Foto: Linda Margarete Müller
Warum ist die Begriffsklärung wichtig?
Damit ihr den digitalen Wandel in euren Organisationen erfolgreich gestalten könnt, braucht es eine gemeinsame sprachliche Basis. Denn nur, wenn ihr über Wandel sprechen könnt und auch dasselbe meint, können Bedarfe erkannt, formuliert und bearbeitet werden. Gerade im Kontext von Digitalisierung existieren sehr unterschiedliche Konzepte und Bilder in den Köpfen, die es gilt explizit zu machen. Legen wir los!
Digitalisierung: Scheinbar allen klar, worum es geht
Die klassische Vorstellung ist schnell skizziert:
Lange wurde davon ausgegangen, dass Digitalisierung ganz einfach durch die Umwandlung analoger Objekte (wie Schriftstücke, Musik, Fotos oder Filme) in digitale Objekte beschreibbar ist. Ursprünglich ging es also lediglich um den Austausch von analogen durch digitale Werkzeuge. Mehr nicht.1
– Helmut Kreidenweis
Einmal kurz abgeglichen mit unseren Alltagserfahrungen wird sehr schnell klar, dass diese Perspektive viel zu kurz greift. In aktuellen Definitionen werden deshalb auch die weitreichenden Konsequenzen auf die Gesellschaft betont, die Digitalisierung mit sich bringt. Das umfasst zum Beispiel die Entwicklung neuer Kommunikationsformen, veränderter Organisationsmodelle bis hin zur Entstehung ganz neuer Strukturen und Handlungsweisen in Wirtschaft und Gesellschaft.2 Dieser gesellschaftliche Blick hilft euch aber nur bedingt, um in eurer Organisation mit Menschen darüber zu sprechen, was für konkrete Auswirkungen damit verbunden sind. Dazu brauch es etwas Handhabbares, das die verschiedenen Dimensionen von Digitalisierung deutlich macht.
Die Grafik zeigt drei Perspektiven auf Digitalisierung und macht den Begriff greifbarer und einfacher zu besprechen.
Ganz rechts seht ihr die technologische Dimension. Hier geht es um die grundlegende digitale Infrastruktur und alle Prozesse, die im Kern technisch bearbeitet werden. Dazu gehört auch die klassische IT und auf dieser Arbeit wird Digitalisierung fälschlicherweise oft reduziert.
Ganz links ist die gesellschaftliche Dimension verortet. Hier geht es darum, wie Technologie die Gesellschaft verändert. Allerdings weniger im allgemeinen Sinne, sondern viel mehr aus Perspektive eurer Organisationen. Das heißt die Auswirkungen des digitalen Wandels auf das Umfeld eurer Organisation – bis hin zu den direkten Zielgruppen eurer Arbeit. Umgekehrt kann es auch sein, dass ihr durch Nutzung, Entwicklung oder Bewertung von digitalen Technologien Einfluss auf den gesellschaftlichen Umgang damit nehmt – bis hin zu Digitalisierung als politisches Handlungsfeld.
In der Mitte liegt die kulturelle Dimension. Hier stehen die Menschen im Zentrum und wie sie mit den veränderten technischen Rahmenbedingungen umgehen können und wollen. Es geht also um den Aufbau von Kompetenzen, die Veränderung von Arbeitsweisen und die Kultur der Organisation im Umgang mit digitalen Technologien.
Die kulturelle Dimension wird oft unterschätzt. Sie spielt aber bei den meisten Digitalisierungsprozessen die zentrale Rolle.
Technisches Know-How zum Aufbau digitaler Infrastruktur lässt sich im Zweifel immer von außen in die Organisation holen. Entscheidend ist aber, wie die Menschen im Inneren der Organisation damit umgehen können und wollen.
Und wie kommt die Organisationsentwicklung jetzt ins Spiel?
Diese offensichtliche Komplexität des digitalen Wandels legt die Vermutung nahe, sich den Herausforderungen am besten sehr grundsätzlich und möglichst planvoll zu widmen. Also von Anfang Organisationsentwicklung zu betreiben. Was genau mit dem Begriff gemeint ist und ob diese Art des Herangehens tatsächlich am sinnvollsten ist, das wollen wir uns jetzt genauer anschauen.
Im Kern beschreibt Organisationsentwicklung einen geplanten, systematischen und langfristigen Prozess, der ganzheitlich auf die Veränderung und Weiterentwicklung einer Organisation ausgerichtet ist und unter größtmöglicher Beteiligung aller Betroffenen umgesetzt wird.
– Tanja Hille
Entscheidend ist hier der Blick auf die Organisation. Es geht nicht um kurzfristige Erfolge in einem bestimmten Bereich, sondern um eine längerfristige Perspektive, die die Organisation als Ganzes in den Blick nimmt und diese dauerhaft zukunftsfest aufstellen möchte. Aufgrund der sich schnell verändernden Umstände (im Innen und im Außen), kann eine dauerhafte Entwicklung nur in Form eines Prozesses gelingen, der kein fest definiertes Ende hat.
Nun zur Frage: Ist Digitalisierung so groß und komplex, dass sie nur durch einen organisationsentwicklerischen Ansatz gestaltet werden kann?
Dem Grunde nach ist das so, aber dennoch muss die Frage mit einem klaren Nein beantwortet werden! Organisationsentwicklung im oben beschriebenen Sinne ist sehr voraussetzungsvoll und würde die allermeisten Organisationen komplett überfordern. Wichtig ist aber, dass ihr euch Stück für Stück einer organisationsentwicklerischen Perspektive annähert. Das muss das klare Ziel sein. Denn nur so könnt ihr der Komplexität des digitalen Wandels langfristig gerecht werden. Diese Perspektive ist aber in den allermeisten Fällen kein guter Startpunkt. Dafür fehlt in aller Regel Zeit, Geld und vor allem das nötige Wissen über die eigene Organisation. Für den Anfang ist ins Handeln kommen, Erfahrungen sammeln und Widerstände kennenlernen viel wichtiger. Aber wie genau könnt ihr da ran gehen?
Erprobungsräume als erste Schritte im digitalen Wandel
Anstatt einen großen, strategischen Prozess zu starten, setzt der Erprobungsraum auf das Motto „klein anfangen und lernen“. Die Grundidee besteht also darin, neue Ansätze und Konzepte des digitalen Arbeitens im kleinen Maßstab zu testen. Diese simple Idee bietet viele Vorteile: Erprobungsräume sind reale Tests für digitale Lösungen im Gegensatz zur rein theoretischen Herangehensweise einer Digitalstrategie. Sie ermöglichen agile und erfahrungsbasierte Anpassungen, sie minimieren Risiken, weil ihr potenzielle Probleme frühzeitig identifizieren könnt und bieten die Möglichkeit, eine Kultur der Innovation und des Experimentierens in kleinen Teams zu erproben.
Stellt sich die Frage, wie ihr den passenden Erprobungsraum am besten auswählt.
Einfach irgendwie loslegen?
Da ihr alle unterschiedliche Voraussetzungen mitbringt, lohnt sich ein genauer Blick auf mögliche Erprobungsräume. Dazu könnt ihr in zwei Schritten vorgehen: Zu Beginn gilt es, mögliche Erprobungsräume zu sammeln. Denkt dabei an Bereiche in eurer Organisation, für die ihr mit Hilfe digitaler Technologien einen Mehrwehrt schaffen wollt und die ihr in circa sechs bis neun Monaten umsetzen könnt. Als zweiten Schritt können die Erprobungsräume in einem simplen Koordinatensystem mit den beiden Dimensionen Wirksamkeit und Umsetzbarkeit eingeordnet werden.
Um die einzelnen Erprobungsräume besser verorten zu können, können die Fragen auf der rechten Seite helfen. Die sogenannten „3 Ws des organisationalen Wandels“ geben euren Überlegungen mehr Tiefgang und helfen, sich die Umsetzung besser vorzustellen (Weiß 2018: 48).3
Erprobungsraum ausgewählt und umgesetzt. Wie geht es jetzt weiter?
Ganz wichtig ist es, aus jedem Erprobungsraum zu lernen und die Situation neu zu bewerten. Auch wenn ihr nicht über umfängliche Ressourcen verfügt und immer wieder nur kleinere Projekte umsetzen könnt, seid ihr dadurch in der Lage, Schritt für Schritt eure Organisation zu wandeln. Denn je mehr ihr in verdaulichen Happen lernt, desto eher könnt ihr ganzheitlicher, strategischer und langfristiger auf die Dinge zu schauen. Desto eher seid ihr dazu in der Lage Organisationsentwicklung zu betreiben.
Digitalisierungsstrategie als missing link zwischen Erprobungsräumen und Organisationsentwicklung
Hier kommt die Digitalstrategie ins Spiel. Sie ist eine Art Brücke zwischen den Erprobungsräumen, die nach dem Motto „einfach mal loslegen“ funktionieren, und der Organisationsentwicklung, die Dinge langfristig in den Blick nimmt.
Angelehnt an die verwendete Definition von Organisationsentwicklung definieren wir Digitalstrategie als einen gezielten, systematischen und langfristigen Prozess, der ganzheitlich darauf ausgerichtet ist, jegliche Form organisationaler Wertschöpfung durch den Einsatz digitaler Technologien zu transformieren. Im Sinne und unter Einbeziehung und Beteiligung möglichst aller betroffener Stakeholder.
Gerade für Nonprofit-Organisationen ist hier wichtig zu betonen, dass nicht eine wirtschaftsbezogene Form von Wertschöpfung gemeint ist. Es geht um die Verwirklichung der Werte eurer Organisation. Also zum Beispiel die Umsetzung von hochwertiger Bildung für eure Zielgruppen.
Somit wird auch klar, dass auf keinen Fall alles sofort digitalisiert werden muss. Wenn der digitale Wandel euch an der ein oder anderen Stelle keinen Nutzen stiftet, dann können und sollen Dinge auch analog bleiben können. Um Bedarfe und Perspektiven zu erkennen und richtig einordnen zu können, braucht ihr allerdings Erfahrung und einen guten Blick auf eure Zielgruppen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass ein zusätzlicher Nutzen durch digitale Technologien durch den eigenen Mangel an Fantasie verhindert wird. Hier gilt es, sich immer wieder kritisch selbst zu hinterfragen. Gerade weil Technologie sich so schnell wandelt.
Anmerkungen
1 Dieses Zitat stammt aus dem Buch „Sozialinformatik – Digitaler Wandel und IT-Einsatz in sozialen Organisationen“ von Helmut Kreidenweis von 2020 (S. 63).
2 Weitere Infos dazu findet ihr in Kreidenweis‘ Buch auf S. 65.
3 Mehr über die 3 Ws erfahrt ihr in Christina Weiß‘ Veröffentlichung „Organisationaler Wandel als mögliche Voraussetzung für die erfolgreiche Implementierung einer digitalisierten Produkt- und Distributionspolitik in Klein- und Mittelunternehmen“ von 2018 (S. 48).
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