Live-Kommunikation demokratisieren – wie konstruktive Diskussionen digital gefördert werden können

Fragen zu einer Diskussion über einen Chat stellen – während der Corona-Monate haben wir das oft gemacht. Im fünften Beitrag unserer Serie Digitale Beteiligung zeigt uns Marie-Kathrin von Liquid Democracy, wie chatbasiertes Fragenstellen auch bei analogen Treffen die Diskussion demokratisieren kann.

Hunderte Menschen sitzen in einem Saal nebeneinander - sie sind von hinten schräg oben fotografiert. Das Bild ist blau-lila eingefärbt, über einigen Köpfen stehen Sprechblasen die sagen "Ständig reden andere, so komm ich nie dran" oder "jetzt habe ich meine Frage wieder vergessen".

Wir von Liquid Democracy verstehen Diskussionen und Auseinandersetzung als einen wichtigen Bestandteil unserer Demokratie. Sie geben den Raum, Demokratie zu erleben und zu praktizieren. Diskussionsveranstaltungen bieten jedes Jahr Tausenden von Menschen die Möglichkeit, ihre Gedanken und Ideen einzubringen – zumindest theoretisch. Denn viel zu oft sind Diskussionen so organisiert, dass die meisten Teilnehmer:innen in einer zuschauenden Rolle bleiben. Wir haben ein digitales Tool entwickelt, um Diskussionen demokratischer zu machen. In diesem Artikel erklären wir, wie das Tool funktioniert und wie ihr es nutzen könnt. 

Sind Diskussionen demokratisch?

Wir alle kennen es noch von Prä-Corona-Events: Eine Veranstaltung mit Podiumsdiskussion. Die Diskussion wird für Fragen aus dem Publikum geöffnet. Die erste vermeintliche Frage wird gestellt – und dem gemeinen Teilnehmenden wird schnell klar: Die Person stellt keine Frage, sondern nimmt sich den Raum, um ihre Meinung lang und breit darzulegen. Das führt nicht nur dazu, dass die Diskussion langatmig und langweilig wird, sondern auch dazu, dass sie von einer Minderheit dominiert wird. Der Rest der Teilnehmenden ist nicht repräsentiert und steigt im schlimmsten Fall aus der Diskussion aus. Demokratisch ist das nicht!

Bei den derzeitig vermehrt stattfindenden digitalen Events gibt es eine ganz einfache Möglichkeit, dem entgegenzuwirken: Fragen werden über den Chat eingebracht. So können auch nicht-rededominante Menschen an der Diskussion teilnehmen. Teilweise erlauben Moderator:innen in digitalen Räumen ausschließlich schriftliche Fragen, weil sie damit eine größere Kontrolle über den Sprechanteil der Teilnehmenden haben. Was können wir von diesen Erfahrungen für analoge Events in der Post-Corona-Zeit lernen? Und können uns digitale Tools hier unterstützen?

Unsere digitale Lösung: Die Interaktive Veranstaltung

Im Rahmen eines Förderwettbewerbs haben wir die Interaktive Veranstaltung entwickelt. Sie ist ein digitaler Assistent, der die Redelisten für Moderator:innen vereinfacht, das Bewusstsein für Rede-Dominanzen schärft und so inklusivere Diskussionen ermöglicht.

Das Tool funktioniert so: Während einer Veranstaltung können über Smartphones anonym Fragen gestellt werden, die für die Moderation und die Teilnehmenden einsehbar sind. Teilnehmende können außerdem andere Fragen „liken“ und so darauf hinweisen, welche Fragen besonders relevant sind. Die Moderation kann die Beiträge nach ihrem Belieben filtern und sortieren und behält so den Überblick über die Redeliste. Das Herzstück des Tools ist allerdings die Einstellung zu den Merkmalen. Sie machen deutlich, wer sich an der Diskussion beteiligt und wer gehört wird. 

Wer spricht da?

Alle sprechen über Jugendliche aber niemand unter 20 Jahren kommt zu Wort? Der Raum ist voller Frauen, aber überwiegend sind es die Männer, die ans Mikrofon treten? Um das zu verhindern, kann die Moderation vorab Merkmale definieren (z.B. Geschlecht, Alter, Wohnort, o.a.). Jede Person, die digital eine Frage stellt, muss sich selbst einem Merkmal zuordnen, das dann neben der Frage angezeigt wird. So wird es der Moderation erleichtert, eine ausgeglichene Diskussion zu führen, denn sie kann Fragen von unterrepräsentierten Gruppen bewusst in die Diskussion integrieren. Eine für alle einsehbare Statistik macht transparent, ob dies gelingt. Allein diese Transparenz schafft ein Bewusstsein der Moderation und der Teilnehmenden. 

Klingt gut, oder? Damit du das Tool auch bestmöglich auf deiner nächsten Veranstaltung einsetzen kannst, haben wir dir noch ein paar Hinweise zusammengestellt.

Man sieht eine dunkle Bühne, im Hintergrund eine Leinwand, auf der das Tool Interaktive Veranstaltung eingeblendet ist. Vorn in der Ecke sieht man enschen an Laptops.
Die Interaktive Veranstaltung im Einsatz. Foto: Liquid Democracy

Tipps und Tricks für die Anwendung

Es gibt ein paar Punkte, die du bei der Vorbereitung deines demokratischen Live-Events beachten solltest: 

1) Co-Moderation

Unsere Erfahrung hat gezeigt: Moderieren ist eine anspruchsvolle Aufgabe und bedarf viel Aufmerksamkeit – eine Diskussion zu führen und gleichzeitig Online-Fragen zu filtern kann schnell überfordern. Deshalb empfehlen wir eine Co-Moderation, die der Moderation an geeigneter Stelle Beiträge von der Plattform zukommen lässt. Alternativ kann die Plattform auch an eine Wand projiziert werden, damit Publikum und Moderation gemeinsam auf die eingereichten Fragen schauen können. 

2) Diskussionsformat

Die Interaktive Veranstaltung kann in kleineren und größeren Veranstaltungen zum Einsatz kommen. Wichtig ist, dass genügend Zeit für Fragen aus dem Publikum eingeplant wird. Dies kann z.B. im Rahmen einer klassischen Podiumsdiskussion stattfinden. 

Bewährt hat sich auch die Fishbowl-Methode, in der auf dem Podium ein Stuhl frei bleibt, auf dem Gäste aus dem Publikum Platz nehmen können. Nicht alle haben den Mut, sich so zu präsentieren. Mit der Interaktiven Veranstaltung kann die Co-Moderation zum „Sprachrohr“ der Leisen werden: Sie sortiert im Hintergrund die Fragen und nimmt in regelmäßigen Abständen den freien Platz. Netter Nebeneffekt: Die Co-Moderation bringt so Bewegung in den Kreis und lässt den Stuhl immer wieder frei zurück. Menschen, die es sich auf dem Gästeplatz bequem machen, werden damit immer wieder motiviert, sich zurückzusetzen.

Wer es noch niedrigschwelliger haben möchte, der kann das Podium in der Mitte des Publikums platzieren oder eine Kleingruppenarbeit in den Ablauf einbauen, in der gemeinsam Fragen formuliert und eingestellt werden. Damit wären auch Menschen integriert, die keinen Zugang zu mobilen Geräten haben.

3) Benennung von Merkmalen

Im Vorfeld ist es wichtig, sich Gedanken über die sinnvolle Auswahl und Benennung der Merkmale zu machen. Wer wird sich in diesem Kontext vermutlich besonders engagieren? Wer soll besondere Aufmerksamkeit bekommen? Denke daran: Durch die Merkmale sollen unterrepräsentierte Gruppen sichtbar werden, um sie bewusst in den Diskurs einzuladen. Achte auf Selbstbezeichnungen und vermeide Fremdzuschreibung der Gruppen. Es ist wichtig, sich über die Merkmale bewusst Gedanken zu machen, damit sie inklusiv wirken können!

Gleich loslegen!

Du willst gleich loslegen? Kein Problem! Die Interaktive Veranstaltung ist die kostenfreie und allgemein zugängliche Open-Source-Variante zu herkömmlichen Angeboten, die eure Daten nicht verkauft. Die Funktion ist browserbasiert, die Teilnehmer:innen müssen sich also weder registrieren noch eine App herunterladen. Ein Link oder QR-Code genügt und schon können alle mitmachen. Das Tool ist Teil unserer Partizipationssoftware adhocracy.plus, die noch weitere tolle Funktionen für digitale Diskussionen und Beteiligung bietet und kostenfrei nutzbar ist. 

Wie du siehst: Mit ein bisschen Vorbereitung und digitaler Unterstützung kannst du in deiner Veranstaltung für eine demokratischere und ausgewogenere Diskussion sorgen. Wenn du selbst eine Interaktive Veranstaltung durchführen möchtest oder Fragen dazu hast, kannst du uns gerne unter start@adhocracy.plus schreiben.

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Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung-Nicht kommerziell 4.0 International Lizenz.

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