Alle am Start? Wie ihr eure Zielgruppe für digitale Beteiligung gewinnt

Was braucht es, um gemeinsam an neuen Ideen zu arbeiten und Entscheidungen zu treffen? Austausch, konstruktive Diskussionen – und verschiedene Perspektiven. Aber wie kann das gehen? Im 6. und letzten Teil unserer Serie Digitale Beteiligung mit Liquid Democracy geht Rebekka auf diese Fragen ein.

Man sieht die Hände und den Torso einer Person, die ein Smartphone bedient.

In unserer Serie zu Digitaler Beteiligung haben wir euch die Vorteile von digitalen Beteiligungsprozessen aufgezeigt. Vielfach können sie flexibler eingesetzt und genutzt werden als ihr analoges Pendant: Die Teilnahme ist zeit- und ortsunabhängig möglich, wodurch sich mehr Menschen bei zugleich niedrigerem logistischem Aufwand einbringen können.

Digitale Beteiligung ermöglicht Menschen Teilhabe, die sich aus unterschiedlichen Gründen in Präsenzveranstaltungen nicht zu Wort melden würden. Und das ist wichtig, denn Beteiligungsprojekte sollten im besten Fall so vielfältig sein wie die Menschen, die von einem Thema betroffen sind. Es gibt viel Wissen, viele Ideen und Bedarfe, die nicht gehört werden, aber eigentlich in Entscheidungsprozessen nicht ungehört bleiben sollten. Oft wird zwar über, aber nicht mit den Betroffenen gesprochen. Das führt zum Beispiel dazu, dass sich häufig nur die beteiligen, die einen höheren Bildungsgrad haben und die bereits erfahren durften, dass ihre Stimme etwas zählt.

Ob analog oder digital, es gibt einige Hürden, die in Beteiligungsprojekten auftreten können und die es Menschen erschweren, sich einzubringen. Haben alle von dem Projekt erfahren und die nötigen Infos? Können alle der Diskussion sprachlich folgen? Vertrauen alle Teilnehmer*innen darauf, dass von Bedeutung ist, was sie sagen? Digitale Beteiligung kann Hürden abbauen, aber auch neue Hürden setzen: Haben alle die nötigen digitalen Skills und die Ausstattung, um sich zu beteiligen?

Zum Abschluss unserer Reihe möchten wir euch vier Ratschläge mit auf den Weg geben, damit sich tatsächlich die Menschen in euren Diskussions- oder Entscheidungsprozess einbringen, die das jeweilige Thema auch betrifft.

#1 Fange bei deiner Zielgruppe an!

Überlege dir gut, wer deine Zielgruppe ist und wo du selbst stehst: Welche Beziehung hast du zu der Gruppe? Welche Annahmen hast du? Was weißt du über die Gruppe? Was braucht sie? Und wer könnte noch Teil der Gruppe sein, die oder den du vielleicht nicht auf dem Schirm hast? Achte hier besonders darauf, wie sich Gruppen selbst bezeichnen und nicht primär darauf, welche Begriffe beispielsweise Mainstream-Medien verwenden.

Auf einer grauen Betonwand ist in Klebefolien-Buchstaben "Everyone ist welcome!. Darunter Kreidekritzeleien.
Foto: Katie Moun auf Unsplash

Falls du oder dein Team selbst keinen Bezug zu (Teilen) der Zielgruppe habt, kann es sinnvoll sein, gezielt Menschen aus der Zielgruppe als Kooperationspartner:innen in die Vorbereitung einzubinden oder ins Team zu holen. Du kannst dazu auch mit anderen Organisationen kooperieren. Ein diverses Team dieser Art ist grundsätzlich sinnvoll, um verschiedene Perspektiven und Skills einzubinden.

Sei dir dabei bewusst, dass nicht alle Menschen gleich viel Erfahrung mit Partizipation haben. Was kann ihnen das Projekt bieten und wie kannst du sie motivieren und unterstützen? Es lohnt sich, wenn ihr euch über die Zielgruppe vorab einige Gedanken macht.

#2 Language matters!

Beteiligung sollte so einfach wie möglich sein. Aber „einfach“ bedeutet nicht für alle dasselbe und fängt oft schon bei der Sprache an. Barrieren abzubauen kann hier heißen, einfache oder leichte Sprache zu verwenden und vieles in Grafiken oder Bildern zu visualisieren. Menschen sprachlich mitzunehmen kann außerdem bedeuten, gendersensible Sprache zu verwenden.

Verschiedene Sprachen einzubinden ist dann besonders sinnvoll, wenn die Übersetzung auch in beide Richtungen gewährleistet ist. Mit einer Übersetzung der Software ist es dabei nicht getan, wenn diese einfach die Navigationselemente, nicht aber die durch die Nutzer:innen generierten Beiträge übersetzt. Denn Mehrsprachigkeit und verständliche Sprache spielen nicht nur in der PR und deinen Beschreibungstexten im Projekt eine Rolle, sondern auch in den Beiträgen der Teilnehmenden (siehe #4). Daher kann es auch hier hilfreich sein, Menschen mit verschiedenen Sprachkenntnissen im Team zu haben.

#3 Viele Wege führen zum Ziel!

Mit digitalen Formaten können sich viele Menschen flexibel an Diskussionen beteiligen, die bei Offline-Veranstaltungen außen vor bleiben würden. Trotzdem ist es wichtig, nicht nur digitale, sondern eine Vielzahl an Kanälen zu nutzen. Das gilt für eure PR-Maßnahmen genauso wie für mögliche Wege der Beteiligung. Denn um sich im Netz zu bewegen, bedarf es nicht nur der nötigen Technik, sondern auch bestimmter Skills. Das ist oft abhängig vom Alter, hängt aber auch mit einer Vielzahl von anderen Faktoren zusammen, wie zum Beispiel dem Einkommen.

EIne Menschenmenge in einem Aufitorium Viele Hände sind als Meldung gereckt.
Foto: Edwin Andrade auf Unsplash

Das heißt: Setze auf verschiedene Kommunikationswege. Wirb nicht nur über Social Media und Online-Portale, sondern je nach Zielgruppe auch über Flyer in Briefkästen, Aushänge beim Bäcker oder in der Lokalzeitung. Und wenn deine PR erfolgreich war, sorge dafür, dass sich die Teilnehmer:innen auch auf unterschiedliche Arten am Projekt beteiligen können. So wichtig digitale Formate sind: Je nach Zielgruppe können Antwortkarten oder Anrufe per Telefon von großer Bedeutung sein. Der digitale Weg kann analoge Formate immer ergänzen, aber nicht immer ersetzen.

#4 Schaffe Safer Spaces!

Wer sich sicher fühlt, traut sich eigene Ideen und Gedanken zu äußern.
Und wer sich gehört fühlt, bringt sich gerne ein.

Andersherum: Wer sich nicht sicher fühlt, verstummt schnell. Und wer Angst vor Verbalattacken haben muss, traut sich womöglich erst gar nicht, sich zu Wort zu melden. Es kommt zu einem so genannten „silencing“.

Moderation ist deshalb so wichtig, weil sie darauf achtet, ob sich der Tonfall der Diskussion verändert und bei diskriminierenden oder anderen grenzüberschreitenden Kommentaren eingreifen kann. So wird den Betroffen gezeigt, dass sie nicht alleine sind und unterstützt werden. Gleichzeitig sendet ein Eingreifen klare Signale an andere Teilnehmende. Hier kann es hilfreich sein, auf eigene Diskussionsregeln zu verweisen (hier ein Beispiel unserer Netiquette). Grundsätzlich gilt es, eine Atmosphäre zu schaffen, in der Fehler machen erlaubt ist, Fragende eine Antwort bekommen und Beiträge gesehen werden. Je nach Anzahl der zu erwartenden Beiträge ist man als Moderationsteam gut aufgestellt.

Es wird nicht möglich sein, wirklich alle zu erreichen und von Beteiligungsprojekten zu begeistern. Beteiligung ist immer freiwillig und damit selbst-selektiv. Nicht für alle wird dein Projekt einen so hohen Stellenwert einnehmen, dass sie dafür ihre Zeit einsetzen. Vielmehr geht es darum, möglichst viele Barrieren abzubauen, damit das Spektrum der Beiträge die Heterogenität der Zielgruppe abbildet.

Habt ihr selbst Erfahrungen mit diesem Thema oder den anderen Themen unserer Reihe gemacht? Habt ihr Ergänzungen oder Fragen? Wir freuen uns, von euch zu hören. Schreibt uns gerne an hallo@liqd.net oder besucht uns auf liqd.net. Wenn ihr Fragen zu unserer Software habt oder gleich euer eigenes digitales Beteiligungsprojekt starten wollt, schreibt uns unter start@adhocracy.plus. Wir wünschen euch viel Spaß und viel Erfolg!

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