Verschwörungserzählungen und soziale Netzwerke: Was ist neu?

Gerade wird in einigen (Facebook-)Freundeslisten mal wieder traurig aufgeräumt. Die Corona-Krise hat neue Verschwörungsmythen nach oben gespült, die auch bisher ganz vernünftig wirkende Menschen aus unserem Umfeld in ihren Bann gezogen haben. Wir haben uns angeschaut, wie soziale Netzwerke mit der neuen Bewegung umgehen.

Auf einem Schreibtisch steht ein Lapttop, auf dem eine Nachrichtenseite zu sehen ist, auf der "Fake News" steht. drumhrum: Handy, Lampe, Bücherregal.

Wir befinden uns in einer globalen Krise. Sie bringt viele Unsicherheiten mit sich, Unklarheiten und sich schnell ändernde Begebenheiten. Die Kompetenz, Ungewissheit und Widersprüche auszuhalten, nennt die Wissenschaft Ambuguitätstoleranz. Wer diese Fähigkeit nicht ausbauen kann, kommt mit komplexen Situationen schlechter klar, sucht Zuflucht in einfachen Antworten und überträgt seine Unsicherheiten auf Andere: Krisenbewältigung durch Verschwörungserzählungen Ein einfaches Schwarz-Weiß-Schema gibt ein Gefühl von Kontrolle.

Verschwörungsmythen erkennen

Es gibt viele sich teils widersprechende, aber gemeinsam auf Demonstrationen und im Netz kursierende Verschwörungsideen. Ob Experimente an Kindern vertuscht werden sollen, Bill Gates und andere uns wahlweise mit Zwangsimpfungen vergiften oder mikrochippen wollen, das alles nur ein harmloser Schnupfen ist, oder 5G-Sendemasten uns Covid-19 eingebrockt haben: Unverhohlen greifen Mitläufer auf den Corona-Demos zu „Judensternen“ mit der Aufschrift „Ungeimpft“, zitieren Anne Frank und verharmlosen damit auf dreisteste und geschichtsleugnende Weise den Holocaust.

Hilfreiche Expert:innen erkären uns, warum diese Erzählungsmuster so einfach nicht sind – oder voll und ganz Unsinn. Sie zeigen, welche Fehlschlüsse und Verkettung unzusammenhängender Ereignisse hinter den Verschwörungserzählungen stehen. Besonders zu empfehlen: Die Faktenchecks zu Corona vom Recherchekollektiv Correctiv und u.a. diese tolle Handreichung der Amadeu Antonio Stiftung hier. Andere Expert:innen wie die derzeit sehr gefragte Pia Lamberty erklären mit einem sozialpsychologischen Ansatz, warum Fakten leider genau die nicht erreichen, die diese simplifizierenden Erzählungen einfach glauben wollen.

Wir sprechen in diesem Text übrigens immer von Verschwörungserzählungen und -mythen. Das empfiehlt u.a. die Amadeu Antonio Stiftung. Denn eine Theorie lebt von Fakten und wissenschaftlich überprüfbaren Beweisen. Und das ist in diesen Beispielen nicht der Fall.

Digitalisierung und Verschwörungserzählungen

5G, Microsoft-Gründer Bill Gates, riesige unmoderierte Dark Social-Aktivitäten, veränderte Algorithmen, mehr Faktenchecks in den sozialen Medien und vieles mehr: Natürlich sind enge Bezüge zu Digitalthemen auch in diesem aktuellen gesellschaftlichen Phänomen zu finden. Schauen wir genauer hin.

Wenn es im Dark Social wirklich düster aussieht

Dark Social bezeichnet die Kommunikation in dem Teil der sozialen Netzwerke, der im Verborgenen stattfindet. Dazu gehören auch E-Mails, vor allem aber Messenger wie WhatsApp, Telegram und Co. sowie geschlossene Gruppen, beispielsweise auf Facebook. Seit den Corona-Beschränkungen sei rund um die entstehende neue Querfront ein großer Zuwachs auf Kanälen prominenter Vertreter:innen der Szene – wie auch des Kochs Attila Hildmann oder Ken Jebsen – zu verzeichnen.

Screenshot vom 29. Mai 2020

Über solche Gruppen werden in Echtzeit Fake News, Gewaltaufrufe, antisemitische und rassistische Inhalte auf die Displays der Abonnent:innen gesendet. Der RBB berichtet, warum insbesondere Telegram so attraktiv für die neue Verschwörungsbewegung geworden ist.

In Kürze: Das Problem an Dark Social sind mangelnde Kontrollmechanismen. Insbesondere Telegram steht in der Kritik. Wie bei anderen beliebten Messengerdiensten kann man hier Gruppen einrichten. Die Obergrenze dafür: 200.000 Menschen. Zum Vergleich: 256 Menschen ist die Grenze bei WhatsApp-Gruppen. Noch gigantischer wird die Reichweite mit der App-eigenen Channel-Funktion, bei der nur wenige Infos senden, aber unbegrenzt viele Personen empfangen können.

Anders als auf anderen Netzwerken greift hier kein Algorithmus und kein Meldewesen, das demokratiefeindliche, gefährlich desinformierende, juristisch relevante Inhalte erkennt oder beseitigt. Rechtsextreme und Anhänger von Verschwörungserzählungen haben freie Bahn, und erreichen eine Vielzahl an Menschen auf einem direkten, geschützten Kanal. Hier wird es noch leichter, Unsagbares zu sagen.

Es stellt sich zunehmend die Frage nach der gesellschaftlichen Verantwortung von Messengerdiensten. Denn die großen bekannten Player werden zunehmend – und insbesondere auch seit der Corona-Krise noch einmal verstärkt – besser in der Errichtung passender Maßnahmen.

Verifizierte Nachrichten auf Facebook, Youtube und Co.

Natürlich gibt es Hassrede, Fake News und Verschwörungsanhänger:innen auf den meisten großen Plattformen. Durch verschiedene Gesetze, wie beispielsweise das Netzwerkdurchsetzungsgesetz ist es mittlerweile jedoch leichter geworden, gesetzeswidrige Inhalte nicht nur zu melden, sondern auch entfernen zu lassen.

Verschwörungserzählungen fallen jedoch nicht automatisch darunter. Zwar gelten auch im Internet die gängigen Gesetze und Regelungen zu Verleumdung und Betrug. Jedoch greift auch bis zu einem gewissen Punkt die Meinungsfreiheit. Wie verpflichtet ist z.B. Onkel Gustav, zu prüfen ob Bleichmittel trinken wirklich nicht gegen Covid-19 hilft? Mit welcher Absicht hat er die Nachricht geteilt, und: Wie kommt man gegen die schiere Zahl der vielen kursierenden Falschmeldungen an?

In der Corona-Krise haben die großen Netzwerke etwas geschafft, was vorher oft gewünscht wurde: Sie ziehen an einem Strang, um gefährliche Falschmeldungen rund um Covid-19 zu entfernen. So gibt es in Deutschland beispielsweise eine Zusammenarbeit mit Faktencheckerteams der Deutschen Presseagentur und dem Recherchenetzwerk Correctiv. Zudem haben mehrere große Netzwerke verifizierten Informationen regionaler Behörden einen sichtbaren, fixierten Platz auf ihren Plattformen eingeräumt.

Auf youtube, Facebook, Instagram und Twitter sind seit einigen Wochen an prominenten Stellen links zu verifizierten Quellen hinterlegt.

Veränderte Algorithmen gegen FakeNews

Und noch etwas, was lange unmöglich schien, wurde während der Corona-Krise möglich: Videos mit Verschwörungserzählungen zur Herkunft von Covid-19 und ähnliche werden in den Suchergebnissen von Google und damit auch Youtube sowie Twitter kaum noch angezeigt – man muss gezielt nach den Urheber:innen suchen.

Bill Gates und 5G im Fokus

Mindestens zwei weitere prominente Verschwörungserzählungen sind eng mit Digitalthemen verknüpft. Eine davon: Der Hass und die Angst vor dem neuen Mobilfunkstandard 5G. Im Internet werden immer wieder Bezüge zwischen den ersten aufgestellten 5G-Sendemasten und Corona-Hotspots hergestestellt. Die Idee: Die Strahlung schwäche das Immunsystem. Eine wissenschaftlich nicht haltbare These, wie unter anderem t3n erklärt. Trotzdem gibt es mehrere dokumentierte Vorfälle, in denen Mitarbeitende von Telekommunikationsunternehmen bedroht und angegriffen wurden sowie Anschläge auf Sendemasten verübt wurden.

Übersetzung: Ein Cartoon gegen die Einführung der Elektizität Anfang des 20. Jahrhunderts. Die Vorfahren der 5G Gegner 🙂 Ich bin sicher, wenn Covid-19 zu der Zeit aufgetreten wäre, hätten sie es auf die Elektrizität geschoben.“

Und dann ist da noch der Microsoft-Gründer Bill Gates, seines Zeichens einer der drei reichsten Männer der Welt. Die milliardenschwere „Bill & Melinda Gates Foundation“, in die ein Großteil der erwirtschafteten Gelder fliesst, finanziert Impfprojekte in der ganzen Welt. Zudem machen allein die Spenden der Stiftung an die Weltgesundheitsorganisation WHO 10% der Gesamtspenden aus. Das hat, zusammengenommen mit vielen aus dem Kontext gerissenen Zitaten von Bill Gates zu einer Vielzahl an Verschwörungen rund um das Digitalisierungs-Urgestein geführt. Artikel wie dieser in der Zeitung Die Welt zeigen, wie diese Zitate einzuordnen sind.

Informiert bleiben

Die Informationen stürmen nur so auf uns ein. Ein paar hilfreiche Quellen haben wir im Text bereits genannt – hier noch einmal in der Übersicht:

Corona-Faktenchecks von CORRECTIV
Belltower.news
…. was sind eure Anlaufstellen? Schreibt sie gern in die Kommentare.

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2 thoughts on “Verschwörungserzählungen und soziale Netzwerke: Was ist neu?

  1. Danke für den wichtigen Einblick. Unsere Kolleg:innen der Landeszentrale für pol. Bildung haben dazu einen guten Podcast:

    Exklusiv bei Du Bist Politik digital PODCAST – Katharina Nocun und ihr neuestes Werk: „Fake Facts: Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen“: Corona lässt Verschwörungserzählungen eine Konjunktur erleben – überall trifft man auf sie, in den sozialen Netzwerken genauso wie im Bekannten- und Verwandtenkreis. Doch was sind Verschwörungserzählungen eigentlich, woran erkennt man sie als solche und wie tritt man ihnen entgegen? Und wer sind die Protagonisten, die bei ihrer Verbreitung helfen? Darüber haben wir mit der Autorin und Bloggerin Katharina Nocun gesprochen. Nebenbei gibt sie einen exklusiven Vorgeschmack auf ihr neuestes Buch, das sie gemeinsam mit Pia Lamberty realisierte – „FAKE FACTS: Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen“. Brandaktuell wird das Buch voraussichtlich Mitte Mai erscheinen. Wir konnten es vorher lesen und empfehlen es hiermit wärmstens.

    https://kurzelinks.de/809o

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