Schon seit Beginn der Pandemie – und nach mittlerweile über einem Jahr nicht weniger – wollten sich viele lieber im Seminar- oder Meetingraum treffen als digital per BigBlueButton, Jitsi, Zoom, Teams und Co. Doch: Die Distanzgebote lassen räumliche Treffen kaum oder nur bedingt zu. In Bezug auf Digitalveranstaltungen haben sowohl Veranstalter:innen als auch Teilnehmer:innen viel dazu gelernt. Wir wissen Technik und Tools besser einzusetzen und zu bedienen, stimmige Konzepte zu entwickeln, kennen die „Spielregeln“ und Gepflogenheiten des digitalen Raumes, bewegen uns zunehmend souverän.
Und doch: Wir würden uns so gerne mal wieder richtig treffen. Digital geht manches doch nicht so gut. Rücken, Augen und Gehirn haben keine Lust mehr darauf, vor dem Rechner zu sitzen. Die Ohren wünschen sich, dass die anderen Menschen nicht blechern klingen. Sich als Gruppe fühlen während mensch in der eigenen Homebase sitzt, ist gar nicht leicht. Und immer behelfen wir uns und bemühen uns um den bestmöglichen Kompromiss. Wieso also nicht die Zoom-Müdigkeit und Seminarraum-Vermissung radikal anerkennen, ernstnehmen? Und warum nicht die Gäste und Teilnehmenden abholen und die analoge Welt so gut es geht ins Digitale holen?
Wir wissen Technik und Tools besser einzusetzen und zu bedienen, stimmige Konzepte zu entwickeln, kennen die „Spielregeln“ und Gepflogenheiten des digitalen Raumes, bewegen uns zunehmend souverän. Und doch: Wir würden uns so gerne mal wieder richtig treffen.
Was ist eigentlich anders?
Bis Anfang 2020 war es üblich, dass die Menschen zu einem physischen Veranstaltungsort kamen. Sie hatten die Anreise und den Ortswechsel, um bewusst bei einem Anlass, einem Thema oder einer Gruppe anzukommen. Haben sie im Büro am Schreibtisch ihre Mails beantwortet, war im Meeting-Raum zumindest halbwegs klar, dass das nicht der Ort für Mails ist. Hier trafen sie andere und es war der Ort für persönlichen Austausch. Hatten sie Zuhause Knatsch mit den Kindern, waren die kleinen Monster bei der Lesung in der Kneipe nicht anwesend und vielleicht mussten sich solange Partner:in oder Babysitter:in mit ihnen herumschlagen. Oft half der Weg von A nach B beim Abschalten vom privaten Stress.
Und jetzt? In der Regel nehmen die Menschen an den Veranstaltungen nun von zuhause teil. Vom Schreibtisch, an dem sie noch bis kurz zuvor mit anderen Themen beschäftigt waren. Aus ihrem chaotischen Wohnzimmer, das sie eigentlich aufräumen müssten. Aus dem Bett, in dem sie grübelnd schlaflose Nächte verbringen. Wir müssen unsere Teilnehmer:innen also abholen, ihnen helfen, ganz bewusst bei uns, unserer Veranstaltung, unserem Thema und vor allem auch der Gruppe anzukommen. Wir sollten sie rausholen aus dem, was bis vor einer Minute für sie präsent war. All das, während sie am gleichen Ort bleiben, eventuell nur das Browserfenster gewechselt haben und noch nicht mal Zeit für eine Pause hatten. Das gilt auch für den Abschluss: Am Ende der Veranstaltung wir unsere Teilnehmenden auch wieder verabschieden – sie auf dem „Rückweg“ nicht allein lassen.
Zu unserer Aufgabe als Moderation, als Veranstalter:innen gehört nicht nur anzuerkennen, dass es nicht einfach ist, sich vom immer gleichen Ort aus auf so unterschiedliches einzulassen. Dazu gehört ebenso anzuerkennen, dass unsere Teilnehmenden und Gäste zumeist gerne „echte“ Menschen „in echt“ treffen würden, dass sie gerne im vielleicht schon lange bekannten Seminarraum, in anderen Tagungsorten oder in der Kneipe wären. Wir sollten also nicht einfach so tun, als wäre alles in Ordnung und die Online-Veranstaltung das neue Normal.
Was also tun?
Nehmt eure Teilnehmenden an die Hand. Als Veranstalter:innen könnt ihr direkt mitdenken, dass eure Gäste ein wenig Zeit und Hilfe bei der (virtuellen) Anreise brauchen. Teilt nicht nur den Veranstaltungsort (also beispielsweise den Zugangslink), sondern schickt auch eine „Wegbeschreibung“ mit. Der Weg könnte beispielsweise vom Schreibtisch via Toilette und Küche auf’s Sofa führen. Oder vom Schreibtisch einmal um den Block wieder an den Schreibtisch. Vielleicht gehört dazu auch eine Info, was es vorzubereiten gilt, oder die Mitteilung des Dresscodes: Etwas Blaues, etwas frisch Gewaschenes? Etwas, das seit Coronabeginn nicht mehr getragen wurde oder etwas, das ihr beim Präsenztermin tragen würdet? Kontextualisiert den Hinweg explizit in eurer Einladung. Schreibt dazu, dass Anreise, Umkleide, Pause oder Technik-Check eine Viertelstunde vor der Veranstaltung stattfinden sollen. Aber ganz ehrlich: Bei wem von uns klappt das?!
Eine gute Alternative: Nutzt für diese „Anreise“ die erste Viertelstunde der Veranstaltung (oder sogar die ersten 30 Minuten) und setzt ein insgesamt längeres Zeitfenster an! Dann steht es so in den Kalendern und die Menschen haben die Zeit verbindlich eingeplant. Wer diese erste Phase der Veranstaltung nicht schafft oder schwänzt: nun gut, es wird Gründe haben und geht auch ohne. Als Veranstalter:innen habt ihr mit diesem Prozess die Möglichkeit, den Teilnehmenden den Raum und die Möglichkeit eines bewussten Hinwegs zu geben, damit sie dann, wenn es richtig losgeht, auch wirklich „da“ sein können.
Veranstalten und gestalten
Zu einem stressfreien Start gehören jedoch mehr als Vorbereitung und Anreise. Was passiert normalerweise, wenn wir uns analog mit mehreren Menschen treffen? Wir bemühen uns pünktlich zu sein, machen Zeitpläne die mehr oder weniger gut aufgehen und trudeln nacheinander ein. Wer mit Puffer ankommt, kann es ganz gemütlich angehen, sich umsehen, smalltalken, noch eine kleine Pause machen, ein Getränk genießen, sich ganz bewusst einen Platz aussuchen. So machen wir es im Kino, beim Meeting, bei der Fortbildung. Im Analogen ist es absolut normal und wir wissen, dass wir nicht immer auf den Punkt eintrudeln können. Meistens können wir diesen kleinen Puffer gut nutzen und er erspart uns Stress.
Ein Hoch auf das Eintrudeln
Bei Online-Veranstaltungen beschäftigen wir uns oft bis eine Minute vorher mit etwas anderem, entwirren kurz vor knapp unser Headset und stolpern dann auf den letzten Drücker ins Meeting. Schließlich mussten wir nicht mal aufstehen. Bei manchen Veranstaltungen hängen auch erst alle für sich im „Warteraum“ und werden dann gleichzeitig eingelassen. Um die negativen Effekte dieser Maßnahmen zu umgehen hat es sich bewährt, 15 oder 30 Minuten als Eintrudelphase einzuplanen und ganz selbstverständlich zum Treffen oder Event hinzuzurechnen.
Je nach Anlass kann der Raum einfach geöffnet sein bzw. die Veranstalter:innen lassen alle kommentarlos herein. Per geteiltem Bildschirm kann das Bild eines passenden und einladenden Raumes gezeigt werden (s. oben) und die Teilnehmenden können sich umsehen und smalltalken. Für die Bildauswahl eignen sich Fotos, auf denen es Details zu entdecken gibt, auf denen jedoch keine Menschen zu sehen sind. Die Menschen im Raum sind ja eure Teilnehmenden! Meistens hilft es jedoch, wenn die Gastgeber:innen alle einzeln begrüßen, einladen sich im Raum umzusehen, sich einen Platz auszusuchen, sich umzuschauen wer noch da ist. Eine Option ist es, die Eintrudelnden in Kleingruppen in Break-Out-Räume zu schicken, sodass sie in kleiner Runde plaudern können.
Eine alternative Möglichkeit: Diejenigen, die quatschen wollen, melden sich per Chat und werden dann Kleingruppen zugeordnet. Manchen Gruppen helfen Icebreaker-Fragen für ihr Gespräch, bei anderen wird es wie von selber laufen. Tools mit einer räumlichen Oberfläche und Bewegungsfreiheit für die Gäste bieten alternative Settings, in denen die Teilnehmenden selbständig ihre Ankunft gestalten können. Hier bieten sich beispielsweise SpatialChat, wonder.me und gather.town an.
Auf Distanz mit anderen sein
Neben dem Ankommen im Raum geht es aber auch um das Ankommen in der Gruppe und darum, sich gegenseitig zu sehen und zu spüren. Als Moderatorin und Prozessbegleiterin habe ich im vergangenen Jahr gemerkt, dass Gruppen, mit denen ich schon in Präsenz gearbeitet habe, digital eine ganz andere Dynamik haben. Beispielsweise war eine Runde aus Führungskräften verschiedener Organisationen bei einer Klausurtagung in Kassel absolut in der Lage, nicht nur die jeweils eigene Perspektive durchzuboxen, sondern unter Berücksichtigung aller Standpunkte die bestmögliche Lösung für die Gesamtgruppe zu suchen.
Einige Wochen später traf sich die gleiche Runde online. Alle saßen in ihren Büro und hielten starr an den Wünschen ihrer eigenen Organisation fest. Es fiel ihnen unfassbar schwer, sich als Teil einer Gruppe zu fühlen, die eigentlich ein gemeinsames Ziel hat. Aber auch bei der Geburtstagsparty, der Podiumsdiskussion oder in einer Ausstellung sind wir nicht allein: Ob es die Atmosphäre oder der Geräuschpegel ist oder dass wir gerne in der Anonymität der Masse untergehen – Bedürfnisse sind verschieden.
Was können wir als Veranstalter:innen also tun? Eine pauschale Antwort gibt es sicher nicht. Wir müssen berücksichtigen, dass einige Dynamiken online nicht automatisch und wie von selbst laufen – dass aber das soziale Miteinander sehr wichtig für unsere Veranstaltung sein kann. Für das Erleben, die Zufriedenheit oder den Spaß der Teilnehmenden, aber vielleicht auch für den Verlauf und das Ergebnis der Veranstaltung. Daher plant unbedingt Zeit und Methoden ein, um den Anwesenden zu helfen sich zu sehen, zu spüren, sich übereinander zu freuen, sich auszutauschen und Gemeinsamkeit für den Moment aufzubauen.
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Wie könnt ihr auf euren digitalen Veranstaltungen durch pfiffige Konzeption und Moderation Interaktion und Nähe entstehen lassen? Wie kann man gemeinsame haptische Erfahrungen befördern? Und wie lässt man Meetings & Co. auch online richtig ausklingen, sodass Teilnehmende auf dem “virtuellen Nachhausewege” gemeinsam rekapitulieren und weiterdenken können. Auf Seite 2 hat Annika weitere Tipps für euch.
Umblättern und Weiterlesen!
Großartiger Artikel mit so vielen klugen Einsichten und lebendigen Vergleichen!
Danke, das freut uns – finden wir nämlich auch!