„Safe Passage“ & Covid19: Digitale Erfahrungen aus Griechenland

Sandy Protogerou ist Anwältin und leitet den griechischen Ableger von Safe Passage International. Die Organisation unterstützt Geflüchtete und Asylbewerber:innen bei der sicheren Weiterreise in andere EU-Staaten. Dies betrifft vor allem Minderjährige und Familienzusammenführungen. Safe Passage ist eine Non-Profit-Organisation mit Büros in Großbritannien, Frankreich und Griechenland.

Bild der Akropolis bei Sonnenschein mit Pinienbäumen am unteren Rand und der Anhöhe mittig.

Foto: LNLNLN auf pixabay.com

In Deutschland hat die Covid-Pandemie zu einer rasanten Digitalisierung des sozialen Sektors geführt. Wie seid ihr bei Safe Passage mit dieser Situation umgegangen? Wie ist der griechische NGO-Sektor dieser Herausforderung begegnet?

Sandy Protogeru: Wir arbeiten bei Safe Passage schon seit der Gründung digital zusammen, da wir als internationale Organisation ständig über Ländergrenzen hinweg in Austausch mit anderen Kolleg:innen und Teams stehen. Somit war digitale Kommunikation via Slack, Video Calls oder Mails bei uns schon lange etabliert. Dies betraf jedoch größtenteils die interne Zusammenarbeit. Was sich hingegen stark durch Corona verändert hat, war die Arbeit vor Ort, insbesondere auch mit anderen sozialen Organisationen in Griechenland. 

Vor dem Lockdown fand die Beratungstätigkeit unserer Zielgruppe sowie die Kooperation mit anderen Organisationen nahezu ausschließlich in Präsenz statt, was sich seitdem stark gewandelt hat. So erging es den meisten Organisationen im sozialen Sektor in Griechenland. Die zentrale Frage ist für uns derzeit eher, ob dieser neue Status Quo auch nach der Pandemie so bleiben wird oder ob die meisten Organisationen wieder zur Präsenzarbeit zurückkehren. Aber wir von Safe Passage werden wahrscheinlich auch nach der Pandemie verstärkt remote arbeiten. 

Ihr arbeitet derzeit also überwiegend auf digitalem Weg zusammen. Welche Anwendungen nutzt ihr hierfür konkret?

Sandy: Wir setzen bei der internen Kommunikation vor allem auf Slack und Zoom, wobei wir auch gelegentlich Microsoft Teams einsetzen, wenn externe Partner:innen das wünschen. 

Wenn wir uns mal der nicht-technischen Seite von Digitalisierung widmen: Wie hat sich eure Zusammenarbeit als Team verändert? Habt ihr euch anders aufgestellt?

Sandy: Das kann ich nicht pauschal beantworten, da dies von Team zu Team und je nach verfügbaren Kapazitäten unterschiedlich ist. So arbeiten unsere Teams in Großbritannien nahezu ausschließlich digital zusammen und haben eine neue Form der Zusammenarbeit etabliert. Unser Team hier in Griechenland besteht hingegen größtenteils aus Anwälten, die weder die Möglichkeit noch die Kapazität haben, sich von der Zusammenarbeit her grundlegend neu aufzustellen. Dementsprechend arbeiten wir von der Methodik her sehr ähnlich wie vor der Pandemie. Das liegt auch teils darin begründet, dass wir, wenn auch in geringerer Intensität, in den persönlichen Austausch mit unserer Zielgruppe treten müssen. In Griechenland findet vor allem die Sozialarbeit und Rechtsberatung statt, diese Aufgaben lassen sich nicht vollständig digitalisieren. 

Hattet ihr strukturelle Unterstützung bei diesen Herausforderungen oder hat die Zivilgesellschaft in Griechenland Angebote zur Selbsthilfe geschaffen?

Sandy: Wir waren in dieser Situation weitestgehend auf uns allein gestellt. Hierbei hat uns vor allem das Know-How und die Kapazitäten unserer Kolleg:innen aus Großbritannien geholfen, uns schnell anzupassen. Sie hatten auch schon vor der Pandemie vermehrt ortsunabhängig gearbeitet und uns in diesem Prozess unterstützt. Es gab zwar keine groß angelegten Programme, jedoch haben die erfahrenen NGOs ihr Wissen zur digitalen Zusammenarbeit bereitwillig geteilt. Dies betraf z.B. das Abhalten von digitalen Meetings via Zoom. Strukturelle Hilfe konnte jedoch nicht geboten werden, vielmehr war die Umstellung auf digitale Dienstleistungen auch für den öffentlichen Sektor in Griechenland eine große Aufgabe. Das betraf auch den Bereich der Asylarbeit – was natürlich auch Auswirkungen auf unsere Arbeit hatte. 

Aris von D3 besuchte Mitte Oktober 2021 in Athen verschiedene Initiativen zum internationalen Fachaustausch. Den vollständigen Nachbericht zum Athen-Trip könnt ihr hier lesen.

Aris: Wie sah das bei den Institutionen aus, auf die ihr in der Zusammenarbeit angewiesen seid? Wie haben sie die digitalen Möglichkeiten nutzen können?

Sandy: Wir arbeiten naturgemäß stark mit staatlichen Akteuren zusammen und sind auf deren Mitwirkung angewiesen. In der ersten Zeit der Pandemie wurden die persönlichen Behördentermine jedoch eingestellt und virtuell abgehalten. Zeitweise gab es kaum Zugang zu den Agenturen, die für die Asylanträge zuständig sind. Plötzlich mussten wir online Anträge einreichen und persönliche Gespräche waren nur mit Termin möglich – das hat unsere Arbeit schon beeinträchtigt. Aber auch Abseits des Digitalen kamen Verzögerungen auf, wie z.B. bei Transfers im Rahmen der Zusammenführung von Familien. Das waren für uns Probleme, die wir so noch nicht kannten. Das war aber sicherlich kein spezifisch griechisches Problem, sondern vielmehr der international sehr unübersichtlichen Situation am Anfang der Pandemie geschuldet. 

Und wie hat sich das seither entwickelt?

Sandy: Die staatlichen Institutionen bieten mittlerweile auch digitale Wege zum Einreichen von Anträgen an. So hat die für Asylanträge zuständige Behörde eine virtuelle Plattform entwickelt, über den wir einen Großteil der Anfragen abwickeln können. Früher mussten alle Anträge noch persönlich eingereicht werden. Die Option, nun diese Anliegen digital abzuwickeln, hat Vor- und Nachteile. Eine positive Veränderung ist, dass unsere Sozialarbeiter:innen und Anwält:innen nun viel weniger Zeit für die Termine benötigen, da die Wegzeiten wegfallen und sie kaum noch Zeit in Wartezimmern verbringen. Wenn die Plattformen wiederum nicht richtig funktionieren, verlieren wir den kompletten Zugang – wir sind nun von der IT-Infrastruktur abhängig.

Überwiegen für dich die Vor- oder Nachteile?

Sandy: Wenn die neu etablierten Zugänge zu Dienstleistungen und neuen Plattformen funktionieren, erleichtern sie unsere Arbeit mit externen Stellen durchaus. Doch es ist wie oft im Digitalen: die neuen Möglichkeiten bieten in der Theorie viele Vorteile, in der Praxis stehen wir hingegen auch noch häufig Problemen gegenüber. Beim Blick ins Innere von Safe Passage ist mein Fazit auch gemischt. So war die ausschließliche Arbeit im Homeoffice für viele Mitarbeitende eher eine Belastung, wohingegen die durchgehende digitale Kommunikation die Zusammenarbeit mit Teams außerhalb von Griechenland auch verbessert hat. 

Stichwort Datenschutz: Ihr arbeitet mit sensiblen, personenbezogenen Daten – musstet ihr da besondere Vorkehrungen treffen?

Sandy: Für uns war das keine neue Debatte. Für Safe Passage ist die Arbeit mit sensiblen Daten alltäglich und wir haben schon länger entsprechende Mechanismen im Digitalen wie Analogen implementiert. Die größte Änderung war für uns die Umstellung analoger Gemeinschaftsformate auf digitale Veranstaltungen und Webinare – da mussten wir in der Tat nach neuen Möglichkeiten suchen, um den Datenschutz weiterhin sicherzustellen. Davon unberührt ist natürlich der Datenschutz in Bezug auf unsere Fälle – der war auch schon vor Corona sichergestellt und daran hat sich auch im Zuge der Pandemie nichts geändert. Wir halten seit jeher hohe Standards hinsichtlich der Speicherung und Handhabung von Daten ein, da wir teils ja auch als Rechtsberatung agieren. 

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