Es ist auf jeden Fall aufregend, wenn man sich das erste Mal trifft. Schließlich kennt man das Gegenüber gar nicht. Über was soll man sich unterhalten? Wird man sich überhaupt verstehen? Ist man sich nicht doch zu fremd? Immerhin kommt der jeweils andere aus einem anderen Land, spricht eine andere Sprache, ist anders aufgewachsen.
Start with a friend ist eine Initiative, die Fremde zu Freunde machen möchte. Dafür werden Tandems zwischen Menschen organisiert, die sich vielleicht sonst nie begegnet wären. Die einen, die sogenannten Locals, kommen aus Deutschland oder leben schon länger hier. Die anderen sind vor kurzem erst nach Deutschland eingewandert. „Vor dem ersten Treffen machen sich schon manche Sorgen“, sagt Teresa Rodenfels, 35, Geschäftsführerin von Start with a friend, kurz SwaF. 2014 legte SwaF in Berlin los. Sechs Jahre später gibt es die Organisation an 22 Standorten in der ganzen Bundesrepublik. Circa 6900 Tandems haben sie bis heute vermitteln können.
Sechs Monate kennenlernen
Wer auf Start with a friend aufmerksam geworden ist, durch die Presse, auf Youtube oder einem Straßen-Info-Tisch, kann sich über die Webseite anmelden. Als erstes findet ein Infotag statt. Dort wird das Programm vorgestellt, alle Fragen beantwortet und man kann sich überlegen, was man sich von solch einem Tandem erhofft. Dann gibt es noch Einzelgespräche und einen Fragebogen.
Anhand dieser Informationen werden dann Menschen mit ähnlichen Lebenssituationen und ähnlichen Interessen miteinander verbunden. Kontaktdaten werden ausgetauscht, einer muss dann den ersten Schritt machen und sich melden. Dann gibt es ein erstes Treffen, dass hoffentlich der Auftakt von einem interessanten und bereichernden Tandem wird. Die Tandems werden vorbereitet, begleitet und am Ende der festgelegten sechs Monate gibt es eine Auswertung.
Teresa lernte Start with a friend kennen, weil sie sich für ein Tandem interessierte. Auch sie war vor dem ersten Treffen aufgeregt. Doch genau dafür bekam sie und bekommen alle Tandempartner Fragen an die Hand, die sie sich gegenseitig stellen können: „Was bedeutet Freundschaft für dich? Welche Orte aus deinem Leben würdest du mir gerne mal zeigen? Wann hast du das letzte Mal gelacht?“ So entstehen die ersten Anknüpfungspunkte.
Und danach? Spazieren oder wandern gehen. Ins Kino oder ins Museum. Gemeinsam kochen. Sport machen. Reden. Deutsch lernen. Den anderen, einst Fremden, kennenlernen und damit hinter den eigenen Horizont schauen. „Das ist ein Kontakt auf Augenhöhe, von dem beide Seiten am Ende was mitnehmen sollen“, sagt Teresa. Ein Großteil der Arbeit von Start with a friend ist auf den persönlichen Kontakt von Angesicht zu Angesicht ausgelegt.
Abläufe digitalisieren
Doch dann, im März 2020, traten die bundesweiten Kontaktbeschränkungen in Kraft, um die Corona-Pandemie einzudämmen. Was nun? Wie konnte die Tandemarbeit weitergehen, wenn man sich nicht mehr treffen darf? „Wir haben uns überlegt, wie wir unsere eigenen Abläufe digitalisieren können“, sagt Teresa.
Da sind zum Beispiel die Infoabende, die sie von nun an per Videochat organisierten. Sie können dieselben Informationen geben, wie vorher. Sie können die Interessierten genauso kennen lernen und von ihren Motivationen erfahren, wie vorher. Die Interessenten wiederum haben es einfacher, weil sie nicht mehr persönlich in die örtlichen Büros mussten. Das ist ein Vorteil für diejenigen, die in ländlichen Gegenden leben, eine Familie haben oder anders eingespannt sind.
Getrennt, aber doch zusammen kochen
Die Tandems wiederum sollten versuchen, auf elektronische Kommunikation umzusteigen: per Telefon, per Video-Calls oder per Messenger wie Whatsapp. „Am Anfang hatten wir Sorge, ob sich das in den Alltag integrieren lässt. Ob der persönliche Kontakt, der ja so wichtig für das Tandem ist, aufrechterhalten werden kann“, sagt Teresa. Aber es funktionierte. Die Tandems hätten sich gegenseitig Rezepte ihres Lieblingsessens zugesendet. Jeder kochte und aß für sich, aber per Videocall dann doch wieder zusammen. Oder sie haben sich Filmtipps geschickt, die Filme alleine gesehen und anschließend darüber geredet. Oder sie haben einfach so miteinander gesprochen. Viele hätten sich Nachrichten zwischendurch geschickt. Für normale Spaziergänge mit Abstand konnte man sich ja auch noch treffen.
Eine Evaluation hat ergeben, dass die meisten diese neue Form der Online-Kommunikation als unkompliziert empfunden haben. Einerseits mussten man nicht extra das Haus verlassen, was für einige Menschen den Kontakt sogar noch erleichtert hat, weil er flexibler war. Andere fanden den Kontakt trotz der digitalen Wege sehr persönlich. Insgesamt hat kaum jemand das neue Tandem-sein als negativ empfunden, nur weil man sich in dieser Zeit vor allem digital verständigt hat.
Wohnzimmerkonzert online
Auch auf der Organisationsebene musste Start with a friend umdenken. Ein wichtiger Bestandteil der Organisation ist das jährliche bundesweite Treffen. Hier kommen alle Ehrenamtlichen, Hauptamtlichen und sonst wie Engagierten angereist. Sie tauschen sich aus, lernen voneinander, erleben sich als Gemeinschaft. Auch dieses Treffen mussten sie ins Digitale verlagern. Genutzt haben sie dazu u.a. Miro, ein digitales Whiteboard für Teamwork. Damit schafften sie es, den analogen Tagesablauf ins Digitale zu transferieren. Nach einer Begrüßung schickten sie die Menschen in verschiedene digitale Workshops, für zwischendurch gab es soziale Hangouts und zum Abschluss sogar ein Wohnzimmerkonzert. „Von Angesicht zu Angesicht ist es natürlich besser, aber das war schon eine viel bessere Alternative, als es ganz ausfallen zu lassen“, sagt Teresa.
Die Teams vor Ort bestehen aus ehrenamtlichen Engagierten und aus sogenannten Fellows. Das sind Menschen, die beruflich mit 10 Stunden die Woche die Arbeit unterstützen. Die Standort-Teams organisieren die Tandem-Arbeit vor Ort. Dazu gehören Infoabende und Einzelgespräche. Sie vermitteln Tandems und begleiten sie während der sechs Monate. Außerdem organisieren sie die lokale Öffentlichkeitsarbeit.
E-Learning als Ergänzung
Diese Lokal-Teams müssen geschult werden, was mit den Kontaktbeschränkungen noch einmal verstärkt auf eine E-Learningplattform verlagert wurden. Hier gibt es Videos, Kurse und Online-Seminare rund um die Organisation und zur Tandemarbeit. Außerdem werden Themen wie Transkulturalität, Ressourcen stärken oder Antirassismus besprochen. Die Plattform heißt Moodle – und wird auch von vielen Universitäten genutzt. Außerdem überlegen Teresa und ihre Kolleg:innen, ob sie eine App entwickeln sollen, mit der die Tandems und die anderen Engagierten sich noch stärker vernetzen und voneinander lernen können.
„Corona hat eine Digitalisierung forciert, die sowieso schon auf dem Weg war“, sagt Teresa. Insgesamt ist die Arbeit von Start with a friend auf den persönlichen Kontakt ausgelegt, der sich durch digitale Komponenten wunderbar ergänzen kann. Viele der Tandems bleiben übrigens auch nach den sechs Monaten in Kontakt. Bei einigen ist daraus sogar eine richtige feste Freundschaft geworden.
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