Michael Mischke: Gute Software für gute Zwecke

Initiativen, die die Welt besser machen wollen, brauchen gute Werkzeuge – und einen Schutz ihrer Daten. Davon ist Michael Mischke überzeugt. Seine Lösung: Tools von der Zivilgesellschaft für die Zivilgesellschaft

Portrait von Michael Mischke von WECHANGE, er trägt einen Bart und lange zum Knoten gebundene dunkle Hare und lacht in die Kamera.

Zehn Jahre in Konzernen, fünf Jahre in einem Innovationsstudio und eine lange Elternzeit: Für 2021 hatte Michael eigentlich den nächsten Schritt geplant. Wäre für den Experten in der Verknüpfung von Nachhaltigkeit, Digitalisierung und Mobilität alles gelaufen wie geplant, wäre er Professor für nachhaltige digitale Geschäftsmodelle geworden. Doch dann kam Corona. „Da hat eine Einstellung an der jungen Hochschule nicht geklappt.“ Der angepeilte Job? Weg. Doch Michael klingt kein bisschen unglücklich, wenn er darüber erzählt.

Zwar hat er das Jahr über nach einem neuen Hauptjob gesucht. Das aber hauptsächlich, um das Projekt voranzutreiben und zu finanzieren, das man wohl als seine wahre Leidenschaft bezeichnen könnte: Michael ist seit Mai Strategieberater, Vertriebs- und Projektmanager bei WECHANGE, einer Genossenschaft, die eine Onlineplattform für Projektorganisation betreibt. Eine Einarbeitung war nicht nötig, denn Michael selbst hat die WECHANGE
eG gemeinsam mit Mitstreiter:innen seit 2013 erdacht und 2015 dann die
Genossenschaft mitgegründet. Seither war er ehrenamtlicher Aufsichtsrat
und seit 2018 ist er gewählter Vorstand. Weil er so sehr für das Projekt brennt, war er auch bereit, diesen Weg zu gehen. Bei WECHANGE reizt ihn vor allem „die Ausrichtung am Gemeinwohl, die Entwicklung eines Produktes, das vielen Menschen und Projekten zu Gute kommt und deren Arbeit erleichtert“. Die gute Nachricht: Corona hat der jungen Genossenschaft das Wachstum beschert, auf das Michael lange gewartet hat.

WECHANGE ist eine Gemeinschaftsleistung ganz unterschiedlicher Akteur:innen aus dem Bereich des sozialökologischen Wandels, angelegt für digitale Zusammenarbeit und den Austausch von Ideen und Wissen – unabhängig von den großen Konzernen. „Es ging darum, unabhängig von Unternehmen zu sein, die zwar wunderbare Werkzeuge zur Verfügung stellen, mit denen man gut arbeiten kann – die aber dafür Daten abziehen und weitergeben, um so ihr Einkommen zu generieren.“ Das Geschäftsmodell der Genossenschaft hingegen beruht nicht auf Daten. Ziel ist es, ein nützliches Produkt zu schaffen ohne dabei auf Grundwerte wie den Schutz der eigenen Daten verzichten zu müssen.

Die Programmierer:innen etwa, so Michael, „könnten woanders das Doppelte oder Dreifache von dem verdienen, was sie bei WECHANGE bekommen“. Es sei ihnen aber wichtiger, Teil einer Idee zu sein, für die Fairness und Nachhaltigkeit vor Profit kommt.

Die Initiativen brauchen sichere Alternativen

Der Plan: Eine Plattform, seit 2016 getragen von einer Genossenschaft, auf der sich einzelne Aktive, aber auch Initiativen und Organisationen organisieren können, um zusammenarbeiten und ihre Projekt nach innen und außen kommunizieren zu können. Auf wechange.de können Dateien hochgeladen und organisiert werden, die inzwischen mehr als 50.000 Nutzer:innen auf nunmehr 20 WECHANGE-Plattformen können Aufgaben erstellen und dokumentieren und sich über ein Forum und eine Karte vernetzen. Dabei können sie sicher sein, dass ihre Daten sicher sind – und sie sich auf einer Plattform bewegen, die sich selbst als fair und gemeinwohlorientiert versteht. Inzwischen hat WECHANGE auch ein digitales Tagungshaus gestaltet, um in Zeiten der pandemiebedingten Kontaktbeschränkungen gute Online-Veranstaltungen und sogar Konferenzen mit bis zu 200 Teilnehmerinnen zu ermöglichen. „Mit der Genossenschaft wollen wir für Kund:innen und Genoss:innen einen Werkzeugkasten mit den gängigsten Tools anbieten, die jede Gruppe braucht, die online zusammenarbeitet.“

Das können sie auf WECHANGE in einer sicheren Umgebung tun. Initiativen wie etwa Fridays for Future oder die in Deutschland mittlerweile zahlreich vertretenen Ernährungsräte können das, was damit geboten wird, gut brauchen: Messaging-Module oder Cloud-Services als eine Alternative zu Google, Dropbox & Co. für diejenigen, die keine eigenen Server oder Kapazitäten hätten, derartige Dienste zu betreiben. „Bei uns können die Aktiven sicher sein, dass ihre Daten nicht veräußert oder ausgelesen werden.“

Weniger schick, aber nachhaltiger

Ist all das eine wirkliche Konkurrenz zu Google, Apple und Co? Michael lacht. „Nein, natürlich nicht. Die Werkzeuge, die wir zur Verfügung stellen, können sicherlich nicht in allen Facetten mit den Konzernlösungen mithalten. Es gibt keine Chance für uns, eine User Experience oder einen Messenger zur Verfügung zu stellen, die mit den Lösungen der großen Unternehmen vergleichbar sind, weil wir nicht ansatzweise deren Budget für die Entwicklung dieser Dinge haben. Das Produkt wird aber immer besser. Nach und nach wird es gemeinsam mit den Nutzer:innen weiterentwickelt und an deren Bedürfnisse angepasst. Ziel ist natürlich ein Produkt, das mit den großen Konzern-Angeboten vergleichbar ist.“ Es gehe zudem um eine Haltung, die letztlich zu der Entscheidung führe, die WECHANGE-Angebote zu nutzen: Der Wunsch nach sicheren und nachhaltigen Lösungen auf grünen Servern, nach dem Open-Source-Prinzip, die Menschen mit der gleichen Haltung zusammenführt.

Priorität sei es „ohne die Monetarisierung von Daten, auf höchstem Datenschutzniveau“ zu arbeiten, auf Basis eines solidarischen Geschäftsmodells. „Dafür müssen die User leider in Kauf nehmen, dass einige Dinge nicht genau so funktionieren, wie bei anderen Angeboten.“ Die etwas weniger schicke oder effiziente Option wählen, weil es um die Haltung dahinter geht: Das ist der Kompromiss, den WECHANGE nicht nur seinen Nutzer:innen abverlangt, sondern auch nach innen lebt. Das spiegelt sich auch in den Einkommen der Mitarbeitenden. Die Programmierer:innen etwa, so Michael, „könnten woanders das Doppelte oder Dreifache von dem verdienen, was sie bei WECHANGE bekommen“. Es sei ihnen aber wichtiger, Teil einer Idee zu sein, für die Fairness und Nachhaltigkeit vor Profit kommt.

Online funktioniert die Teilhabe besser

Das teilen die WECHANGE-Macher:innen mit vielen Engagierten. Anders sieht es mit der Begeisterung für die Möglichkeiten aus, die die Digitalisierung bringt. Zu oft fordert die Zivilgesellschaft nicht auf dem Niveau digitale Teilhabe, wie es heutzutage erforderlich wäre: Digitale Infrastruktur und gemeinwohlorientierte Dienste sollten eine Selbstverständlichkeit sein, wie Büchereien und Autobahnen. Die Zivilgesellschaft sei genau wie Politik und Verwaltung häufig im Kopf noch analog unterwegs, sagt Michael, „da muss sich am Mindset noch einiges tun“.

Er versucht, mit Argumenten zu überzeugen. Denn in den vielen Online-Veranstaltungen der letzten Monate habe er gesehen, dass die digitale Variante häufig demokratischer und offener sei: „In einer Online-Veranstaltung melden sich immer wieder Menschen zu Wort, die sich das in Präsenzveranstaltungen niemals getraut hätten – oder die schlimmstenfalls daran gar nicht hätten teilnehmen können, weil sie vielleicht nicht mobil sind.“ In Sachen Teilhabe sei das ein riesiger Gewinn. Bei aller Sehnsucht nach der Rückkehr in die alte Normalität glaubt Michael nicht daran, dass Zivilgesellschaft wieder so arbeiten wird wie vor der Pandemie. „Inzwischen haben die meisten gesehen, was mit den digitalen Tools möglich ist und wie sie an vielen Stellen das Zusammenkommen und Zusammenarbeiten erleichtern. Die Katze ist jetzt aus dem Sack – dahinter kommen wir nicht mehr zurück.“

Textgrafik. Drei Fragen an Michael Mischke von WECHANGE.
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