Gerald Swarat: Von Zwischenzeiten und digitalem Wandel

Der Digitalisierungs-Boom der vergangenen Jahre bringt besondere Herausforderungen mit sich, denn er eröffnet plötzlich völlig neue Formen des gesellschaftlichen Miteinanders und beeinflusst unser aller Leben enorm. Gerald Swarat hat mit einigen Mitstreiterinnen einen Verein gegründet, der den digitalen Wandel unserer Gesellschaft begleiten möchte.

Foto von Gerald Swarat

„Gerade ist die Zeit der Monster“, sagt Gerald Swarat. Er spielt damit auf ein Zitat des italienischen Philosophen Antonio Gramsci an: „Unsere Gesellschaft befindet sich gerade in einer unsicheren Zwischenzeit, zwischen der Spätmoderne und dem Digitalen Zeitalter. In diesen Zwischenzeiten fehlen häufig noch die Möglichkeiten, sich vom Alten zu trennen und wir offenbaren zugleich einen Mangel an Visionen, das unbekannte Neue zu gestalten. Und hier muss ich mich direkt selbst ansprechen: das gilt auch für positive Narrative im Digitalen Wandel. Es herrscht Überforderung vor der Komplexität der Gegenwart und der völligen Ungewissheit, was die Zukunft bringt. Kinder von heute wissen ja nicht einmal, was für Jobs es geben wird, wenn sie groß sind.“

Doch wie damit umgehen? Gerald Swarat erzählt: „Wir hatten das Bedürfnis, einen Raum zu schaffen, wo Akteur:innen aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft zusammenkommen und Digitalisierung und damit verbundene Fragestellungen offen diskutieren können. Einen Raum, wo Menschen unterschiedlicher Expertise auf Augenhöhe und unabhängig von Institutionen, Funktion und Status zusammentreffen und gemeinsam schauen, wie der Umbruch in eine neue Gesellschaft funktionieren kann.“ Die Idee erfuhr reichlich Zuspruch. Das Co:Lab – Denklabor und Kollaborationsplattform für Gesellschaft und Digitalisierung war geboren.

„Um Digitalisierung zum Wohle aller nutzen zu können, ist es wichtig, dass unterschiedliche gesellschaftliche Sichtweisen an einem Tisch zusammenkommen. Dass wir Prozesse und Auswirkungen, die die Digitalisierung auf unsere Gesellschaft hat, verstehen.“

Verstehen um zu Handeln

Der ständige Austausch und enge Kollaborationen sind im Co:Lab an der Tagesordnung. Regelmäßig werden zeitlich begrenzte Initiativen initiiert. Hier greifen Expert:innen aktuelle interessante Fragestellungen oder Themen, die im Zuge des digitalen Wandels in Zukunft von Belang sein könnten, auf und diskutieren diese. „Ein Thema, das uns dabei in der Vergangenheit immer wieder beschäftigt hat, war beispielsweise die Digitalisierung in den ländlichen Räumen“, erzählt Gerald.

Er setzt sich seit 2014 mit Fragestellungen zur „Smart City“ auseinander, ist Autor des Buches „Smartes Land – Von der Smart City zur digitalen Region“. Es sei enorm wichtig, dass man ländliche Kommunen nicht allein zurück ließe, sondern kreative Möglichkeiten aufzeige, für junge Menschen als Wohn- und Arbeitsort interessant zu bleiben. Ein schwieriges Unterfangen, denn: „Wie können wir denn ländliche Räume als attraktive Lebens- und Arbeitsräume revitalisieren, wenn da doch teilweise nichtmal Breitband zur Verfügung steht?“

Es brauche engagierte Menschen vor Ort, Zukunftsgestalter:innen. Und oft auch finanzielle Hilfe von Außen. Manchmal wüssten Entscheidungsträger:innen auf dem Land aber gar nicht, wer an welcher Stelle Förderanträge stellen kann. Die Co:Lab-Denker:innen liefern darum auch konkrete Handlungsempfehlungen, die veröffentlicht werden und politischen Akteur:innen auf Bundes- und Landesebene, sowie den Kommunen vor Ort helfen können.

„Wir verstehen uns als Community of Practice“, sagt Gerald. „Das bedeutet, dass wir praktikable Lösungen finden wollen, die wirklich allen Beteiligten nützen und zum konkreten Handeln einladen. Nur so können wir möglichst viele Menschen mitnehmen in das Digitale Zeitalter.“ Ihm sei wichtig, dass wir neu denken, was eine nachhaltige und digitale Daseinsvorsorge heute – und noch viel wichtiger: in Zukunft – alles umfassen muss. Und das, so Gerald, ginge weit über KI-gestützte Mülltonnen-Leerung hinaus.

Partizipation und Bürger:innenbeteiligung

„Es geht um Balance“, sagt Gerald Swarat. „Es ist nicht sinnvoll, Innovation voranzutreiben, nur um der Innovation Willen. Wir müssen uns hinsetzen und hinterfragen: Wie können wir eine wirklich gute Zukunft haben? Und was muss dazu denn alles ‚smart’ sein?“ Nicht immer brauche es ein 5G-Netz, um das Wohlbefinden der Bürgerinnen und Bürger zu steigern – „das haben wir mit den Digitalen Dörfern in Rheinland-Pfalz seit 2015 gelernt“.

Oft sind es schon kleine Ideen, die einen Mehrwert bringen. So zum Beispiel die „DorfFunk“-App als Kommunikationszentrale einer Gemeinde. Die App kombiniert regionale Nachrichten mit Gesuchen und Angeboten aus der Nachbarschaft, es gibt einen integrierten Mängelmelder, regionale Nachrichten mit Gesuchen und Angeboten aus der Nachbarschaft oder dem digitalisierten Amtsblatt. „Damit Digitalisierung  den Bürger:innen dienen kann, müssen wir wissen, was diese brauchen“, so Gerald. „Erst dann können wir handeln und eine Community aufbauen, die die Digitalisierung – in welcher Form auch immer – nutzt und der das nützt.“

Gerade in der jungen Generation gäbe es sehr kreative Ansätze, das Potenzial der Digitalisierung für das individuelle und kollektive Wohl zu nutzen: In Bad Belzig zum Beispiel wurde mit dem „Coconat“ eine Art Dorfgemeinschaftshaus geschaffen, das Merkmale von Co-Living, Co-Working und Workation miteinander vereint. Menschen arbeiten hier an individuellen Projekten oder gemeinschaftlich, sie kochen zusammen, inspirieren sich gegenseitig. Gleichzeitig ist das Coconat – eingebettet in die brandenburgische Natur – ein Ort, den Unternehmen und gestresste Großstädter:innen aufsuchen, um in entspannter Atmosphäre arbeiten und auf neue Gedanken kommen zu können. Urlaub während der Arbeitszeit sozusagen.

Gängige Probleme wie Landflucht und fehlende Einnahmequellen, mit denen Orte im ländlichen Raum oft konfrontiert sind, wurden im Fall „Coconat“ mit einer wirklich kreativen Lösung effektiv angegangen. Vor allem stellt das Coconat aber eine echte Bereicherung für die Gesellschaft dar. „Ein tolles Beispiel dafür, was möglich ist, wenn engagierte Menschen bereit sind, mit offenen Augen und offenen Herzen in die Zukunft denken“, lautet Geralds Fazit. „ Einfach mal machen ist eigentlich ziemlich einfach. Es müssen sich nur ein paar Leute fürs Machen zuständig fühlen. Diese gilt es zu finden und zu unterstützen.“

Positive Narrative

Dass sich unsere Gesellschaft an vielen Stellen mit Veränderung schwer tut, weiß Gerald. „Das gehört dazu. Doch genauso gehören die vielen Mutigen in der Zivilgesellschaft, in Unternehmen und Institutionen dazu, die immer wieder positive Zukunftsbilder schaffen und eine Realpolitik einfordern, die Problemlagen anerkennt und nicht wegschiebt – Stichwort Klimawandel. Eine Realpolitik, die die Zukunft mitgestaltet.“

Wie eine Vision einer lebenswerten Zukunft für die ländlichen Regionen im Gegensatz zur durchdigitalisierten SmartCity aussehen könntet? „Warum denn nicht mal testen, was ein Arbeitstag von sechs Stunden verbunden mit einem kostenlosen Lernguthaben für Auswirkungen auf die persönliche Zufriedenheit der Menschen hat und auf die Motivation, das Umfeld in der Kommune mitzugestalten? Mobiles Arbeiten und freie Zeiteinteilung lassen dem Einzelnen genug Freiraum, um Familie, Hobby und Beruf vereinen zu können.“ Nachmittags sieht Gerald die Kinder beim Sport oder in der Natur, während die Erwachsenen sich zum Wohle der Gemeinschaft engagieren. Der Bürgermeister a.D. wäre Glücksbeauftragter der Ortes, vielleicht gäbe es sogar einen ‚Glücklichkeitsindex‘, der den Anreiz gäbe, aktiv und ständig an der Verbesserung des Gemeinwohls zu arbeiten.

Generationenübergreifende Patenschaften und Lernpatensysteme würden dafür sorgen, dass keiner das Gefühl hat, zurückgelassen zu werden, führt Gerald seine Utopie des guten gesellschaftlichen Lebens fort. Wie auch immer unsere Gesellschaft in Zukunft aussehen mag, Gerald wünscht sich, dass sie von möglichst vielen Menschen auf kreative Art und Weise mitgestaltet wird. Das Co:Lab macht den Anfang.

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