DINA.international: Ein virtuelles Konferenzhaus

Als der länderübergreifende Jugendaustausch pandemiebedingt zum Erliegen kam, suchte die Internationale Jugendarbeit in Deutschland nach virtuellen Alternativen. Ein Gespräch mit Benjamin Holm von der Stiftung Deutsch-Russischer Jugendaustausch über die Entwicklung der nicht-kommerziellen Internetplattform DINA.international, die einen Austausch junger Menschen über Grenzen hinweg ermöglicht.

Gelber Hitnergrund, davor ein illustrierter PC. Darauf ist die Website von DINA.International geöffnet.

Lieber Benjamin, es gibt bereits eine Vielzahl digitaler Kommunikationstools. Was unterscheidet DINA.international von anderen Anbietern?

DINA.international ist der Anfang eines digitalen Ökosystems, das auf die Bedürfnisse von Schul- und Jugendaustausch zugeschnitten ist. Auf unserer Plattform können alle, die im internationalen Jugendbereich tätig sind, ihre Austauschprojekte anlegen, organisieren und durchführen – ob digital, real oder hybrid. Diese Vision einer Community-Plattform, die einen Austausch über Landesgrenzen hinaus ermöglicht, haben wir zusammen mit den Fach- und Förderstellen der Internationalen Jugendarbeit entwickelt.

Als Partner steht uns die wechange Genossenschaft in Berlin zur Seite, die mit ihrem Plattform-Angebot neue Maßstäbe setzt. Sie ermöglicht den Usern nicht nur in Gruppen und Projekten online zusammenzuarbeiten, sondern auch als Community über mehrere Plattformen hinweg zu kommunizieren. Das war uns von Beginn an wichtig: Wir wollen nicht nur eine Plattform für Videokonferenzen sein, sondern ein Ort, an dem Menschen zusammenarbeiten und sich aktiv vernetzen können.

Wie seid ihr auf die Idee für die Community-Plattform gekommen?

In den meisten Austauschprogrammen, die von unseren Einrichtungen unterstützt werden, begegnen sich junge Menschen aus verschiedenen Ländern im realen Leben. Doch das war pandemiebedingt plötzlich nicht mehr möglich. Ganz besonders hat es uns im Deutsch-Russischen Jugendaustausch betroffen, weil die Grenzen relativ schnell geschlossen waren und es immer noch sind. Teilweise finden bis heute nicht mal Flüge statt. Man bekommt auch keine Visa. Wir haben dann nach einer Möglichkeit gesucht, diesen Austausch in eine Zeit zu retten, in der direkte Begegnung nicht oder nur sehr schwer möglich ist.

Habt ihr im Vorfeld eine Bedarfsanalyse gemacht?

Gemeinsam mit unseren fünf Partnerorganisationen haben wir zunächst unsere eigenen Bedarfe ermittelt. Dann haben wir mit unserer Zielgruppe Kontakt aufgenommen – wobei wir schnell gemerkt haben, dass der gesamte Bildungsbereich zunächst mit der eigenen Lernkurve beschäftigt war. Sie mussten erst einmal für sich herausfinden: was wollen sie, was brauchen sie? Der Wunsch nach digitalen Räumen, die kostenfrei und ohne Werbung zur Verfügung stehen und deren Technik datenschutzkonform arbeitet, stand bei vielen ganz oben auf der Liste. Wir haben diesen Wunsch dann gemeinsam mit der wechange Genossenschaft weiterentwickelt. Das fing bei der Videokonferenz an, die datenschutzkonform sein sollte.

Wir haben uns für die BigBlueButton-Technik entschieden und sie auf der Plattform integriert. Auch kollaboratives Arbeiten und interaktive Elemente sind uns wichtig. Daher nutzen wir beispielsweise Open-Source-Technologien wie Nextcloud und den Messenger-Dienst RocketChat, aber auch viele weitere Tools, die die Zusammenarbeit erleichtern, wie beispielsweise Streaming-Funktionen oder gemeinsame Kalender.

Wie lange die Tagung nach ihrem Ende noch sichtbar ist, entscheiden die Veranstalter:innen. Das ist auch eine Form von Asynchronität und Hybridität, dass man auf die Inhalte unserer Plattform jederzeit zurückgreifen kann. Wir steuern das aber nicht zentral. Wir stellen nur die Plattform zur Verfügung und laden ein, sie zu benutzen. Das ist auch der Geist dieser Plattform, dass sie sehr bottom-up ist und jeder zum Host werden kann. Wir achten nur darauf, dass bestimmte Grundsätze, wie beispielsweise Demokratiefreundlichkeit, eingehalten werden.

Der Name der Plattform sagt es schon: Ihr arbeitet international. Wie kann eine Plattform die Sprache aller Teilnehmer:innen sprechen?

Die technische Anlage der Plattform hat acht Sprachen. Einen Teil der Sprachen haben wir von der wechange-Community geerbt. Um die Sprachen unserer Arbeitsschwerpunkte kümmern wir uns. Dazu zählen neben Deutsch und Englisch auch Französisch, Polnisch, Tschechisch, Russisch, Griechisch und Türkisch. Diese Sprachen stellen wir auf der Plattform bereit. Das ist eine große Herausforderung, weil sie mit jeder neuer Funktion aktualisiert werden müssen. Auch die Inhalte können auf der Plattform mehrsprachig angelegt werden, insbesondere im Tagungshaus. Das heißt, ich kann eine Tagung so aufbauen, dass sich die Menüführung oder die Inhalte der Workshops in mehreren Sprachen darstellen lassen und die User:innen sie in ihrer Portalsprache sehen.

Wie viel Zeit ist von der Idee bis zum Launch der Plattform vergangen?

Die WECHANGE Portallösung hat viele Grundfunktionen, die wir für DINA.international direkt nutzen konnten. Das Tagungshaus haben wir im vergangenen Sommer zusammen mit der Genossenschaft konzipiert. Es ist dann Ende des Jahres online gegangen. Bei OpenSource-Systemen lassen sich manche Prozesse leider nicht so leicht steuern, was den Kern der Weiterentwicklung angeht. BigBlueButton hat beispielsweise mit der jetzigen Version nochmal neue Maßstäbe gesetzt. Herausforderung dabei war, dass Erweiterungen für unsere Plattform nicht automatisch auch im Quellcode der neuesten BigBlueButtonVersion einfließen. Das heißt, alle Änderungen mussten und müssen wir händisch aktualisieren. Ein Beispiel dafür ist unsere Dolmetscherkabine, ein ambitioniertes  Alleinstellungsmerkmal unserer Plattform. Sie erlaubt das Dolmetschen für jedes Projekt auf unserer Plattform, sogar in Breakout-Sessions, was so nicht mal bei Zoom möglich ist. Die entsprechenden Updateprozesse dauern allerdings bis heute an.

Das klingt ganz schön komplex. Muss ich als User:in technische Vorkenntnisse mitbringen, um die Plattform nutzen zu können?

Grundsätzlich kann das jede:r. Wobei die Organisation einer Tagung auch im realen Leben sehr komplex ist. Im Digitalen ist das nicht viel anders, gerade wenn man konzeptionell arbeiten möchte. Für alle, die sich nicht intuitiv zurechtfinden, haben wir gemeinsam mit dem betterplace lab ein Handbuch für DINA.international entwickelt. Das gibt es mittlerweile in fünf Sprachen. Die Einrichtungen, die dieses Portal gemeinsam bereitstellen, bieten zudem Schulungen für Lehrkräfte an. Und es gibt seit neuestem DINA-Lotsen. Das sind studentische Hilfskräfte, die wir den Lehrer:innen und Leiter:innen von solchen Projekten zur Seite stellen. Sie helfen bei der Ersteinrichtung oder begleiten Veranstaltungen.

Wie ist das Feedback der User:innen?

Es gibt viel Begeisterung, aber wir merken auch, dass eine gewisse Müdigkeit von Online-Veranstaltungen einsetzt. Alle wünschen sich mehr reale Welt und das können wir gut verstehen. Und es gibt auch eine gewisse Schwellenproblematik. Gerade am Anfang sind viele erst einmal überfordert mit den ganzen Funktionen. Leute, die tiefer in die Plattform einsteigen, merken dann aber schnell, was für eine Vielfalt sie bietet.

Anführungszeichen

Wir brauchen insgesamt einen Fortbildungsschub in dem Sektor, damit Menschen verstehen, wie digitale Bildungsangebote funktionieren und wie man sie strukturiert.

Das ist aber eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wir versuchen vor allem die Veranstaltungsdidaktik zu vereinfachen. Es muss nicht immer das tollste Miro-Whiteboard sein, es reicht vielleicht auch mal ein Etherpad oder eine einfachere Form der grafischen Aufbereitung.

Wie finanziert ihr die Plattform?

Die Förderstellen der Internationalen Jugendarbeit, deren wichtigster Geldgeber das Bundesfamilienministerium ist, finanzieren die Plattform. Aber wir haben auch schon private Unterstützer gewonnen, zum Beispiel die Globus-Stiftung oder auch die Robert Bosch Stiftung. Und viele Kosten, die wir sonst gefördert haben, etwa die Reisekosten oder Hotelunterbringung, fallen momentan weg. Daher können wir den digitalen Austausch umso mehr fördern. Das Simultandolmetschen ist jetzt beispielsweise viel einfacher geworden. Wir können die Dolmetscher:innen aus aller Welt zuschalten. Wir hatten Online-Konferenzen, da saßen die Dolmetscher:innen in Sibirien und haben Teilnehmende aus Moskau, Berlin und Hamburg gedolmetscht.

Gibt es Tools, die ihr in Zukunft noch einbauen möchtet?

Beim Thema Barrierefreiheit müssen wir definitiv nachrüsten. Auch mit Open Source-Technik ist das nicht immer automatisch gegeben. Da wollen wir aber unbedingt dranbleiben, damit DINA.international für alle Menschen gleichermaßen erreichbar ist. Auch der Ausbau in Bezug auf asynchrones Lernen, wie man das von Lernmanagementsystemen wie Moodle kennt, ist uns wichtig. Bisher ist unsere Plattform eher als digitale Bühne für Live-Tagungen konzipiert. Weil das Hybride zunimmt, sind auch Fortbildungsformate im digitalen Raum für uns immer ein Thema.

Was uns darüber hinaus umtreibt, ist die Frage nach 3D-Lernwelten. Wir beschäftigen uns gerade intensiv mit verschiedenen Tools und wollen schauen, ob und wie wir deren Erlebnischarakter, der in der internationalen Jugendarbeit sehr zentral ist, auch in unsere Plattform integrieren können.

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