Der digitale Fußabdruck der letzten fünfzehn Pandemie-Monate ist auch in unserem Arbeitsalltag spürbar. Schon immer dezentral organisiert mit Kombüse-Büros in Berlin und Hamburg plus viele Freelancer:innen im Home-Office, haben wir für Besprechungen und Jour Fixes immer zum Telefonhörer greifen müssen. An Videokonferenzen haben wir nie gedacht – war ja anders gelernt. Heute sieht das anders aus.
Und das nicht nur bei uns. Auch die NGOs, Stiftungen oder Social Entrepreneur:innen, die wir in vielen Fragen rund um die Kommunikation betreuen, sind in ganz Deutschland verteilt. Um sie zu sehen, haben wir uns in der Vergangenheit selbstverständlich regelmäßig in den Zug gesetzt. Das war schön, aber oft hat ein Treffen von zwei Stunden inklusive An- und Abreise einen ganzen Arbeitstag in Anspruch genommen.
Zwar vermissen wir die persönlichen Treffen sehr, aber viele unserer Kund:innen haben wir in den letzten Monaten sogar häufiger als vor der Corona-Pandemie gesehen – virtuell. Viel schneller als früher haben wir uns für Absprachen einfach per Videotool zusammengeschlossen. Gemeinsame Dokumente bearbeiten wir jetzt kollaborativ in einer Cloud, Meetings werden mit digitalen Vorab-Umfragen besser vorbereitet, Meilenstein- und Aufgabenpläne in praktischen digitalen Tools organisiert und unsere Workshop-Umgebungen sehen dank Miro oder Mural hübscher aus, als es das Schriftbild mancher Kolleg:innen jemals zugelassen hätte. Kurzum: Wir haben viel dazu gelernt und digitale Aha-Momente erlebt. Die Not hat nicht nur erfinderisch gemacht, sondern vor allem die Lust geweckt, Werkzeuge, die schon längst da waren, auch einfach mal zu nutzen.
Keine Kampagne, keine interne Digitalstrategie, kein Förderprogramm zur Digitalisierung der Zivilgesellschaft hätte das erreicht, was der durch die Pandemie entstandene Handlungsdruck in Sachen Digitales bewirken konnte.
Die digitale Skepsis hat abgenommen
Damit sind wir nicht allein. Laut einer ZiviZ-Befragung des Stifterverbands unter 685 gemeinnützigen Organisationen aus dem November 2020 war fast jede zweite befragte Institution der Meinung, dass der gemeinnützige Bereich die Potenziale digitaler Anwendungen nun für sich entdeckt habe. 55 Prozent waren sogar davon überzeugt, dass digitale Anwendungen den gemeinnützigen Bereich dauerhaft verändern werden.
Noch kurz vor dem ersten Lockdown hatte der Digital Report 2020 des Haus des Stiftens bezüglich des Digitalisierungsstandes des zivilgesellschaftlichen Sektors ein eher verhaltenes Bild gezeichnet: Es fehlten Wissen und Ressourcen, Social Media würde vermehrt als Informations- denn als Interaktionskanal genutzt; und von der Nutzung künstlicher Intelligenz, 3D-Druck, Virtual Reality oder dem Internet der Dinge, die in dieser Studie unter anderem als Gradmesser für den Digitalisierungsstand herangezogen wurden, waren die befragten Institutionen noch weit entfernt. Zudem – und das ist vor allem unter dem jetzigen Wissensstand bemerkenswert – sahen weniger als die Hälfte der Organisationen in der Digitalisierung die Möglichkeit, auch ihre gesellschaftliche Wirkung zu steigern.
Eine Phase der digitalen Neuaufstellung
Heute sähen die Ergebnisse der Studie sicherlich anders aus. Keine Kampagne, keine interne Digitalstrategie, kein Förderprogramm zur Digitalisierung der Zivilgesellschaft hätte das erreicht, was der durch die Pandemie entstandene Handlungsdruck in Sachen Digitales bewirken konnte: Investitionen in Hard- und Software, das Einüben von Cloud-Systemen und vor allem der Sprung ins kalte Wasser vieler Institutionen bei der Erprobung digitaler Formate haben zu einer „Digitalisierung im Schleudergang“ geführt, wie sie der Abschlussbericht #D3API von Caronlin Silbernagl bereits nach dem ersten Corona-Lockdown attestierte.
Zeug:inn dieser Digitaltransformation war unter anderem die gerade neu gegründete Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt. In nur sieben Wochen gingen bei ihr 12.500 Anträge auf Förderung digitaler Ausstattung und digitaler Projektarbeit ein, von denen die Stiftung aus Budgetgründen nur 1.868 bewilligen konnte.
Auch Robin Pfaff (s. Foto) von der wechange Genossenschaft hat diesen digitalen Umbruch merklich gespürt. Die wechange Genossenschaft baut seit fünf Jahren an der digitalen Kommunikationsinfrastruktur für die Zivilgesellschaft: Alles Open Source auf klimaneutralen Servern gehostet und demokratisch organisiert – eine Alternative also für all jene, die digital nicht von internationalen Unternehmen abhängig sein wollen. Seit der Pandemie hat sich die Anzahl der Nutzer:innen und Kund:innen von wechange verdoppelt. „Der Lockdown war ein absoluter Digital-Boost“, sagt Robin. „Noch geht es aber vor allem um die digitale Neuaufstellung und Übertragung analoger Funktionen aufs Digitale“, so das Gründungsmitglied. Interessant werde es vor allem, wenn diese Anfangsphase verlassen werde. „Wenn es nicht mehr ums Ausprobieren geht, sondern darum, das Potenzial digitaler Tools voll auszuschöpfen und die digitalen Tools mit analogen Methoden und Techniken zu kombinieren, dann wird’s richtig spannend, dann entsteht Neues“, ist sich Robin sicher.
Das, was Robin beschreibt, ist der Normalisierungsprozess einer neuen Kulturtechnik. Mindestens durch den zweiten und viel längeren Lockdown über den vergangenen Winter blieb vielen nichts anderes übrig, als zu lernen, sich in der neuen digitalen Welt mehr und mehr souverän zu bewegen. Wichtiger noch als die Aufrüstung der digitalen Infrastruktur war dabei der Abbau mentaler Hürden und Berührungsängste.
Durch neue Haltung entsteht mehr Wirkung
Der Sprung ins kalte Wasser ist also gemacht, warum dann nicht auch ein bisschen schwimmen? Der zivilgesellschaftliche Sektor wäre nicht er selbst, wenn er das nur zur eigenen Erholung täte. Der Digital Report des Haus des Stiftens vermisste noch Anfang 2020 die Einstellung, digitale Tools neben der Arbeitserleichterung auch als Möglichkeit zu verstehen, die eigene Wirkung zu verbessern. Vielleicht ist genau das die wichtigste Haltungsveränderung, die viele Organisationen aus dem Dritten Sektor aus den letzten 15 Monaten mitgenommen haben.
Der Digitalisierungs-Schleudergang hat auch die eigene Wirkungslogik durchgerüttelt und viele NGOs dadurch in die Lage versetzt, eigene Angebote und Abläufe auf den Prüfstand zu stellen. Nicht selten musste ein analoges komplett auf ein digitales Angebot umgestellt werden. Bei allen Wirkungsverlusten, die durch den Wegfall persönlicher Kontakte einhergingen, konnten gleichzeitig neue Zielgruppen erreicht, der Wirkungsradius erweitert und das eigene Angebotsspektrum variiert werden. Die Herausforderung oder vielmehr die Chance, die sich aus dieser einmaligen Erfahrung nun ergibt, ist das Beste aus diesen zwei Welten zusammenzubringen – und den eigenen Impact dadurch noch einmal zu erhöhen. Hört man in den Sektor hinein, lassen sich die ersten Vermutungen aufstellen, in welchen Feldern eine Kombination aus analogen und digitalen Elementen in einer Post-Pandemie-Zeit den Wirkungshebel noch einmal verstärken werden.
1. Teilhabe erhöhen
Sofern Endgeräte und Internet vorhanden sind, können durch eine Ergänzung des eigenen Angebots um digitale Formate auch Menschen mit eingebunden werden, für die es normalerweise schwierig ist, an analogen Veranstaltungen und Treffen teilzunehmen. Das können Personen sein, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind oder Menschen, die weniger zentral wohnen, genauso wie (vor allem alleinerziehende) Mütter oder Väter mit kleinen Kindern, für die sich oft Präsenztermine am Abend als schwierig erwiesen haben.
2. Vernetzung intensivieren
Netzwerktreffen vor Ort sind wichtig, um Kontakte zu knüpfen, Mitstreiter:innen für das eigene Anliegen zu finden, Kooperationsideen zu schmieden oder einfach für den Wissensaustausch. Das funktioniert trotz aller virtuellen Kaffeepausen bei Online-Konferenzen nach wie vor am besten in der ganz realen Welt. Wichtig aber ist, diese Kontakte nachzuhalten. Hier kommen die digitalen Tools ins Spiel: Eine Videokonferenz mit Teilnehmer:innen aus ganz Deutschland (oder der ganzen Welt) ist schnell gemacht, und Termine dafür zu finden viel einfacher als für analoge Treffen. Kollaborative Dokumentenbearbeitung oder Ordnerablagen können darüber hinaus die Zusammenarbeit über die eigenen Organisationsgrenzen hinweg fördern und so den Impact für alle erhöhen.
3. Zeit sparen und Umwelt schonen
Es gibt viele Formate, Angebote, Treffen, die sich nicht digital ersetzen lassen. Auch das ist ein wichtiges Learning aus der vergangenen Zeit. Es gibt aber auch Meetings und Anlässe, für die eine digitale Version komplett oder zumindest ab und zu ausreicht. Dazu gehören z.B. Mitgliederversammlungen, die nur aus formellen Gründen stattfinden, Vorstandssitzungen oder regelmäßige Jour Fixe. Reisen hierfür nicht alle Teilnehmer:innen extra an, sondern nehmen vorm eigenen Rechner teil, spart das für alle Beteiligten Kosten, CO2 – und Zeit. Solche Zeitgeschenke setzen auch Ressourcen frei, sich um die Wirkung der eigenen Arbeit zu kümmern.
Dies ist nur eine kleine Vorschau. Die Digitalisierung hält zur Impact-Steigerung noch viel mehr bereit. Eines ist sicher: Neues auszuprobieren, das wird nach diesen intensiven Erfahrungen der vergangenen Zeit leichter fallen. Der Anfang jedenfalls ist gemacht. Um einen Eindruck zu gewinnen, wie er in der Praxis bei verschiedenen Institutionen aussieht, haben wir mit fünf von ihnen gesprochen. Ob sie unsere eigenen Erfahrungen und Vermutungen über die digitalen Spuren des Lockdowns teilen, könnt ihr im Rahmen dieser Artikelserie in den nächsten Wochen nachlesen.
Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung-Nicht kommerziell 4.0 International Lizenz.