Freiwilligenagenturen Kontakte zu potentiellen Ehrenamtlichen aus ganz verschieden Altersgruppen herstellen.
2. Patinnen und Paten mit Arbeitsgeräten ausstatten.
3. Kontakte zwischen Pat:innen und älteren Menschen herstellen. Praktisch ist es, wenn die Organisation, die ein Digital-Paten-Projekt auflegen möchte, bereits Projekte für ältere Menschen im Portfolio hat.
4. Der/die Digital-Pat:in und der ältere Mensch sollten möglichst gut zueinander passen.
5. Die Einführung ins Digitale möglichst analog gestalten.
6. Dranbleiben und geduldig sein.
Würdest du sagen, dass die Pandemie und die damit verbundene Lockdownsituation eine Art Turbo-Digitalisierung bewirkt hat?
Ja, in jedem Fall, das würde ich sofort unterschreiben. Das war wirklich turbo! Es ist ja auch nichts Neues in der Menschheitsgeschichte, Entwicklungen passieren oft unter Druck. Auf der anderen Seite sollte man das Digitale aber nicht zur heiligen Kuh erheben. Das halte ich für falsch.
Die heilige Kuh ist es nicht. Stattdessen?
Nein, die heilige Kuh ist es nicht, kann es auch nicht sein und wird es gerade bei Pat:innenprogrammen nie werden. Die Digitalisierung wird solche Programme zukünftig aber bereichern – wenn man die Tools klug nutzt.
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