„Liebe Chefin, machst du das?“

Agiles Lernen bietet Chancen für neue Formen der Zusammenarbeit. Im Projekt „AWO digital“ haben Mitarbeiter:innen in Erprobungsräumen hierarchie- und abteilungsübergreifend Digitalisierungsprojekte umgesetzt. Wie die Zusammenarbeit gelungen ist und ob agile Lernprozesse der Schlüssel für den Wandel sind, erzählt Lorenz Grünewald-Schukalla, Referent für digitale Technologien und Innovationen bei der Stabsstelle Grundsatz- und Zukunftsfragen vom AWO Bundesverband e.V., im Interview.

Zwei Personen arbeiten gemeinsam am Laptop und tauschen sich aus.

Foto: Ronja Arndt

Der AWO Bundesverband baut auf etablierte Strukturen in den Arbeitsprozessen. Dennoch habt ihr agiles Lernen für euch entdeckt, um Abläufe anders zu gestalten. Warum eignet es sich für Veränderungen in gewachsenen Organisationsstrukturen?

Die gewachsenen Strukturen haben ihre Berechtigung. Sie sorgen für Beständigkeit und Resilienz. Zugleich wollen wir der Organisation einen innovativen Schub geben und neue Arbeitsweisen erproben. Agiles Lernen bedeutet, schrittweise Ideen auszuprobieren, zu schauen, ob sie funktionieren, sie dann weiterzuentwickeln und dabei fortlaufend zu dokumentieren und zu teilen, was gelernt wurde. Agiles Lernen lässt sich in Projekten neben der üblichen Arbeit organisieren und folgt Prinzipien, die Lernen auf Augenhöhe ermöglichen.

Lorenz Grünewald-Schukalla ist Referent für digitale Technologien und Innovationen bei der Stabsstelle Grundsatz- und Zukunftsfragen vom AWO Bundesverband e.V.

(Foto: privat)

Sind agile Lernprozesse der Schlüssel für den Wandel?

Sie sind ein Schlüssel am Bund. Im Arbeitsalltag erledigen wir Aufgaben oft so, wie wir und andere es gewohnt sind, und ohne darüber nachzudenken. Agiles Projektlernen hingegen ist eine praktische Lernerfahrung. Ich lerne nicht über einen Vortrag oder eine Schulung, sondern indem ich direkt agiere. Das gezielte Initiieren von Veränderungsprozessen ist an manchen Stellen neu für den Verband. Es ermöglicht uns, etwas über die eigenen Möglichkeiten der Veränderung zu lernen.

„Lernen im Tun“ in Erprobungsräumen

Im AWO Bundesverband haben Mitarbeiter:innen 2021 zehn Monate agiles Lernen in Digitalisierungsprojekten im Rahmen von AWO digital erprobt. Wie seid ihr vorgegangen?

Wir haben sogenannte Erprobungsräume eingerichtet, in denen wir bewusst etwas weiter weg von bestehenden Strukturen kleine Digitalisierungsschritte ausprobiert haben. Zunächst machten sich die Teilnehmer:innen eines solchen Raums mit dem Tool „Stackfield“ vertraut – einer Plattform, auf der die Beteiligten Projektaufgaben anlegen und daran arbeiten, Workflows visualisieren und kommunizieren können. Anschließend starteten Teams von je drei bis sechs Kolleg:innen mit vier digitalen Projekten.

In den Erprobungsräumen wurden digitale Tools und Verfahren erprobt, die Teilnehmenden haben gelernt, gemeinsam Innovationsprozesse zu organisieren. Die Projekte liefen im Personalwesen, in der Online-Beratung, Weiterbildung und im Qualitätsmanagement nach dem Motto „Lernen im Tun“. Ganz wichtig war dabei, dass die Kolleg:innen das freiwillig machten. Aufgaben wurden je nach Vorlieben und Kompetenzen übernommen.

Erzähl uns bitte am Beispiel eines Erprobungsraumes, wie das in der Praxis ablief …

Für das Qualitätsmanagement (QM) hat ein Team Ideen für ein partizipativeres QM-Handbuch entwickelt. Statt eines klassischen Buches wollten sie Prozesse und Dokumente dynamisch darstellen, sodass Kolleg:innen diese möglichst selbstständig er- und bearbeiten können. Dafür hat das Team passende Tools ausprobiert. Herausgekommen ist dabei eine Plattform, die nach dem Wiki-Prinzip funktioniert. Unsere Kolleg:innen können jetzt Prozessdokumente kommentieren, ergänzen und darüber diskutieren. So lässt sich ein QM-Handbuch mit Leben füllen.

Ist das QM-Wiki schon im Einsatz?

Ja, es wird gerade befüllt und bald schon im ganzen Bundesverband angewandt. Unser QM-Team gibt erlerntes Wissen an Kolleg:innen weiter und führt Workshops durch, um unsere Prozesse jetzt im Wiki-Format zu organisieren.

Anführungszeichen

Das war auch das Ziel in den Erprobungsräumen. Wir machen uns bewusst, was wir über unsere Arbeit lernen können und tauschen uns darüber aus – intern und mit anderen Mitarbeiter:innen.

Bewusstere Arbeitsabläufe

Wie wirkt sich die Arbeit am QM-Wiki im Kontext von agilem Lernen auf die Organisation aus?

Wenn Mitarbeiter:innen neue Inhalte selbst im QM-Wiki einstellen, müssen sie zum Beispiel in Prozessbeschreibungen einzelne Schritte für andere verständlich darstellen. Dadurch denken sie mehr über ihre Arbeitsschritte nach und darüber, wie Prozesse optimiert werden können. Das war auch das Ziel in den Erprobungsräumen. Wir machen uns bewusst, was wir über unsere Arbeit lernen können und tauschen uns darüber aus – intern und mit anderen Mitarbeiter:innen. Agilität bedeutet auch, gemeinsam Fragen zu erörtern: Wie verändern sich Arbeitsweisen? Wie begegnen wir neuen Organisationsabläufen im Kontext von Digitalisierung? Agile Lernprozesse wirken somit über Projekte hinaus in den Verband hinein.

Welchen Herausforderungen seid ihr begegnet?

Die Kolleg:innen mussten neue Formen der Zusammenarbeit lernen. Uns war Augenhöhe ganz wichtig, aber die Chefin zu bitten, eine Projektaufgabe zu übernehmen, kann erstmal neu sein. Außerdem sollte man sich nicht zu große Ziele setzen. Im QM-Projekt merkten wir, dass die Einführung eines neuen QM-Systems in zehn Monaten nicht machbar ist. Wir haben also zunächst geschaut: Was für ein System benötigen wir und wie können wir es schrittweise umsetzen? Auch das ist ein Lernprozess.

Eine Innovationsagentur stand euch beratend zur Seite. Welche Rolle hat sie gespielt?

Die Berater:innen halfen uns in den Erprobungsräumen mit zielgerichteten Fragen, das, was wir im praktischen Tun lernten und anders machten als sonst, besser zu reflektieren. Das geschah in Gesprächen und Workshops, projektintern und -übergreifend. Wir lernten im Austausch mit den Berater:innen, dass es wichtig ist, die Startphase gut zu nutzen und die Interessen aller Stakeholder:innen einzubinden.

Dieser Beitrag erschien erstmalig im eBook „Wandel und Organisationsentwicklung“ unseres Schwesterprojekts openTransfer. Reinlesen lohnt sich!

Titelbild des eBooks Wandel und Organisationsentwicklung von openTransfer zeigt eine Gruppe von vier stehenden Menschen unterschiedlichen Alters, die sich konzentriert unterhalten. Schrift: Wandel und Organisationsentwicklung in zivilgesellschaftlichen Organisationen

Baukasten für wirkungsorientiertes Arbeiten

Welche Aufgaben lassen sich künftig mit mehr Agilität besser lösen?

Mit dem Format Erprobungsraum haben wir jetzt ein Werkzeug an der Hand, mit dem wir relativ schnell neue Dinge ausprobieren und entwickeln können. 2023 werden wir in einem Erprobungsraum Methoden und Tools testen, um die Wirkung unserer Projekte besser zu planen und zu messen. Das Team will dann einen Baukasten für wirkungsorientiertes Arbeiten erstellen und dem Gesamtverband zugänglich machen.

Welche drei Tipps gibst du Organisationen, die gewachsene Strukturen mit agilem Lernen verändern wollen?

Hier zitiere ich erstens meine Ex-Kollegin Helene Hahn: Es gilt, passende Mitstreiter:innen zu suchen. Wer hat Lust, etwas Neues auszuprobieren? Diese Leute sollte man finden und unterstützen. Zweitens sollte man nutzenorientiert vorgehen und schauen: Wo drückt der Schuh? Es sollte in der Projektarbeit um konkrete Anforderungen der Abteilungen gehen. Drittens ist es wichtig, sich Zeit zu nehmen für Lernprozesse. Am Ende muss kein vorab definiertes Ergebnis stehen, solange man ein paar Schritte weiterkommt und dabei etwas gelernt hat.

ein gezeichnetes Smartphone in gelb deutet Text und ein D3 Logo an.

Weiterführende Links

AWO Bundesverband e.V.

Digital Social Summit Session „Agiles Lernen in traditionsreichen Organisationen

Transferbericht „Am offenen Herzen“: Selbstreflexion und begleitendes Lernen in Digitalisierungsprozessen aus dem Projekt AWO digital

Mehr zu Digitalisierung bei der AWO

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