So war die re:publica 2021

Hieß es im letzten Jahr noch „die re:publica im digitalen Exil“, war das diesjährige Motto „In the Mean Time“ eine zeitgenössische Anlehnung an die momentane Situation zwischen Prä- und Post-Corona. Wir waren unterwegs, zumindest virtuell, und haben uns vom 20. – 22. Mai in das Gedränge der re:publica 2021 geworfen.

Foto von re:publica-Gründer Johnny Häussler auf der Konferenzbühne.

Die re:publica, das ist laut Eigenbeschreibung der Veranstalter „the most inspiring festival for the digital society“. Auf der jährlich stattfindenden Konferenz, die u.a. von Vertreter:innen von netzpolitik.org und dem Spreeblick-Blog veranstaltet wird, geht es um Digitalphänomene, seien es (soziale) Medien, Digitalpolitik & -kultur, Datensicherheit, Internetdiskurse oder neue technische Innovationen. Die Corona-Auswirkungen, sei es in Bezug auf die zunehmende Digitalisierung, gesellschaftliche Spaltungstendenzen und neue Diskursstränge, sind natürlich auch präsent vertreten.

Die Zielgruppe: Die digitale Gesellschaft, also alle, die sich im weitesten Sinne mit neuen Technologien, Medien und der digitalen Welt auseinandersetzen. Dazu zählen wir uns auch und haben unchronologisch ein paar Eindrücke und unsere Lieblingssessions inklusive Nachschau-Links der diesjährigen Konferenz festgehalten.

Das Setup

Gegensätzlich zu anderen Digitalveranstaltungen, beispielsweise dem Digital Social Summit 2021, konnten die Teilnehmenden das Hauptprogramm der re:publica 2021 nur „passiv“ im Livestream anschauen und – abgesehen vom Chat – nicht direkt in den Konferenzräumen per Kamera und Mikrofon mit den Speakern interagieren. Zusätzlich lieferte ein dezentrales und sehr umfangreiches Rahmenprogramm, die sogenannte #rp21-Offstage, Unterhaltungs- und Vernetzungsmöglichkeiten abseits des Livestreams. Hier konnten auch Zuschauer:innen ohne Tickets Sessions wie ein “Let’s Play” zu investigativem Journalismus oder Gesprächsrunden zu Themen wie Distanzunterricht oder Solidarität während der Pandemie anschauen. Viele der Sessions waren auch interaktiv gestaltet. Teil der re:publica war außerdem, wie jedes Jahr, die TINCON, eine Internetkonferenz für 13-25-Jährige. Auch für Menschen, die kein Deutsch sprechen, war mit vielen englischsprachigen Beiträgen gesorgt.

Je nach Variante kosteten die Tickets 25, 150 oder 250 Euro – die teuerste Variante umschloß allerdings ein +1-Ticket sowie eine nachhaltige (und halb-ironisch beworbene) Merchandise-Box mit kleinen Gadgets, die den Käufer:innen nach Hause zugesandt wurde. Außerdem sorgte ein Gather.town-Space, also eine 2D-Welt in der die Besucher per Avatar herumlaufen und miteinander sprechen konnten, für Netzwerkgelegenheiten.

(Subjektive) Programmhighlights

Urlaub für’s Gehirn mit Deutschlandfunk Nova

Zuallererst: Wir sind große Fans des Pausenprogramms! Zwischen den Sessions sorgen kleine einminütige Einspieler von Deutschlandfunk Nova für besinnliche Momente. So wird der Zuschauer mit audiovisueller Untermalung virtuell nach Bolivien, auf ein OpenAir-Festival, auf einen belebten Marktplatz oder ins Fussballstadion (inklusive Fangesängen) mitgenommen. Unser Favorit: Der kleine Abstecher in die Sauna. Entspannung pur. (Naja, fast!)

Aluhüte everywhere?

Wie geht man mit Menschen im Freundes- und Bekanntenkreis um, die Corona – auch durch Verschörungstheorien im Internet – als menschengemachtes und eliten-gelenktes Phänomen einordnen? Klare Kante und Abstand oder Zuhören und Schweigen? Die ZDFneo-Serie „Wach auf, Schlafsschaf“ betrachtet fiktional, was passiert, wenn geliebte Menschen zu Querdenkern werden. In der #rp21-Diskussion mit Produktionsvertreter:innen wird deutlich: Empathie kann im Zweifel vielleicht dann doch Türe und Konversationen offen halten, die sich beim bloßen Wegwinken schließen würden. Zumindest im echten Leben. Zum Umgang mit (sehr) kritischen Kommentaren oder Hatespeech im Internet und den sozialen Medien bleibt es jedoch komplex – und die Haltung der Gruppe (leicht) ratlos. Worauf sich alle einigen können: Sachlich bleiben, die Hysterie abstrahieren, Netiquette wahren – und im Zweifel an Initiativen wie Hassmelden wenden.

Apropos: Netzpolitik und Desinformation

Klar, es ist Superwahljahr und wir befinden uns mitten in einer Pandemie. Die Bedingungen für Falschinformationen, Hatespeech und kontroverses Verhalten im Internet könnten also kaum besser sein. Welche Verantwortung bei Plattformen wie Twitter, Facebook oder Youtube liegen (sollten) – und wie eine sinnvolle Netzpolitik aussehen sollte, wurde im Gespräch zwischen Moderator Sven Oswald, Sabine Frank von Google/Youtube und der Grünen-Bundestagsabgeordneten Tabea Rößner behandelt. Wie sieht ein verantwortungsvoller Umgang mit Inhalten im Netz aus? Wie können sich User über Lösch-Entscheidungen der Plattformen beschweren? Welche Rolle kommt der Politik und welche den Plattformbetreibern zu? Was auffällt: So grundsätzlich gegensätzlich stehen sich Grüne und Google gar nicht gegenüber – beide fordern mehr Regulierung. Nur wie die Regulierung genau aussehen könnte, ist in Teilen noch unklar.

Auch interessant: Die Grünen haben sich auf einen digital-fairen Wahlkampf selbstverpflichtet. Damit geht u.a. der Verzicht von Microtargetting (also die gezielte Ansprache von Zielgruppen über personalisierte Datenauswertungen) und gekaufte Likes & Abonnements in den sozialen Netzwerken einher. Doch was bringt das, wenn die anderen Parteien sich nicht ebenfalls verpflichten? Braucht es nicht gerade dann eine stärkere politische Regulierung?

Nicht nur im Wahlkampf, auch in Bezug auf nicht-politische Informationen wird der digitale Raum, also Social Media, Online-Magazine und Blogs, immer unübersichtlicher. Auch aufgrund von strategischer Desinformation mittels Social Bots, Falschmeldungen-Kampagnen und Hassrede, deren Einsatz während der Pandemie noch angestiegen ist. Die Weltgesundheitsorganisation WHO spricht neben der Pandemie auch von einer „Infodemie“, also einer Durchdrängung des Diskurses mit Unwahrheiten. Um als Gesellschaft weiterhin mündig zu bleiben, müssen wir uns im digitalen Wandel deswegen auch stärker mit Informations- und Nachrichtenkompetenz als zentralen future skills auseinandersetzen.

Und das nicht nur im klassischen Bildungsbereich für Jugendliche, sondern für die ganze Fülle der Gesellschaft. Denn: Viele Deutsche können Quellen im Netz nicht gut einschätzen, hält Kathy Messmer vom Berliner ThinkTank Stiftung Neue Verantwortung im Gespräch mit Torben Klausa vom Tagesspiegel Background Digitalisierung und Medienexperte Meinolf Ellers auf der re:publica fest – mit dem Alter sinkt die digitale Nachrichtenkompetenz sogar. Was wir empfehlen können: Unser Portrait von Kathy Messmer mit vielen Hintergründen zu ihrem Wirken und Lebensweg auf unserer Seite. Viel Spaß beim Lesen!

Die Opening Keynote von Sascha Lobo (anschauen!)

Mit Keynotes ist das so eine Sache. Oft findet man sie im Nachgang zwar ziemlich gut, der Fokus liegt jedoch oft stärker auf Motivation, Markantem, grundlegenden Gedanken und der Meta-Ebene denn auf kleinteiligen Analysen oder Prozessbeschreibungen. Bei Sascha Lobos Rede zur digitalen Lage der Nation mit dem Titel „Die fünf Digitallehren aus Corona“ war das nicht so. Neben humoristischen Einlagen („Es wird eine positive Rede geben. Positiver als Impfgegner im Herbst.“) gab’s wortgewaltige und inhaltliche Punkte zur Genüge. Hier nur ein kleiner Ausschnitt:

  • Digitale Transformation geschieht in Deutschland nur unter Druck – außer im Bildungsbereich. Da digitalisiert sich gar nichts, da hat sich selbst während der Pandemie nichts getan. Trotzdem bewegt sich die Gesellschaft zwar „langsam und schwerfällig, aber doch ziemlich eindeutig genau dorthin, wo wir digital-affinen jetzt schon ’ne ganze Weile rumhängen.“
  • Die Bundesregierung hat es „in den letzten 15 Jahren geschafft, kein einziges (Digital-)Versprechen zu halten.“
  • Wir brauchen ein Primat des Digitalen und sollten den Digitaldiskurs umkehren:
    Vor Corona brauchte es einen Grund, etwas digital zu machen. Nach Corona braucht es einen Grund, etwas nicht digital zu machen. Fragt nicht, was digital werden muss, fragt was analog bleiben muss.

Daten & Gemeinnützigkeit

Am Freitag gab es eine vierstündige Zusatz-Konferenz der Initiative Civic Coding – Innovationsnetz KI für das Gemeinwohl, die im Fahrwasser re:publica lief. Getragen von den drei Bundesministerien für Arbeit und Soziales, Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit geht es in der Initiative darum, wie Künstliche Intelligenz für das Gemeinwohl nutzbar gemacht werden kann. Inhalte waren neben Paneldiskussionen, Keynotes und Praxisberichten auch konkrete Zoom-Webinare, in denen vertiefende Inhalte diskutiert und erklärt wurden. Wir haben das Fishbowl-Webinar zu gemeinwohlorientierter Datennutzung besucht, in der Johannes Müller von CorrelAid, Tillmann Santarius von der TU Berlin sowie Lorena Jaume-Palasi von der Ethical Tech Foundation sich mit den Potentialen von Daten für’s Gemeinwohl auseinandersetzten. Insbesondere Johannes Müller thematisierte dabei immer wieder die Zentralität des gemeinnützigen Bereichs – und die Notwendigkeit, dass der Dritte Sektor im Datendiskurs mitreden kann.

Nina Hauser, Johannes Müllers Kollegin von CorrelAid, hat Anwendungstipps und konkrete Beispiele für die Nutzung von Daten in sozialen Organisationen auch bei uns im Magazin festgehalten. Wer mehr erfahren möchte, kann sich gerne durch unsere Data4good-Serie lesen.

Musik zum Freitagabend

Gehört mittlerweile ja zu (fast) jeder großen Digitalveranstaltung, die etwas auf sich hält: ein Wohnzimmerkonzert. Bei der re:publica und TINCON wurde der Freitagabend von Danger Dan von der Antilopengang gestaltet, der in seinem jüngst erschienenen Song „Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt“ gegen die Rechtspopulisten und schrägen Diskurse dieses Landes ansingt – und damit einen kleinen Hype im Internet ausgelöst hat. (Und, abgesehen davon, auch musikalisch ein tolles neues Klavieralbum veröffentlicht hat!) Tolles Live-Konzert, dass die Vorfreude auf die Zeit nach Corona erhöht hat.

Das waren nur…

… ein paar Highlights der ganzen Konferenz. Falls ihr noch mehr sehen möchtet: Alle Videos werden in den kommenden Wochen frei zugänglich auf dem YouTube-Kanal der re:publica abrufbar sein – teilweise sind die Sessions auch schon hochgeladen.

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Und so war die re:publica im letzten Jahr

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