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Interaktion hilft beim Hören, Sehen und Spüren
Dass die Interaktion online ganz anders ist, haben wir mittlerweile verinnerlicht. Durch das Ein- und Ausschalten der Mikrofone treffen wir ganz bewusst Entscheidungen, ob wir etwas mündlich beitragen wollen oder nicht. Der Chat eröffnet einen parallelen Kommunikationskanal. Wir rauchen oder essen im Meeting oder schalten zwischendurch die Kamera ab und lehnen uns zurück. Analog undenkbar! Was würde das mit unserer Kommunikation machen? Es würde irritieren, verwirren, überfordern. Genau diese Irritation, Verwirrung und Überforderung besteht aber auch bei digitalen Veranstaltungen. Hinzu kommt, dass vieles etwas unnatürlich und umständlich daher kommt. Also vereinfachen wir. Es ist online meistens klar markiert, wer wann spricht und wann es Zeit für alle anderen ist, sich einzubringen. Auch die Form ist oft vorgegeben. „Fragen bitte in den Chat.“
Für viele Veranstaltungen bedeutet das lange Phasen der Passivität der Teilnehmenden. Sie interagieren weder verbal noch non-verbal mit den anderen Anwesenden. Und Körper und Geist fahren langsam runter. Dabei zu bleiben kostet viel mehr Kraft und Energie als im Analogen. Zudem fällt die soziale Kontrolle weg. Auch hier braucht es also ganz bewusst Raum zum freien Sprechen, für Spontanität und freie Wahl der Form. Schubst eure Gäste in Breakout-Sessions: In der Pause beim Ballett, im Anschluss an die Podiumsdiskussion, zwischendurch beim Vortrag. Bei jeder analogen Veranstaltungen haben hier und da kleine Gespräche stattgefunden und sie verliefen ganz unterschiedlich. Lasst sie auch digital stattfinden! Überlegt euch dazu, wann und wie sie stattfinden und wie sie genutzt werden können. Vielleicht ist es ein freiwilliges Angebot, vielleicht sollten alle mitmachen.
Wir haben uns mittlerweile daran gewöhnt, oft passiv dabei zu sein oder digitale Zusammenkünfte auf die Sachebene zu reduzieren. Deswegen brauchen all diese Interaktionsphasen eine sorgfältige Einleitung und Begleitung. Erzählt den Teilnehmenden, warum jetzt was passiert. Erinnert sie an das analoge Pendant. Gebt ihnen vielleicht einen Gesprächsimpuls oder eine Fragestellung mit – oder bereitet Gesprächsführer:innen speziell vor. Neben der Interaktion in der großen Runde und in Kleingruppen bietet auch das Zwiegespräch so viele Möglichkeiten! Vor allem kann es recht unkompliziert auch außerhalb der Online-Veranstaltung stattfinden. Der Klassiker des vergangenen Jahres war vermutlich ein gemeinsamer Spaziergang am Telefon. Andere haben gemeinsam gekocht. Je nach Verortung eurer Teilnehmenden und aktueller Situation, können sich zwei Einzelpersonen aber ggf. sogar persönlich treffen. Oder sich etwas per Post schicken, etwas vor die Tür stellen, oder, oder, oder…
Ganz egal, wie und was ihr kommunizieren wollt: Behaltet neben der Sachebene immer auch die Beziehungsebene im Blick und gebt den Teilnehmenden die Möglichkeit und die Zeit, sich nicht nur zu hören, sondern auch zu sehen und zu fühlen.
Schubst eure Gäste in Breakout-Sessions: In der Pause beim Ballett, im Anschluss an die Podiumsdiskussion, zwischendurch beim Vortrag. Bei jeder analogen Veranstaltungen haben hier und da kleine Gespräche stattgefunden und sie verliefen ganz unterschiedlich. Lasst sie auch digital stattfinden!
Haptik ist mehr als die Benutzer:innen-Oberfläche
Beim Fühlen spielen unsere Sinne eine Rolle. Wie sollen wir Nähe spüren, wenn die anderen klingen wie an einem Pappbecher-Telefon? Wenn wir sie nicht riechen können? Wie sollen wir Geselligkeit erleben, wenn wir immer nur die Geräusche aus einem anderen Mikro wahrnehmen? Wie funktioniert gemeinsames Erleben, wenn eine Person im T-Shirt im sonnigen Raum sitzt und die andere dick eingemummelt hinter dem geblurrten Hintergrund und ich den Zigarettenrauch der dritten Person nur sehe, aber nicht rieche?
Lasst uns auf die Suche gehen nach gemeinsamen sinnlichen Wahrnehmungen für alle Anwesenden! Was kann das sein? Eine besondere Optik unseres Online-Tools, ein wiederkehrendes Bild im Verlauf der Veranstaltung. Oder dass wir viele analoge Dinge einbinden. Musik, die wir gemeinsam hören. Geräusche die wir gleichzeitig machen können. Dinge, die wir gemeinsam anfassen können.
Was auch immer ihr euch vorher überlegt, die Umsetzung kann bei euch, aber auch bei den Teilnehmenden oder Gästen liegen. Ihr könnt sowohl allen den gleichen Kaffee und die gleichen Kekse vorab per Post schicken, als auch allen auftragen, sich ein Stück Kuchen zu kaufen. Beim gemeinsamen Bier ist vielleicht der Bierdeckel das Besondere. Dann solltet ihr ihn auch zelebrieren, anfassen und riechen. Beim Yoga-Workshop könntet ihr beispielsweise allen ein Tuch schicken, das vorher so lange im Studio gelegen hat, dass es danach riecht. Und natürlich könnt ihr als Veranstalter:innen auch an den analogen Ort gehen und den anderen von euren Sinneseindrücken berichten.
Der (virtuelle) Heimweg
Ganz egal, worum es nun bei eurer Veranstaltung ging, was ihr gemacht habt, wer dabei war: Irgendwann ist sie zuende. Ihr werdet eure Teilnehmenden oder Gäste verabschieden und für sie geht es weiter, ohne Ortswechsel. Genau wie bei der Anreise möchte ich euch auch für einen gestalteten Abschluss begeistern. Im Arbeitskontext müssen manche vielleicht wieder schnell an den Schreibtisch. Aber andere bleiben noch für einen kurzen Schnack. Arbeit, Networking, Smalltalk, ganz egal. Eröffnet die Möglichkeit doch auch einfach bei der virtuellen Veranstaltung.
Dass ihr Veranstalter:innen nicht dabei seid, sondern nebenher aufräumt oder nachbesprecht ist ganz normal. Wäre analog ja nicht anders. Und auch in der Freizeit läuft es doch genau so, nach der Chorprobe oder dem Arabisch-Kurs. Auch da machen sich die Leiter:innen im Analogen nicht besonders viel Arbeit mit. Aber sie lassen den Teilnehmenden den Raum. Und manche würden gemeinsam nach Hause fahren oder gehen. Weil sie sich dafür verabredet haben oder weil sie zufällig in die gleiche Richtung müssen. Warum also nicht auch hier, noch mal kurz gemeinsam eine Runde um den Block?
Viele Gedanken…
… zu einer Veranstaltung, die vielleicht nur 45 Minuten dauert. Aber vielleicht auch eine ganze Woche oder regelmäßig wieder stattfindet. Wie viel ihr vorher ankündigt, was die Teilnehmenden vorab unbedingt wissen müssen und wie viel Überraschung dabei sein soll, entscheidet ihr selber. Wichtig jedoch: eure Veranstaltung beginnt schon lange vor der Veranstaltung selber!
Nutzt auch diese Chancen, die Teilnehmenden von der Ersteinladung über weitere Infomails gut einzustimmen und beginnt schon früh, sie abzuholen. Ihr setzt Ton und Perspektive. Und vielleicht ist es auch genau diese Einladung oder Vorab-Info, die analog stattfinden kann. Mit viel Mühe, Wertschätzung und Vorfreude gestaltet. Dreht den Spieß doch einfach um! Vor einem Jahr habe ich über fast alle Veranstaltungen online erfahren und mich per Klick, E-Mail oder Formular angemeldet, um hinterher in irgendeinem Seminarraum zu sitzen. Wieso nicht für Werbung oder Einladung einen Flyer verschicken oder analoge Poster aufhängen? Als Anmeldebestätigung könnte es auch eine Postkarte oder ein Brief sein. Oder ihr verschickt ein kleines Päckchen mit den passenden Utensilien für die Vorfreude oder die Veranstaltung selber.
So viel Neues, so viel zu bedenken und so viel zu tun! Gerade deshalb haben wir Veranstalter:innen eine ganz spezielle Verantwortung. Wenn wir sie nutzen, entstehen wunderbare Chancen, die dazu führen dass unsere digitalen Veranstaltungen etwas ganz Besonderes sein können. Im besten Fall schaffen wir so Begegnungen und Erlebnisse, die andere inspirieren und mehr sind als der bestmögliche Kompromiss.
Ich träume von einer Zeit in der wir uns auf gute, kreative und interaktive Online-Veranstaltungen freuen. Genauso wie auf analoge. Die auch wieder stattfinden können.
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Großartiger Artikel mit so vielen klugen Einsichten und lebendigen Vergleichen!
Danke, das freut uns – finden wir nämlich auch!