Eine hybride Veranstaltung – und wir live vor Ort dabei! Analog im Umweltforum mit rund 40 Personen haben wir einen Tag lang Podien gelauscht und sonnige Pausen mit alten und neuen Bekannten genossen. Auch ein Blick in das Onlineevent war drin, denn wie hybride Formate sich in Zukunft entwickeln, ist für uns immer besonders spannend. Einige Themen- und Diskussionsstränge haben wir in unserem Veranstaltungsbericht festgehalten.
Das BBE-Forum Digitalisierung und Engagement hat sich zum Ziel gesetzt, die engagierte Zivilgesellschaft in einem koordinierten und strategischeren Diskussionsprozess zu befähigen, den digitalen Wandel aktiv zu begleiten. Mit Foren, einer Diskursplattform und einem Podcast hat das Projekt das Thema ganzheitlich aufgegriffen. Mehr Infos
Die etwas andere Keynote
Auf dem Programm stand eine Keynote von Valerie Mocker. Sie ist Vorkämpferin für eine Digitalisierung, von der alle profitieren. Sie war einige Jahre Direktorin bei Nesta, dem Fonds für soziale Innovationen und ist eine gefragte Rednerin, denn mitreißend und verständlich die Komplexität und die gesellschaftliche Bedeutung der digitalen Transformation aufzuarbeiten, das liegt ihr. Leider sagte sie ihren Impuls bei #DigitalSouveränEngagiert kurzfristig ab – die Keynote wird zu einem späteren Zeitpunkt per Livestream nachgeholt. Wer nicht abwarten kann: Valerie Mocker war auch Keynote-Speakerin bei Digital Social Summit 2020. Was sie dort zum Thema „Gesellschaftliches Immunsystem und Digitalisierung“ erzählt hat, könnt ihr hier nachschauen.
Die Bühne füllte stattdessen kurzfristig und mit klugen Gedanken Serge Embacher, der als Projektleiter des Forums Digitalisierung und Engagement noch einmal gedanklich durch die vier Themenschwerpunkte des zweijährigen Prozesses führte.
Bezugnehmend auf Valeries Credo führte er aus, dass es nicht den einen digitalen Wandel, sondern viele gibt. In all diesen Unterthemen entstehen beständig neue Abzweigungen und Alternativen. Wir können also mitgestalten, dass bei der digitalen Transformation nicht das Gesetz des Dschungels gilt, bei dem sich der oder die (Markt)stärkste durchsetzt, das freie Internet hinter Paywalls und Werbebannern verschwindet. Wir können mitgestalten, wie Algorithmen unsere Inhalte aufbereiten und Entscheidungen beeinflussen. Doch dazu braucht es ein aktives Mitgestalten. Noch viel zu oft führen wir einen technikdeterminierten Digitalisierungsdiskurs, so Serge Embacher. Statt nachlaufender Modernisierung sollten wir also in den gestaltenden Diskurs kommen – auch um die großen gesellschaftlichen, politischen und Umwelt-Krisen unserer Zeit zu lösen.
Oft hört man „Ah ja, Datenschutz, ganz wichtig – das macht bei uns Herr Müller“. Und dann macht Herr Müller noch Brandschutz und Ersthelfer und wird ungern angehört, wenn Datenschutz erfordert, Prozesse zu verändern.
Das BBE-Forum hat sich daran gemacht und eine Plattform geschaffen, in der vier Themenfelder tiefgehend diskutiert wurden und mit konkreten Lösungsvorschlägen und Forderungen untermalt wurden. Es ging um Digitale Kompetenzen, um Organisationsentwicklung, um Datenschutz und um Demokratiestärkung. Die Diskussionspapiere der ersten drei Foren sind bereits veröffentlicht und hier verlinkt. Neben viel Befund und Analyse der jeweiligen Herausforderungen im Themenfeld werden in den Papieren auch ganz konkrete Vorschläge gemacht. Beispiele sind die Einrichtung einer Bundeszentrale für Digitale Aufklärung, eine Digitalisierungspauschale analog der Verwaltungskostenpauschale im Zuwendungsrecht oder Kampagnen für ein besseres Verständnis für die Bedeutung des Datenschutzes. Klingt gut, oder?
Politik, Zivilgesellschaft und Verwaltung: Einblicke in die drei Podien
Die Veranstaltung setzte sich nach der Keynote mit drei Podien fort,. Sie beleuchteten die die Themen Digitalisierung und Engagement aus den unterschiedlichen Sektoren heraus.
„Zwischen Anspruch und Wirklichkeit – Engagementpolitik im Digitalen Wandel”
Digitalisierung und Open Data bieten große Potentiale für ein gemeinsames Gestalten durch Politik und Zivilgesellschaft, da waren sich alle Diskutierenden einig. Durch kluge Schnittstellen – wie Innovationsagenturen, Beteiligungsplattformen auch im Gesetzgebungsprozess und mehr – könne zukünftiges Regierungshandeln weniger Top-Down werden und Werkzeuge entstehen, um die großen Krisen unserer Zeit zu bewältigen.
Eine gemeinwohlorientierte Digitalisierung ist nicht nur Aufgabe der Zivilgesellschaft. Insbesondere auch die Politik und Verwaltung müssen und sollten in ihrem Handeln Vorreiter:innen werden. „Vor die Welle kommen“ war ein mehrfach wiederholtes Zitat. Als Beispiel, wie das unterstützt werden könne, wurde nicht nur der Innovationsfonds NESTA aus Großbritannien zitiert, sondern auch Beispiele aus anderen europäischen Ländern mit Innovationsagenturen und Hubs, in denen Zivilgesellschaft und Staat gemeinsam an einer gemeinwohlorientierten digitalisierten Gesellschaft von morgen arbeiten. Auch für Deutschland sei man hier in konkreten Planungen, wie Anna Christmann berichtete.
Als Beispiel, wie solche Innovationsorte auf Landesebene gelingen können, nannte Hendrikje Klein, die für die Linke im Berliner Abgeordnetenhaus sitzt, das CityLab Berlin. Unter dessen Dach liegt auch das Projekt digital-vereint.berlin. Es zeigt exemplarisch, wie Politik und Verwaltung die Zivilgesellschaft bei einer gemeinwohlorientierten Digitalisierung unterstützen können. So werden hier unter anderem auf eigenen Servern gehostete Open Source Lösungen für gemeinnützige Organisationen angeboten, die diese kostenfrei in Anspruch nehmen können . Die nötige Weiterbildung und Vernetzung gibt es obendrauf.
Open Source
Die Nutzung von Open Source Programmen sei ein Schlüssel für breitflächige und kostengünstige gemeinwohlorientierte Digitalisierung, merkte Falko Mohrs an. Er sitzt für die SPD im Bundestag. Hier sei derzeit viel im Umbruch. Jedoch werde sich noch viel zu oft für proprietäre Lösungen großer US-Firmen entschieden. Auch im Zivilgesellschaftspodium hob Julian Selzer vom Chaos Computer Club (CCC) hervor, dass in den Anfangstagen der Pandemie durch die Hackerszene rasch Server mit Open Source Videokonferenzprogrammen wie Jitsi aufgesetzt und Schulen und Organisationen bereitgestellt wurden, um schnelle und wirksame Hilfe anzubieten. Trotzdem seien viele schon bald auf proprietäre Lösungen umgestiegen.
Katarina Peranic von der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt bemerkt hingegen in den vergangenen Monaten eine wachsende Offenheit und Hinwendung verschiedener zivilgesellschaftlicher Organisationen zu Open Source Angeboten. Es brauche jedoch mehr Berührungspunkte zwischen den Entwickler:innencommunities und den Nutzer:innen.
Angebote von oft ehrenamtlichen Entwickler:innenteams aus der Zivilgesellschaft für die Zivilgesellschaft: Klingt nach einer guten Lösung. Hierzu wandte Hendrik vom Lehn von der Stiftung Datenschutz als Publikumseinwurf ein, dass eine Erweiterung der Gemeinnützigkeit ein wichtiger Schlüssel wäre, um dieses Engagementfeld weiter zu stärken. So könnten zivilgesellschaftlich entwickelte gemeinwohlorientierte digitale Lösungen auch als solche anerkannt werden. Die Anerkennung der Gemeinnützigkeit von Freifunk sei hier wegweisend gewesen.
Ihr wollt mehr zu guter Software und Zukunftstrends der Digitalisierung lesen? Schaut doch mal in unsere Rubrik Vertieft und Nachgedacht!
Sprechfähigkeit und Organisationsentwicklung
Im Zivilgesellschaftspodium lag ein Gesprächsfokus auf der Sprechfähigkeit der Zivilgesellschaft zur digitalen Transformation. Das provokative Bild des Katzentischs, von dem aus die Zivilgesellschaft am Digitaldiskurs teilnimmt, wurde von allen Diskutierenden entschärft. Die digitale Zivilgesellschaft sei deutlich sicht- und hörbarer geworden, sagte beispielsweise Anna Wohlfarth. Jedoch, so ergänzte sie, seien in verschiedensten, auch neu geschaffenen, Beiräten zivilgesellschaftliche Perspektiven oft nicht vertreten.
Anne-Sophie Pahl stellte in Frage, inwieweit die Sprechfähigkeit zur Digitalisierung lediglich in einem abgegrenzten Diskursraum gegeben sei. Die Breite der Zivilgesellschaft habe noch viel praktische Bewältigung der Digitalisierung zu leisten. Diese Aussage stützte auch Katarina Peranic. Mit dem Förderprogramm für digitale Infrastruktur der DSEE im vergangenen Jahr habe sich gezeigt, dass das Thema Basisausstattung noch immer sehr groß sei . Das strategische Nachdenken über den digitalen Wandel sei da oft noch sehr fern.
Es gibt zahlreiche Angebote, die die Zivilgesellschaft im digitalen Wandel begleiten und Kompetenzen vermitteln. Zentral sei jedoch, so Anne-Sophie, dass Organisationen in ihrer täglichen Arbeit auch die Zeit finden und nehmen, sich der Umsetzung zu widmen. Oft wird Digitalisierung als Zwang verstanden, nicht als zugrundeliegendes Denkschema. Offenheit für Veränderung bilde die Grundlage für einen gelingenden Prozess.
Organisationsentwicklung kann ein Schlüssel sein, sich ganzheitlich damit auseinanderzusetzen. Der Wunsch nach professioneller Beratung sei hoch. Jedoch fehlte zum einen oft das Geld, zum anderen seien viele Organisationsentwickler:innen selbst noch nicht in der Lage, die digitale Transformation ganzheitlich zu begleiten. Hier brauche es noch viel Unterstützung.
So viele Aspekte der Digitalisierung
Ein ganzer Tag voller Podien: Da kamen einige Themen auf dem Tisch, die wir hier nicht alle vertiefen können. Ein Abschnitt beschäftigte sich mit den unterschiedlichen Engagementvorstellungen der Generation Youtube, also den unter 30-jährigen. Oft liegt für sie bei der Engagementsuche eine Suchanfrage im Netz näher als der Gang zur Freiwilligenagentur und die Gründung einer agilen, hierachiearmen Organisation näher als der Beitritt in traditionelle Organisationen.
Weiterhin wurde über Regulierung von Hate Speech in Sozialen Medien gesprochen und Konzepte der selbstgesteuerten Moderation durch Communities. Es ging um die Vor- und Nachteile von Anonymität im Netz, um die Macht großer Internetkonzerne und transparente Algorithmen. Zu letzterem zwei Empfehlungen: Als Einstieg die Keynote von Prof. Martina Mara beim Digital Social Summit 2021 und für einen tieferen Einstieg die Veröffentlichungen der Stiftung Neue Verantwortung.
Das dritte Podium war eigentlich als interaktives Townhall-Format geplant. Leider konnte dieses aufgrund der komplexen Umsetzung in einem hybriden Setting nicht wie geplant stattfinden. So fand das Gespräch mit Pia Karger, Abteilungsleiterin „Digitale Gesellschaft und IT“ per Videocall und Michael Tetzlaff, Abteilungsleiter „Demokratie und Engagement“ im BMFSFJ ebenfalls als hybrider Bühnentalk statt. Konkret wurde es bei der Frage „Wie qualifiziert sich eigentlich die Verwaltung für den digitalen Wandel?“: Auf der Seite der Digitalakademie der Bundesakademie für öffentliche Verwaltung kann man sich hier die neu entstandenen Module anschauen.
Wenn ich Beauftragte:r für Digitalisierung und Engagement wäre….
Zum Abschluss stellte Moderator Alexander Thamm seinen Gästen auf dem Politikpodium eine Frage, die uns aus unseren sozialdigitalen Portraits bekannt vorkam. Was würden die Podiumsgäste tun, wenn sie in einer neuen Bundesregierung für die Themen Digitalisierung und Engagement zuständig wären? Die Antworten im Schnelldurchlauf:
- Aufwertung des Unterausschusses bürgerschaftliches Engagement zu einem Hauptausschuss und Schaffung weiterer Beteiligungsmöglichkeiten wie Bürger:innenräte, Onlinebeteiligungsplattform für Gesetzesvorhaben etc.
- Innovationseinheiten in Ministerien und eine aktive Einbindung des Wissens durch eine proaktive Verwaltung. Mehr Verfasstheit für das effektive Zusammenwirken von Zivilgesellschaft und Staat.
- Konsequente Umsetzung von Open Data: Gerade die Bundespolitik sollte Vorreiterin sein und sei zu höchster Transparenz verpflichtet.
- Errichtung des Demokratiefördergesetzes, um der Zivilgesellschaft jenseits der Projektitis Räume zu schaffen, ihre Arbeit auch abseits der Projektziele langfristig gut aufstellen zu können – auch in Fragen der Digitalisierung. Zudem werden hierdurch Initiativen gestärkt, die sich gegen Hate Speech und Desinformation im Netz einsetzen.
- Wissenstransfer und Skalierung von Landes- und Bundesebenen systematisieren, aufgebaute Strukturen teilen.
- Anerkennung eines digitalen Antels von Projekten in Zuwendungen (Beispiel: Social Media macht sich nicht nebenbei).
Hybride Events: Was nehmen wir mit?
Nach all den Monaten viele Gesichter aus der sozialdigitalen Szene wieder – oder erstmals – in der Realität zu sehen war ein großes Vergnügen! Und auch im Livestream-Chat gab es rege Diskussionen. Jedoch blieben die bleiben Szenen voneinander sehr getrennt. Das Präsenz-Publikum war beim Fragestellen nur schlecht zu erkennen, Fragen aus dem Chat wurden anonym vorgelesen – allgemein waren die Partizipations- und Interaktionsmöglichkeiten eher gering.
Ein langer Techniktisch als Steuerungszentrale zeigte erneut, dass hybride Events eine ganz eigene Event-Klasse sind. Sie bringen einen enormen Mehraufwand an Technik einen komplexen Moderations-, Technik- und Methodensetup mit sich, den wir erst noch erproben – und vor allem finanzieren müssen. Hier schließt sich der Kreis zu den obigen Diskussionen. Wir sind gespannt, wie es mit hybriden Events in der Zivilgesellschaft und dem BBE-Forum weitergeht, denn wir sind Fans von dieser neuen inklusiven Art zivilgesellschaftlicher Events!
Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung-Nicht kommerziell 4.0 International Lizenz.