Gute Software: Wie schaffen wir die Zukunft, die wir brauchen?

Vier Monate hat die D3 API für eine neue Auseinandersetzung geworben: Wenn wir soziales Wirken digitalisieren, braucht es ein stärkeres Bewusstsein für, und ein neues Verhalten zu Softwarequalität. Zum Abschluss des Themenpakets “Gute Software für soziale Teilhabe” unterhalten sich Ben Mason & Carolin Silbernagl, die beiden Autor:innen unseres Positionspapiers über die wichtigsten Erkenntnisse dieser Arbeit.

Foto eines Coomodore 64-Desktops, auf den mit Klebestreifen ein Smiley geklebt ist.

Im Rahmen der D3 API haben wir bei D3 von Juni bis Oktober 2020, die Frage gestellt, wie wir die digitalen Kontexte, in denen öffentliche Hand und Dritter Sektor gesellschaftlich wirken, gut im Sinn von werteorientiert gestalten können. Neben der Veröffentlichung des Reflexionspapiers “Gute Software und gesellschaftliche Teilhabe” haben wir in vier Fachgesprächsrunden Expert:innen aus Zivilgesellschaft, Tech Community und Verwaltung in den gemeinsamen Austausch an einem virtuellen Tisch gebracht.

Unser Ziel: Sektorübergreifend nach Wegen zu suchen, wie denn die gute, wertorientierte Software gestärkt werden kann. Der Austausch: Konstruktiv und aufschlussreich. Was wir dabei gelernt haben, erläutert D3 API Carolin im Gespräch mit Ben Mason.

Ben Mason: Ihr habt letzte Woche mit einer Reihe von Diskussionsrunden das Thema “Gute Software” abgeschlossen. Erzähl mal kurz: Wie ist es überhaupt dazu gekommen?

Carolin Silbernagl: Die Corona-Krise hat eine Bewegung beschleunigt und stärker spürbar gemacht, die schon da war: Immer mehr gesellschaftlich relevante Aktivitäten verschieben sich in den digitalen Bereich – inklusive zahlreicher Dienste der öffentlichen Hand.  Je präsenter diese Verschiebung ins Digitale ist, umso wichtiger wird die Frage, ob die vorhandene Software diesen sozial ausgerichteten Zwecken gerecht wird. Die momentane Antwort ist: viele der verfügbaren Standardangebote sind nicht oder nur eingeschränkt für den Einsatz in der Schule, für soziale Dienste oder für politische Partizipation geeignet. Dafür sind viele der breit genutzten Softwareprodukte einfach nicht “gut” genug.

Da haben wir ihn, diesen Begriff. Was genau meinst Du mit “gut”?

Wir haben diesen Begriff gewählt, weil er griffig ist. Dahinter steckt, dass soziale Anwendungsbereiche werteorientiert funktionieren. Häufig wird Software nur mit Blick auf ihre Leistung ausgewählt und bewertet. Dass sie verlässlich funktioniert, nicht abbricht, leicht verständlich ist und so weiter – sodass wir also in der Lage sind, sie gut zu nutzen. Zoom macht uns zum Beispiel vor, wie glatt Videokonferenzen laufen können.

Aber gerade wenn es um gesellschaftliche Anwendungskontexte geht, kommen zusätzliche Dimensionen dazu. Da gilt zusätzlich die Frage, ob Software den Werten und der Verantwortung entspricht, die in diesen Bereichen zum Tragen kommen – zum Beispiel mit Blick auf Nutzer:innenschutz, Nutzungsfreiheit, Barrierefreiheit und Transparenz. Auch ein verantwortungsvoller Ressourceneinsatz, finanziell wie ökologisch, spielt eine größere Rolle. Qualität definiert sich hier also ganzheitlicher – “gute” Software muss mehr können als zu funktionieren und gut auszusehen. Bei vielen kommerziellen Angeboten tauchen solche Werte zumindest nicht explizit auf, oder werden von den Geschäftsmodellen sogar unterlaufen. Psychosoziale Beratungssitzungen sollten wegen der intransparenten Datenverwendung darum besser nicht über Zoom laufen.

Okay, aber das ist wohl schon länger so. Warum geht ihr das jetzt an?

Aktuell gibt es ein richtiges Momentum – sowohl auf Nachfrage- wie auch auf Angebotsseite. Für viele Menschen und Organisationen werden diese Fragen sichtbarer und relevanter. Das war nicht zuletzt bei der Corona-App sichtbar, die zum ersten Mal zu einer tragfähigen, breiten öffentlichen Auseinandersetzung mit Softwarequalität geführt hat – mit gutem Ergebnis. Gleichzeitig gibt es auch viele – und immer mehr – “gute” Alternativangebote, deren Potential über die nerdige Nische hinaus sichtbar ist. Die Frage ist: Wie lässt sich dieses Momentum stabilisieren und stärken? Ein wesentlicher Punkt dabei ist, die Akteure im Ökosystem ‘Gute Software’ besser miteinander zu verbinden – Anbieter:innen und Anwender:innen, Verwaltung und Zivilgesellschaft.

Und gerade das habt ihr durch diese Diskussionsrunden geleistet.

Genau. Zuerst haben wir durch Blogbeiträge und ein kurzes Paper versucht, das Konzept griffiger zu machen, Kategorien einzuführen, eine Definition an die Hand zu geben – also ein gemeinsames Verständnis und eine Diskussiongrundlage zu schaffen. 

Der zweite Schritt war dann, in Diskussionsrunden mit Expert:innen aus der Zivilgesellschaft, dem Civic-Tech-Bereich und der öffentlichen Verwaltung zu gehen, die gerade dabei sind das Thema gute Software voranzutreiben. Die intersektoralen Runden hatten das Ziel, nach Wegen zu suchen, wie denn die gute, wertorientierte Software gestärkt werden kann. 

Wir hätten gern ein halbtägiges Format zusammen in einem analogen Raum durchgeführt. Aber unter den Corona-Bedingungen mussten wir die Runden anders denken: Wir haben alles virtuell gelöst und BigBlueButton benutzt, eine offene, communitybasiert entwickelte und Daten-geschützte Videokonferenz-Software. Wir haben drei zweistündige Runden durchgeführt, und den Austausch mit einer Art Meta-Runde abgeschlossen, in der je ein:e bis zwei Vertreter:innen aus jeder Gruppe die Einblicke und Ergebnisse zusammengetragen haben. Besonders spannend war dabei, dass die Energie in den jeweiligen Runden sehr unterschiedlich war.

Transparenz ist nicht nur in Bezug auf Software wichtig! Die Besetzung und die zentralen Ergebnisse unserer Diskussionsrunden – sowie die daraus hervorgegangenen Ansatzpunkte zur Stärkung „guter“ Software, haben wir hier zusammengefasst.

Was genau meinst Du mit Energie? 

Jede Runde hatte einen eigenen Fokus. In einer ging es um die Zivilgesellschaft, in einer um die öffentliche Verwaltung, und in der dritten um die Frage, welches technologische und organisatorische Ökosystem es braucht, damit gute Software wachsen und sich entwickeln kann.

Bei den Teilnehmer:innen der öffentlicher Hand – darunter Vertreter:innen der Kommunal-, Landes- und Bundesebene – konnte man einen Aufbruchsmoment spüren. Alle konnten berichten, dass sich durch die politische Bewegung im Feld „Verwaltungsdigitalisierung“ ein Gestaltungsraum öffnet, der positiv in Richtung Open Source-Software wirkt und für neue innovative Partnerschaften nutzbar ist. Die großzügig verfügbaren Budgets helfen zusätzlich. Wenn diese Chancen ergriffen werden, könnte das über die öffentliche Hand hinaus gesamtgesellschaftlich für größere Vielfalt und Qualität im Softwareangebot sorgen. So herrschte – neben voller Anerkennung der Herausforderungen, die nach wie vor bestehen – ein positives Gefühl.

Die Runden zur Zivilgesellschaft und zum Ökosystem hatten eine ganz andere Stimmung. Die Organisationen, die gute Software entwickeln und dem sozialen Sektor zur Verfügung stellen, sind mit großen Herausforderungen konfrontiert: Kaum Aufmerksamkeit und noch weniger Förderung, eine schwierige Kompetenzlage und nur minimale Budgets in den Anwenderorganisationen. Es besteht zwar eine große Motivation, aber auch eine Situation der Selbstausbeutung und Überlastung.

Diese beiden Energien für sichtbar zu machen, war ein großer Gewinn. Das, was wir mitnehmen aus den Diskussionsrunden ist eben zweierlei: Es gibt einerseits ein substantielles Innovations- und Entwicklungspotenzial. Erstaunlicherweise liegt die Basis dafür in der öffentlichen Verwaltung, die stereotypisch nicht mit großer Dynamik oder Erneuerungskraft assoziiert wird. Und dennoch tut sich dort aktuell viel, es gibt engagierte, qualifizierte Menschen und – sehr ungewöhnlich für soziale Innovation – das nötige Kleingeld.

Gleichzeitig sieht man eine deutliche Dringlichkeit: Im Civic-Tech-Bereich und in der ganzen Open-Source-Szene, die die alternative, werteorientierte Software wesentlich trägt, passiert sehr viel uneigennützige Arbeit, die wenig Sichtbarkeit hat, die finanziell und organisatorisch an ihrer Grenze ist und die durch den dominanten Technologiemarkt massiv unter Druck gesetzt wird. Das ist so nicht nachhaltig.

In den Diskussionsrunden wurde sehr deutlich: Wenn wir uns nicht nachdrücklich darum kümmern, diese Akteure zu stärken, besteht die Gefahr, in wenigen Jahren keine Softwareangebote mehr zu haben, die für die sozialen Anwendungskontexte adäquat oder verlässlich sind.

Wie meinst Du das mit dem Technologiemarkt?

Der kommerzielle Software-Markt ist aus zwei Richtungen verzerrt. Zum einen werden die Produkte meistens über Risikokapital finanziert. Sie haben damit in der Startphase der Entwicklung weit überproportional Mittel zur Verfügung, um die Produkte ins Laufen zu bringen, richtig schön zu machen und in den Markt zu drücken. Das bedeutet gleichzeitig, dass es einen großen Druck gibt, diesen Vorschuss durch hohe Profite im Nachgang auszugleichen, was sie durch schnelles Wachstum und Monopolisierung eines Massenmarktes zu erreichen versuchen. 

Das zweite ist das Thema der Datenmonetarisierung. Für Software per se werden kaum mehr angemessene Preise verlangt. Stattdessen geht es oft darum, die Produkte in die Breite zu bringen und dann aus den Nutzungsdaten der User das Geschäftsmodell zu bauen. Beide Mechanismen führen dazu, dass ein ungleicher Wettbewerb mit denjenigen Anbietern, die eben nicht durch Venture Capital finanziert sind, entsteht.  Der Umsatzkanal der Datenmonetarisierung ist bei werteorientierter Software ohnehin ausgeschaltet, weil dort datensparsame und datenschützende Ansätze dominieren. Die Entwickler:innen guter Software sind dabei im Nachteil und stehen damit massiv unter Druck.

In den Diskussionsrunden wurde sehr deutlich: Wenn wir uns nicht nachdrücklich darum kümmern, diese Akteure zu stärken, besteht die Gefahr, in wenigen Jahren keine Softwareangebote mehr zu haben, die für die sozialen Anwendungskontexte adäquat oder verlässlich sind.

Und was braucht das? Ist es eine Frage der Finanzierung?

Schon, aber nicht nur das. Denn wie ein Teilnehmer gesagt hat: “Das Geld ist da, es fließt nur in die falsche Richtung.” Damit Fördergelder und Entwicklungsinvestitionen werteorientierte Software besser unterstützen können, braucht es neben mehr Bewusstsein per se auch ein Umgestalten der aktuellen Vergabeverfahrens. Das setzt auch Verständnis dafür voraus, wie Civic Tech funktioniert. Open Source gewinnt zum Beispiel in Bezug auf die Wirtschaftlichkeit – aber nur dann, wenn man in den Blick nimmt, dass eine aus offenen Bausteinen zusammengesetzte Lösung nicht kurzfristig, aber langfristig günstiger als eine kommerzielle Lösung mit laufenden Lizenzgebühren ist. 

Eine wichtige Initiative kommt von der Free Software Foundation Europe. Sie haben die Forderung formuliert: “public money public code”. Wenn Software aus Steuergeldern finanziert wird, soll der Quellcode auch offen lizenziert sein. Das heißt, dass sie in ihren Wirkungsmechanismen transparent und außerdem weiter nutzbar ist, sodass der zentrale Entwicklungsaufwand nur einmal passiert, und im Nachgang vielen Akteuren zu Gute kommen kann.

Öffentliche und zivilgesellschaftliche Akteuren haben, wegen ihrer gesellschaftlichen Rolle und Verantwortung sowie ihrer Finanzierung aus Steuergeldern und Spenden, besondere Ansprüche an technologische Infrastruktur. Diese Besonderheit kann man nutzen, um aus diesen Sektoren heraus so etwas wie einen alternativen Markt für alternative Software zu bauen. Anders gesagt: die besondere Art von Nachfrage auf eine besondere Art von von Angebot zu fokussieren.

Auf zivilgesellschaftlicher Seite könnte das z.B. die Form von Nutzungsgenossenschaften annehmen. Wechange.de ist ein gutes Beispiel dafür: auf der Plattform wird tolle neue Softwareentwicklung für soziales Wirken genossenschaftlich organisiert – und durch Crowdfunding wird auch die Entwicklung von neuen Features gemeinschaftlich finanziert.

Spannend. Die Civic-Tech-Szene gibt es schon seit Jahren – wenn nicht Jahrzehnten – und es waren immer gute Ideen und engagierte Leute dabei. Jetzt habe ich den Eindruck, dass sich dazu eine durchdachte Policy-Agenda entwickelt, also eine Konsens um konkrete Impulse auf Systemebene. Das ist neu.

Ja – zumindest ist die Gelegenheit dafür jetzt da. Dafür ist es allerdings notwendig, dass wir im Austausch und an der Vernetzungs- und Community-Arbeit dranbleiben. Unsere Diskussionsrunden haben gezeigt, dass es in der Verwaltung genauso wie in der Zivilgesellschaft Pionier:innen gibt, die zu wenig voneinander wissen. Eine Verwaltungsmitarbeiterin meinte nach dem Gespräch: “Das war toll, denn normalerweise spreche ich über diese Themen immer nur mit mir selbst”. Wenn es uns gelingt, genau das zu durchbrechen, können diese Veränderungstreiber:innen sich gegenseitig bestärken und gemeinsam noch mehr bewirken. 

Im Moment kommen mehrere Dinge zusammen. Es gibt eine wachsende Sensibilisierung und zunehmendes Interesse für wertebasierte Software – trotz der Tatsache, dass solche Infrastrukturthemen in der Regel unbeliebt sind. Es gibt Vordenker:innen und Macher:innen, die dabei sind, ein starkes, sektorübergreifendes Netzwerk zu bilden. Es gibt starke Vorbildinitiativen, -produkte und -communities. Und es entsteht eine gemeinsame Vision, wo wir hinwollen. Mit all dem bin ich sehr gespannt, was wir erreichen können.

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