Caritas Sozialberatung: Schnelle Hilfe übers Internet

1000 Hilferufe erreichen die Caritas-Online-Berater:innen am Tag. Ob Schuldner-, Schwangerschafts- oder Suizidberatung – seit Pandemiebeginn hat sich die Anzahl der Anfragen drastisch erhöht. Doch wie funktioniert digitale Beratungsarbeit und kann sie in Corona-Krisenzeiten die Präsenzberatung ersetzen?

Foto eines Laptops, auf dessen Display die Website der digitalen Caritas Sozialberatung geöffnet ist.

Es gibt Situationen, in denen sich Menschen eingestehen müssen, dass sie ein Problem haben und Hilfe brauchen. Genau dafür gibt es in ganz Deutschland eine Reihe von Beratungsstellen, wie die der Caritas. Doch so gut das Angebot dort auch ist, sie haben für einige Menschen entscheidende Nachteile. Erstens muss man häufig einen festen Termin ausmachen, dann muss man dort hinfahren, um einem unbekannten Menschen in einem ungewohnten Raum gegenüberzusitzen. Schließlich muss man sich offenbaren und sagen, was nicht gut läuft. Manche müssen dabei weinen, andere finden nicht die richtigen Worte. Manchmal muss man auch Wochen und Monate warten, bis überhaupt ein entsprechender Termin frei ist.

Andrea Bartsch ist Projektreferentin bei der Caritas und zuständig für die psychosoziale Onlineberatung. Sie weiß aus Erfahrung, dass all das Hürden sein können, die dazu führen, dass manche erst in die Beratungsstellen kommen, wenn der Leidensdruck fast unaushaltbar geworden ist – oder auch gar nicht. Aus Scham oder Angst. „Um diese Menschen abzuholen und unser Angebot niederschwelliger zu gestalten, haben wir 2006 zusätzlich eine Online-Beratung eingerichtet“, sagt sie. Die Beratung umfasst heute 19 Bereiche, die von der allgemeinen Sozialberatung über die Krisenberatung für junge Erwachsene zur Schwangerschaftsberatung reichen, aber auch die Prävention von Sucht, Straffälligkeit oder Suizid umfassen. Der Vorteil: Die Onlineberatung ist zeitlich und örtlich ungebunden, man kann sie also nutzen, wann und wo man möchte.

Komplett anonym, wenn man will

Los geht’s, indem man sich auf der Beratungs-Webseite registriert. Das kann man mit seinem richtigen Namen oder einem Alias machen. Außerdem wird man darum gebeten, seine Postleitzahl einzutragen. Mit dieser können die Ratsuchenden einer regionalen Caritas-Beratungsstelle zugeordnet werden. Mitarbeitende können dann passende ortsgebundene Hilfsmöglichkeiten oder Fördermöglichkeiten recherchieren und organisieren.

Am Anfang der Beratung steht die erste Nachricht des Ratsuchenden. „In diesen ersten Formulierungen steckt häufig schon ein umfassender Denk- und Schreibprozess“, sagt Andrea. „Digital geht’s schneller zur Sache, Probleme werden auf den Tisch gepackt, weil der Ratsuchende keine Sorge vor der Reaktion des Gegenübers hat.“

Eine Antwort gibt es innerhalb von 48 Stunden

Die Optik erinnert an einen üblichen Messenger wie Whatsapp. „Das kennen die meisten Leute ja schon aus ihrer Alltagskommunikation“, sagt Andrea. Mit einem Texteditor kann man editieren, Emoticons gibt es auch. Demnächst soll auch die Möglichkeit der Videoberatung dazu kommen.

Ist die Nachricht abgesendet, landet sie bei einem der regionalen Beratenden aus den jeweiligen Bereichen, die sich diese dann nach vier Gesichtspunkten anschauen. Zuerst werden die eigenen Resonanzen notiert, die die Nachricht bei dem Beratenden auslöst. Dann prüft dieser, was er eigentlich über das spezifische Thema weiß. Anschließend gibt es eine diagnostische Einschätzung mit der eine mögliche Intervention herausgearbeitet wird. Aus alldem ergibt sich eine Antwort, die der Beratende innerhalb von 48 Stunden zurücksendet. Für manche Beratungen braucht es nur wenige Nachrichten, bis das Problem gelöst ist. Bei anderen werden die Ratsuchenden über Jahre begleitet. Wieder andere werden in eine Präsenzberatung übergeleitet.

Digital geht’s schneller zur Sache, Probleme werden auf den Tisch gepackt, weil der Ratsuchende keine Sorge vor der Reaktion des Gegenübers hat.

Kommunikation gesichert

„Wenn man will, kann man sich komplett anonym beraten lassen, was uns sehr wichtig ist“, sagt Andrea. So läuft die Onlineberatung über eine caritas-eigene, abgesicherte Plattform. Die Kommunikation selber ist nur von der regionalen Beratungsstelle und dem jeweiligen Beratenden einsehbar. Personengebundenen Daten werden nur dann gespeichert, wenn der Ratsuchende sie selber angibt. Mit der Versendung der Nachrichten werden keine weiteren Daten und vor allem keine IP-Adressen übermittelt.

Im Frühjahr 2020 kamen die ersten Corona-Kontaktbeschränkungen. Geschäfte, Kinos, soziale Einrichtungen mussten schließen. Auch die regionalen Beratungsangebote der Caritas pausierten. Da aber die Onlineberatung bereits existierte, konnten die regionalen Beratenden mit ihren Klient:innen problemlos auf die digitale Beratungsplattform herüberwechseln. Manche Beratende haben ihre festen Fälle durchtelefoniert und sich mit ihnen online zu einem Live-Chat verabredet. Andere Beratungsstellen haben den Link zur Onlineberatung oder einen QR-Code ausgedruckt und an die Tür gehängt.

Ob digital oder analog – eine passgenaue Beratung für die Zukunft

Insgesamt sei die Nachfrage in dieser Zeit sprunghaft gestiegen. So gab es im Mai 2020 rund 21 000 Anfragen – doppelt so viele, wie in den Monaten vor der Pandemie. Gleichzeitig haben sich viele der regionalen Kolleg:innen zu Onlineberatern weiterbilden lassen. Vor Corona waren es 3000. Nun sind es 4000. Manche der neuen Beratenden waren erstaunt, wie gut es auch digital geht. Andere ziehen die Beratung von Angesicht zu Angesicht noch immer vor. Wieder andere können sich in Zukunft eine hybride Mischung aus beidem vorstellen.

„Das wollen wir verstärken. Eine der Situation angepasste Beratung, offline, online, je nach Bedarf und Lebenslage der Ratsuchenden“, sagt Andrea. ‚Blended Counseling‘ heißt das, wenn die analoge Welt mit der digitalen verschwimmt. „Wir wollen eine passgenaue Beratung, wollen alle Zugangswege offenlassen. Ob per Nachrichten, per Live-Chat, analog oder per Video. Je nachdem, was den Zugang zur Beratung erleichtert“, sagt Andrea.

Für alle verfügbar

Eine eigene App wollen sie aber erstmal nicht entwickeln. „Aus Sicherheitsgründen“, sagt Andrea. Aktuell müsse man sich auf der Webseite einloggen, erst dann kann man auf seine Kommunikation zurückgreifen. Niemand bekommt also mit, dass man sich beraten lässt, wenn man nach der Beratung den Browser wieder schließt. Auf ein Handy können Partner und Eltern Zugriff haben. Wäre dort eine entsprechende App installiert, könnten Nachrichten eingesehen werden, könnte schnell herausgefunden werden, dass man sich beraten lässt. In Fällen von häuslicher Gewalt kann das gefährlich werden.

Im Sommer 2020 hat die Caritas das komplette Beratungssystem auf Open Source umgestellt und den Quellcode der Software auf der Entwicklerplattform „GitHub“ verfügbar gemacht. Nun kann die Anwendung von anderen Programmierern weiterentwickelt – oder aber von anderen Organisationen kostenfrei verwendet werden.

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