Zivilgesellschaft als Treiberin von hybriden Veranstaltungen – ein Plädoyer

Man könnte argumentieren, dass der soziale Sektor eine besondere Verantwortung hat, diese Veranstaltungsform zu entwickeln und zu nutzen, sagen unsere Gastautor:innen Tom Leppert und Hilke Posor. In einer neuen Serie beleuchten sie das Was, Wie und Warum für uns.

Im orangefarbigem Gegenlicht steht die Silhouette einer Person mit langen Haaren, die Hand zur Siegesfaust geballt.

Puh. Was haben wir in Sachen Online-Veranstaltungen nicht alles gelernt in den letzten Monaten. Die meisten von uns sind mittlerweile geübt im Umgang mit Zoom, Jitsi und Co. Wir haben in unseren Teams Online-Besprechungen zum Standard gemacht und gemerkt, wie leicht das eigentlich gehen kann. Für das Zwischenmenschliche sorgen wir dabei – ganz sozialer Sektor – natürlich auch.

Wir haben Workshops und ganze Konferenzen online durchgeführt. Wir kennen Mural, Miro und Padlet und nutzen selbstverständlich Whiteboards und Breakout-Sessions. Die Mentimeter- oder Sli.do-Abfrage geht uns leicht von der Hand und wir sind fit in Icebreaker-Übungen. In Sachen digitaler Mittagspause und Remote-Yoga sind wir Profis. Und natürlich können wir das alles auch moderieren, fast wie wie im „richtigen“ Leben. Wir sind also angekommen in der Online-Veranstaltungswelt. Wer hätte das vor Corona gedacht?

Wie geht es weiter?

Und nun? Habt Ihr Euch auch schon gefragt, was davon bleibt? Werden wir weiter Kick-Off-Meetings online organisieren? Unsere Teamtreffen komplett im virtuellen Raum abhalten?  Uns zu Meetups und Retroperspektive auf Zoom treffen? Die Frage stellt sich jetzt, wo offline wieder zur echten Perspektive wird und viele von uns glauben, dass wir zu einer neuen Normalität zurückfinden können. Aber wie sieht sie veranstaltungsmäßig aus, diese neue Normalität? Es ist sicher noch zu früh, die Ankunft der „Post-Corona-Welt“ zu verkünden. Aber schon einmal drüber nachdenken könnte man doch. Schadet ja nicht.

Viele von uns können es kaum erwarten, endlich wieder von Angesicht zu Angesicht anderen Menschen auf Konferenzen und Workshops zu begegnen. Für sie lassen sich nur im realen Raum zufällige Kontakte knüpfen, persönliche Beziehungen pflegen, Konflikte bearbeiten oder wirklich, wirklich intensiver Austausch betreiben. Andere haben gemerkt, dass diese Online-Welt auch ihre Vorzüge hat. Flexibilität zum Beispiel. Oder geringere Reisekosten. Zugänglichkeit aus der Ferne. Wiederholbarkeit durch Aufzeichnungen, Digitale Workflows usw.

Keine Frage: Beides hat Vorteile und wahrscheinlich wollen viele nicht auf altbewährte und neue Effekte verzichten. Wäre es also nicht gut, das Beste aus beiden Welten zusammenzubringen? Und zukünftig nicht nur das eine oder das andere, sondern eine Verbindung von offline und online zu versuchen? Hybrid lautet das Zauberwort, und darum soll es gehen.

Auf der gelb hinterlegten Texttafel steht: Was sind hybride Veranstaltungen? Der Duden definiert hybrid als „Mischung; Gebilde aus zwei oder mehreren Komponenten.“ Angewandt auf Veranstaltungen würde das zunächst einmal die Mischung von Online- und Offline-Elementen bedeuten. Aber wann kann man wirklich von einer hybriden Veranstaltung sprechen? Neben dem Text ist das Bild eines Laptops in einem modernen Büro zu sehen, auf dem eine junge Frau gestikuliert.
Eine tiefergehende Antwort auf diese Frage gibt es in Teil 2 der Serie: Was sind hybride Veranstaltungen?

Wir haben eine besondere Verantwortung!

Man könnte argumentieren, dass der soziale Sektor geradezu eine besondere Verantwortung hat, diese Veranstaltungsform zu entwickeln und zu nutzen. Denn: Enorm viele zivilgesellschaftliche Angebote basieren auf Begegnung. Der Workshop zu Hate Speech, die Vorlesestunden für Kinder, die Selbsthilfegruppe: Sie sind genausowenig ein dinglicher Gegenstand, den man im Supermarkt kaufen kann, wie die Weiterbildung zu Freiwilligenmanagement, der Austausch in der Arbeit mit Geflüchteten oder das gemeinsame Singen im Chor.

Die Arbeit von sozialen Initiativen bedeutet sehr häufig, Menschen zusammenzubringen, sie an Gemeinschaft teilhaben zu lassen. Ihnen zu ermöglichen, gemeinsam zu lernen, sich auszutauschen, etwas zusammen zu erarbeiten, gemeinsam etwas zu erleben und Gemeinschaft zu erfahren. 

Der weitgehende Teilhabeanspruch unabhängig von finanziellen Möglichkeiten, (sozialer) Herkunft, körperlicher Konstitution oder sonstigen Diversitätsmerkmalen ist es, welcher die Angebote der Zivilgesellschaft unterscheidet von, sagen wir, dem Kauf eines Autos oder dem Cluburlaub. Ihnen ist gemein, dass sie ihren Zweck in der Regel umso besser erfüllen, je größer ihre Reichweite ist und je mehr Menschen daran teilhaben können. Daraus lässt sich ableiten, dass soziale Organisationen alle Möglichkeiten nutzen sollten, um ihre Reichweite zu erhöhen – ja geradezu die Pflicht dazu haben.  

These: Die Möglichkeit zur Online-Teilhabe an Angeboten der Zivilgesellschaft wird zukünftig wesentlich in der Beurteilung deren Arbeit sein. Wer nach Corona wieder nur analog denkt und mögliche Teilnehmende ausschließt, bekommt bald ein Legitimationsproblem. 

Online-Formate ermöglichen vielen Menschen Teilhabe, die sonst aus Zeitmangel, wegen fehlender finanzieller Ressourcen, wegen Bewegungsbeeinträchtigungen oder anderen Hindernissen nicht an Offline-Veranstaltungen teilnehmen können. Corona hat gezeigt: Es ist kein unüberwindbares Hindernis, auch diese Menschen einzubinden und zusätzliche Zugänge zu schaffen.

Wer Veranstaltungen zukünftig wieder rein analog plant, muss sich zumindest fragen lassen, warum potentielle Teilnehmende ausgeschlossen werden und so die Wirkung der eigenen Arbeit eingeschränkt wird. Die Fachkonferenz in Berlin zu Engagement im ländlichen Raum, die nicht zumindest versucht, auch Menschen aus der Eifel oder dem Vogtland über digitale Instrumente einzubinden, wird geradezu ihren Daseinszweck verfehlen. Das nachträgliche Publizieren von Veranstaltungs-Dokumentationen auf einer Website wird da nicht genug sein, echte Teilhabe ist gefragt. 

Echte Teilhabe ist gefragt

Die Frage nach den Möglichkeiten der Teilhabe über digitale Kanäle wird sicher auch für Förderinstitutionen relevant werden, die mit dem eingesetzten Geld für Veranstaltungsförderung häufig auch eine Erwartung an Teilnehmendenzahlen verknüpfen. Und diese Erwartungen werden angesichts der Erfahrungen aus der Corona-Zeit steigen. Auch wenn – auch das eine Erfahrung – online nicht gleichbedeutend mit einfacher und billiger ist. Häufig ist eher das Gegenteil der Fall. Aber der Erfolg – bessere Teilhabemöglichkeiten – sollte das allemal rechtfertigen.

Wir tun in der Zivilgesellschaft also gut daran, uns sehr schnell zu überlegen, wie diese neuen Möglichkeiten genutzt werden können. Unserem Teilhabe- und Wirkungsanspruch entsprechend darf man geradezu erwarten, dass wir zur treibenden Kraft in der Entwicklung von Formaten werden, die sowohl die menschliche Begegnung vor Ort als auch die Teilhabe über Grenzen hinweg ermöglicht.

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So geht es weiter

Die Autor:innen

Bild von Dr. Hilke Posor mit blondem kinnlangen Haar und einem schwarzen Oberteil.

Dr. Hilke Posor findet ihre Erfüllung, wenn Teams über sich hinauswachsen. Dieser Leidenschaft geht sie als geschäftsführende Gesellschafterin der Heldenrat GmbH nach, einem Beratungsunternehmen mit Schwerpunkt auf nachhaltigem Wirtschaften und sektorübergreifenden Kompetenztransfer. Sie ist Mitgründerin von Heldenrat – Beratung für soziale Bewegungen e.V.. und begleitet dort seit 2004 sozialen Initiativen.

Tom Leppert lächelt in die Kamera, Er trägt ein blaues Jackett und eine gestreifte Krawatte.

Dr. Thomas Leppert diskutiert gern leidenschaftlich über Folgen der Digitalisierung. Er ist geschäftsführender Gesellschafter der Heldenrat GmbH, einem Beratungsunternehmen mit Schwerpunkt auf nachhaltigem Wirtschaften und sektorübergreifenden Kompetenztransfer. Er ist Mitgründer von Heldenrat – Beratung für soziale Bewegungen e.V. und begleitet dort seit 2004 soziale Initiativen.

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